Düstere Zukunftsvision

02.10.2008
In Christoph Meckels Erzählungen wird eine fiktive Welt geschildert, in der zivilisatorische Standards nicht mehr zu gelten scheinen. Es gilt das Gesetz des Stärkeren, Menschliches blitzt nur selten auf, Pessimismus macht sich breit. Allein in der dritten Erzählung herrscht so etwas wie ein melancholisch-heiteres Erinnern vor.
So ganz koscher wirken sie alle nicht, die Figuren, die diese Texte bevölkern. Da landet jemand plötzlich nachts in einer fremden Stadt, sucht ein Hotel auf, welches er nach ein paar anderorts genossenen Drinks nicht wiederfindet, woraufhin er von dubiosen Existenzen in deren dunkle Geschäfte hineingezogen wird. Dort zieht es jemanden in die Wälder, weil er etwas "eingesetzt" bekommen soll; nummeriert worden ist er schon. Der Menschenpark lässt grüßen! Vor allem aber leben in diesen Erzählungen alle in einer heillos gewordenen Welt, in der die Anarchie und bestenfalls das Gesetz des Stärkeren herrschen, so dass im Grunde nur noch eines gilt: Rette sich, wer kann.

Toby, der Protagonist in der längsten, der Titel gebenden Geschichte dieses Bandes, "Nachtsaison", kann es nicht: sich retten. Er lebt in einem fiktiven Land namens Montza, das auch eine Stadt sein kann und von fern an einen der südamerikanischen Gewaltstaaten erinnert, aber wohl eher ein in die Zukunft projiziertes balkanisches Gemeinwesen darstellt, mit ausufernder Mega-Metropole, in der aber bereits ganze Viertel entvölkert sind, beschädigt außerdem durch Naturkatastrophen sowie einen permanenten Bürgerkrieg.

In Montza haben die Gangs und Milizen das Sagen, Banden von Jugendlichen helfen als Söldnertrupps die wackelige Herrschaft von einem "Rattenprinz" zum Beispiel sichern, und auch Toby, fast noch ein Kind am Anfang der Erzählung, kann sich samt seiner Freundin Sima nur am Leben halten, weil die beiden sich einer dieser Bandenformationen anschließen.

Toby hat versucht, dies Montza zu verlassen, aber das gelang ihm nicht. Er kam ganz einfach aus dem Teufelskreis von Armut, Gelegenheitsverbrechen, Bestohlen- und Verratenwerden nicht heraus. Die Jahre vergehen ohne jede Aussicht auf so etwas wie ein geregeltes, bürgerliches Leben. Von Bildung, gar dem Erlernen eines den Unterhalt garantierenden Berufs kann nicht die Rede sein.

Mit diesem Text vor allem hat Christoph Meckel in "Nachtsaison" auf gespenstisch suggestive Weise das Bild einer postzivilisatorischen Welt gezeichnet. Es ist ein Nachtstück in Callots Manier geworden, mit E. T. A. Hoffmann zu sprechen: düster, bedrohlich und abgrundtief pessimistisch, was die Aussichten angeht, die der Mensch, das Menschliche in unserer Zukunft haben können.

Kein Wunder, dass sich der Autor nach soviel Schwarz-in-Schwarz im dritten Teil dieses erzählerischen Triptychons idyllisch gibt. Als wolle er das Diktum Jean Pauls bestätigen, demzufolge die Erinnerung das einzige Paradies darstellt, aus dem wir nicht vertrieben werden können, malt Meckel hier elegische Bilder verschwundenen Glücks. Personen, einander in Liebe oder zumindest Freundschaft verbunden, essen und feiern zusammen, gehen spazieren, reisen, genießen Landschaften. Vor allem letztere werden in betörend schönen Schilderungen beschworen, als gälte es Abschied zu nehmen, als würde auch dies bald verschwinden, was einst Europas höchsten Reiz ausmachte: jene kultivierte Geselligkeit, jene künstlerische Produktivität, die aus dem intensiven Erleben menschengeformter Erde erwächst, befinde die sich nun am Meer oder in den Bergen, liege sie in Frankreich oder Dänemark, in Portugal, Italien, Deutschland.

Rezensiert von Tilmann Krause

Christoph Meckel: Nachtsaison
Hanser, München 2008
256 Seiten, 19.90 EUR