"Du Arbeiter, ich Arbeiter!"

Von Hartmut Krug · 31.10.2011
Zum 50-jährigen Bestehen des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens hat das Ballhaus Naunynstraße ein zweimonatiges Kunstfestival veranstaltet. Das reichhaltige Programm ließ ein vielfältiges Bild migrantischer Lebenswege entstehen.
Die Spielsteine des Okey-Spiels klappern, und die türkischsprachigen Männer nippen an ihrem Tee, während eine kleine Gruppe von Besuchern des Almanci-Festivals ihnen zuschaut. "Kahvehane reloaded" ist die Wiederholung einer Tour durch sonst nur Vereinsmitgliedern zugängliche anatolische Kaffeehäuser, mit der Shermin Langhoff 2008 die Neuausrichtung des Berliner Ballhaus Naunynstrasse als postmigrantisches Theater begann.

"Die türkischen Kaffeehäuser haben wir reloaded und wiedereröffnet sozusagen. Das Spannende ist nämlich, dass die auch Prozessen unterworfen sind. In dem Fall werden aus den meisten anatolischen
Männerkaffees mittlerweile Wettbüros."

Diese Kaffeehäuser entstanden in den 60er Jahren, als Türken der ersten Generation, die der Anwerbung durch die Bundesrepublik gefolgt waren, oftmals noch nicht in deutsche Gasthäuser kamen und sich deshalb mit ihren Vereinshäusern einen eigenen sozialen Raum schufen. Beim Festival konnte man nicht nur den normalen Kaffeehausbesuchern zuschauen, sondern bekam dort auch kleine Theaterstücke geboten. Oder man wurde zu einem Test über seine Einbürgerungstauglichkeit gebeten:

"Wie wird Ayran gemacht? Aus Wasser und Buttermilch? Wasser, Joghurt und Salz? Wasser, Joghurt und Butter? Wasser, Buttermilch und Salz? Was denken Sie? Schon mal Ayran getrunken? Hmmm! Ich glaube, B! Das ist richtig"

Deutschlandweit bekannt geworden ist das Ballhaus Naunynstrasse mit dem Stück "Verrücktes Blut", in dem eine Lehrerin ihre migrantischen Schüler mit Schiller und einer ihr vor die Füße gefallenen Pistole überzeugt. Natürlich wurde das umjubelte Stück auch während des Festivals gezeigt, doch es gab auch zwei Premieren. Zum einen wurde ein Stück über die erste Generation der nach Deutschland kommenden Türken gezeigt, zum anderen gab es die Bühnenfassung von Emine Sevgi Özdamars autobiographischem Roman "Die Brücke vom goldenen Horn". In ihm kommt die Titelfigur Perikizi aus Istanbul nach Deutschland, um Schauspielerin zu werden, muss aber in einer Fabrik arbeiten.
Theater, Film, Performance, Musik, Literatur: es war ein enormes Programm, das dieses Festival bot. Shermin Langhoff:

"Die Absicht war keine geringere als der Anspruch an Erinnerungsarbeit und Fortschreibungswillen, und im Kontext der 50er Jahre dort auch zu verhandeln, was hat es schon gegeben in der 1. Generation: Emine Sevgi Özdamar mit ihren Texten, Aras Ören mit seinen Texten, - bis hin aber zu heute zu kommen. Und dafür steht z.B. programmatisch die letzte Veranstaltung, wo dann eine Mely Kiyak, die sich in einem Fuldaer Kloster mit ökologischem Gartenbau und Nonnen beschäftigt hat. Oder eine Hilal Sezgin, die über ihr veganes Leben in der Heide mit Schafen schreibt, - durchaus als ernstgemeinte Vorstellungen von Fortschreibungen."

Präsentiert wurden nicht nur Selbstbefindlichkeits- oder Selbstbestätigungs-Texte, sondern es wurden alle Klischees befragt:

"Es ist eigentlich immer wieder ein Versuch, nicht nur in verschiedenen Milieus zu recherchieren, gewesen. Und dabei gab es niemals den Anspruch, die guten oder die besten Türken vorzukehren. Aber natürlich halten wir auch nichts davon, immer nur wieder mit den Ghettoklischees und am Rande der Gesellschaft zu agieren."

Während sich beim Literaturprogramm unter dem Titel "Vibrationshintergrund" Schriftsteller intensiv auch um die Frage der kulturellen Identität stritten, gab es im musikalischen Programm ebenfalls ein breites Spektrum zu bewundern: z.B. eine Kurzoper nach dem Poem "Was will Niayzi in der Naunynstrasse", das Aras Ören 1973 schrieb:

"Kollege: Ausländer schlecht? Deutsch schlecht, Ausländer sein? Ich schlecht? Du Arbeiter, ich Arbeiter!"

Dann die klassisch orientierte Musik von Birol Yayla und schließlich die Rockmusik der Gruppe "Bandista". 72 Filme umfasste das Filmprogramm unter dem Titel "Gegen die Leinwände", das mit Fatih Akins Film "Wir haben vergessen zurückzukehren" über seine Eltern begann. Kurator Tuncay Kulaoglu:

"Das Hauptkriterium war natürlich das Thema Arbeitsmigration. Und bei den deutschen Produktionen haben wir uns wirklich auf die junge deutsch-türkische Filmemachergeneration konzentriert."

Shermin Langhoffs Fazit über ihr Festival fällt zu recht positiv aus:

"Film lief tatsächlich, was Zuschauerzahlen anging, am überschaubarsten ab. Also auch die Literaturreihe war komplett ausverkauft, ähnlich wie Theater. Und was toll war an dieser Filmreihe, ist, dass sie wirklich mit den siebzig Filmen, die sie ausgesucht hat, nicht nur ein einfaches Panorama der letzten fünfzig Jahre geschaffen hat, sondern dass sie wirklich ganz, ganz viele Juwelen hervorgekramt hat, die man einfach nicht gesehen hat: Dokumentarfilme aus den 60ern, 70ern, genauso auch echte Schmachtfetzen der 70er türkischen Arabeske, die von den Almancis erzählt haben, bis hin eben jetzt zu dem Abschlussfilm von Muhsin Ertugrul, in den 20er Jahren in Berlin gedreht, als Murnau-Schüler. Er selbst war wieder Gründungsvater des türkischen Kinos und Theaters."

Zwei Monate "Almanci -50 Jahre Scheinehe" ergaben ein großes Festival in einem kleinen Haus.
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