"Du bist das Netz"

Von Ingo Kottkamp · 27.09.2006
Im Internet surfen, E-Mails schreiben oder online arbeiten - in der Regel braucht man dazu einen eigenen Internetzugang. Doch es gibt auch Alternativen: Seit einigen Jahren verbreiten Freifunk-Initiativen das Internet über lokale Funknetzwerke.
Eine Datenwolke liegt in der Luft. Zwischen Mobilfunk, Fernseh- und Radioempfang sucht sie sich ihren Weg im Mikrowellenspektrum. Signalströme aus einzelnen Antennen nehmen Kontakt zu anderen Antennen auf.

"Freifunk in Berlin hat circa 500 aktive access points oder Knoten; das sind die Geräte, zwischen denen dieses Netzwerk entsteht. Sobald diese Geräte Funkverbindung zueinander haben, vernetzen sie sich automatisch miteinander und es entsteht etwas, was wir Mash-Wolke nennen. Das bedeutet, dass alle Geräte, die Teil dieses Netzes sind, miteinander verbunden sind und jeder Teilnehmer in diesem Netz dann mit jedem anderen Teilnehmer in diesem Netz Daten austauschen kann."

Jürgen Neumann gehört zur Berliner Freifunkinitiative, einer von vielen ähnlichen Gruppen weltweit. Angeschlossen an dieses Netz sind keine Funkgeräte, sondern Computer. Die Rechner partizipieren am Internet, und genau damit will die Freifunkszene neue Aktivisten anlocken – wie ein von ihnen produziertes Video zeigt:

"Ich bin Florian. Und das ist meine neue Wohnung. Wir sind gerade hier eingezogen. Und ich hab kein Internet. Jedenfalls hatte ich keins. Aber in Berlin gibt’s ja Leute, die verschenken Internet. Und das allerbeste: es kommt auch noch durch die Luft. Und ich zeig euch, wie. Kommt mal mit."

"Der Zugang zum Internet erfolgt dadurch, dass einzelne Teilnehmer an diesem Netzwerk ihren vorhandenen Internetanschluss den Teilnehmer dieses Netzwerks zur Verfügung stellen, und wenn es innerhalb dieses Netzwerkes dann mehrere Zugänge zum Internet gibt, dann entscheidet die Software innerhalb des Netzes, wo der geeigneteste Zugang ist und würde darüber dann eine Verbindung zum Internet herstellen."

Sind Freifunker also so etwas wie illegale Zwischenhändler, weil sie ihre Daten weitergeben und so den Telekommunikationsfirmen das Geschäft verderben? Wer so denkt, hat das Prinzip des Internets nicht verstanden, meint Armin Medosch, Autor des Buches "Freie Netze". Er erklärt zunächst die rechtliche Basis des Freifunks.

"Der Fachausdruck heißt lizenzbefreit, also es ist ja an sich so, das Spektrum ist reguliert, das heißt, der Staat vergibt bestimmte Bänder im Spektrum an einzelne Nutzer zur exklusiven Nutzung. Es gibt aber eine Ausnahme, das nennt sich das ISM-Band, das steht für industrial, scientifical und medical, das sind bestimmte Bänder, mehrere Bereiche, die eben lizenzbefreit sind. Das heißt, man kann diese Bänder benutzen, ohne um eine Lizenz anfragen zu müssen. Und in einem dieser lizenzbefreiten Bänder ist eben auch das W-LAN."

W-LAN, dieser Ausdruck taucht immer häufiger in Zusammenhang mit so genannten Hotspots auf. Viele Cafébesitzer geben ihren Internetanschluss per Funk lokal an ihre Kunden weiter, die an diesem Hotspot mit ihrem Laptop kabellos im Internet surfen können. Die Freifunker bedienen sich der gleichen Technik, aber ihr Anspruch ist, dass alle, die mitmachen wollen, an diesem Netz teilhaben können: die ganze Stadt wird gewissermaßen zum Hotspot.

"Da drüben, ganz da hinten, da ist ’n Kirchturm. Und auf dem Kirchturm, da sind auch so kleine Antennen. Und da verschenkt jemand seine Internetverbindung."

Mit dieser Idee des Verschenkens und Teilens stehen die Initiatoren in der Tradition der Graswurzelbewegung des frühen Internets.

"Aus einer freien Infrastruktur wurde wieder eine zentralisiertere Struktur mit einem Netzbetreiber, der Internetzugang an Kundinnen verkauft. Und diese Idee des Zugangs zum Internet ist an sich schon falsch, sondern wir sagen eben, jeder, der am Internet ist, ist das Internet. Du bist das Netz."

Wenn Freifunker über den Aufbau ihrer Netze erzählen, dann klingt das oft wie eine Lokalreportage: man hört Geschichten aus der Umgebung. Zum Beispiel von einem Wohnheim für chinesische Studenten, das lange Zeit keinen Internetanschluss von der Hausverwaltung bekam. Dann bauten sie sich eine Antenne aufs Dach und bekamen Internet per Freifunk. Oder von Dörfern in den neuen Bundesländern, die mangels Rentabilität nicht für die Versorgung mit schnellen Internanschlüssen vorgesehen waren. Jürgen Neumann, der auch die Internetseite freifunk.net betreut:

"Die Feuerwehr ist mit ihrem Leiterwagen gekommen und hat geholfen, die access points auf den Dächern und hohen Punkten zu installieren, der Elektriker hat sich an der fachgerechten Installation beteiligt, der Bürgermeister hat vielleicht das ganze geleitet oder mitinitiiert, und so gibt es gerade in den neuen Bundesländern viele, viele Beispiele, die weit jenseits dessen liegen, was man hier so im urbanen Umfeld sich so als die technischen Nerds haben da irgend was gebastelt vorstellen kann."

Es wäre falsch, Freifunk als kleines gallisches Dorf im Kampf gegen das Imperium der Netzeigner zu sehen. Beide wollen im Grunde das gleiche: eine weltweite mobile Vernetzung. Es gibt auch Beispiele für Kooperationen: in Dänemark etwa haben sich Wohnungsgenossenschaften ihr eigenes Datennetz eingerichtet und für den Internetzugang ermäßigte Preise ausgehandelt. Es gäbe auch Gründe für die Telekommunikationsgesellschaften, auf die Freifunker zuzugehen, denn mit der Erprobung lokaler Funknetze leisten diese ein Stück angewandter Forschung. Ironischerweise kreuzen sich die Interessen der Freifunker mit denen der Telekommunikationswirtschaft an einem Punkt: Wenn man von überall mit Handy, IPod oder Laptop ins Netz kommt, dann lässt sich damit auch Geld verdienen. Ein Indiz: Google plant derzeit die Einrichtung eines kostenlosen WLAN-Netzwerkes in San Francisco.