Drogen

Großes Glück für kleine Kiffer

Von Peer Vorderwülbecke  · 11.12.2013
Uruguay legalisiert den Anbau und Konsum von Marihuana. Der private Haschisch-Produzent Alvaro aus Montevideo freut sich darüber, dass die Regierung harmlose Kiffer wie ihn künftig ignoriert und große Drogenbanden bekämpft.
Der Stadtteil Cerrito de la Victoria liegt am nördlichen Rand von Montevideo. Touristen verirren sich nie in diese ärmliche Gegend. Alvaro wohnt seit zehn Jahren hier in einem dieser typischen, flachen Häuschen, die schon lange keine Farbe mehr gesehen haben.
Alle in der Nachbarschaft wissen, dass Alvaro illegal Marihuana anbaut. Trotzdem ist der 43-Jährige ein ganz normaler Nachbar, auch wenn er mit seiner klaffenden Zahnlücke, dem großen silbernen Ohrring und dem schwarzen Bart ein bisschen aussieht wie ein Pirat, er müsste nur noch die abgenutzte Baseball-Kappe gegen ein Kopftuch austauschen. Gerade kommt er zurück von seinem Nachbarn, der ein Problem mit seinem altersschwachen Auto hatte.
"Zum Glück sind wir hier in einem Stadtteil von Montevideo wo noch ein Gemeinschaftsgefühl herrscht. Und wenn der Nachbar Hilfe braucht, dann sind wir da, so wie es eben früher war."
Gemeinschaft ist für Alvaro ein wichtiger Begriff. Gemeinschaft hat für ihn viel mit dem Konsum von Marihuana zu tun. Die getrockneten Blüten der Hanfpflanze hat er nie alleine geraucht, immer nur gemeinsam mit Freunden Seit 25 Jahren ist das so, seit er das erste Mal als Jugendlicher mit der Clique seines Bruders einen Joint durchgezogen hat. In Uruguay stand das nie unter Strafe. Der Anbau aber sehr wohl. Zumindest theoretisch:
"Bis vor kurzem, eigentlich bis heute, kam man dafür vor Gericht. Aber das besondere in Uruguay ist, dass es gegenüber Marihuana eine Akzeptanz in der Gesellschaft gibt, eine Toleranz. Man raucht hier Marihuana wo man will und niemand sagt irgendwas. Das ist völlig normal, und zwar schon seit vielen Jahren. Heute sind es auch Familienväter, Ingenieure, Architekten oder Lehrer, die Marihuana rauchen."
Heimliche Haschich-Reisen durch Paraguay
Also ganz normale Bürger, die nie Kontakt zu einem kriminellen Milieu hatten, außer beim Kauf von Marihuana. Auch Alvaro und seine Freunde wollten ihren Canabis-Konsum nicht teuer bei einem Drogenhändler bezahlen, das war schon vor 20 Jahren so. Anfang der 90er-Jahre ist er mit dem Rucksack heimlich nach Paraguay gereist, und hat immer ein paar Kilo Marihuana mitgebracht:
"Wir hatten damals gar nicht die Absicht, uns mit dem Marihuana zu bereichern, wir haben uns nicht mal das Geld zurück geholt, das wir für die Reise ausgegeben haben. Denn das Gras war für unseren Gebrauch, für den gemeinschaftlichen Gebrauch."
Trotzdem war das Schmuggeln von Marihuana eine Straftat, damals wie heute. Viele Jahre ist Alvaro durch Südamerika gezogen und hat auf kleinen Märkten selbstgemachten Schmuck verkauft. Drogen hatte er immer im Gepäck, dazu bekennt er sich ganz offen:
"Wir sind keine Heuchler. Wir sind aber auch keine Rastafaris oder kiffende Veganer. Wir sind Drogen-Nutzer: Ich trinke Wein, Bier, Mate, Kaffee, ich rauche Tabak, ich rauche Marihuana, ich nehme Kokain, ich habe Pilze und Wurzeln ausprobiert, deren Namen ich schon wieder vergessen habe. Nur alles zusammen darf man halt nicht nehmen."
Alvaro konsumiert Drogen sehr bewusst. Egal, ob sie bewusstseinserweiternd sind, oder nicht. Auf seinen Reisen hat er gesehen, wie illegale Marihuana-Plantagen in Brasilien mit Pestiziden überzogen wurden. Zurück in Uruguay hat er deshalb beschlossen, Marihuana auf eine andere Art selbst anzubauen.
"In diesem Haus habe ich ungefähr 50 Pflanzen. Aber es ist ein Gemeinschafts-Projekt, ich bin nicht der einzige Verantwortliche. Es ist eher eine Genossenschaft. Aber eben in meinem Haus."
Genauer gesagt in seinem Hinterhof, der von einer hohen Mauer umgeben ist. Die Plantage sieht auf den ersten Blick aus wie eine verwilderte Kleingarten. Zwei Hunde streunen umher, Hanfpflanzen wachsen in einem Metallfass, in einer rostigen Badewanne und in einem Beet, dass durch verwitterte Holzbretter begrenzt wird. Die Erde stellt er selber her, wie ein richtiger Bio-Bauer:
"Das hier ist Kompost. Wenn man da nur reingreift sieht man die vielen Würmer. Die sorgen für die Umwandlung der organischen Stoffe in Humus."
Nichts in seinem Komposthaufen ist aber zufällig da, Alvaro kreiert seinen Kompost fast wie ein Chefkoch:
"Das hier, das sind Stücke vom Stamm einer Palme. Manche nehmen Kokosfaser, aber Palmenstücke bestehen ja aus derselben Faser. Das ist gut für die Wurzeln, die Erde wird aufgelockert und bleibt feucht.
Das funktioniert super. Außerdem koche ich Bananenschalen aus, wegen dem Kalium. Es geht um ein Gleichgewicht zwischen Kalium und Nitraten."
Ökologisch bewusster Drogenanbau
Chemischer Dünger kommt für Alvaro nicht in Frage. Die nährstoffhaltige Erde produziert er selbst. Darauf ist der 43-Jährige fast so stolz, wie auf seine Pflanzen. Aber nur fast. Beinahe liebevoll streicht er über die kniehohen Hanf-Zöglinge.
"Hier stehen auch Pflanzen, die ich gezogen habe, hier auch. Die bleiben alle draußen, weil es keine kalten Nächte mehr gibt und tagsüber genug Licht, damit sie sich gut entwickeln. Später wird es da drüber noch Pflanzen geben und dort auch, eigentlich überall."
Aber die tatsächliche Pflanzenzucht ist versteckt, im hintersten Eck eines Unterstandes auf seinem Hinterhof.
Das hier ist der Wachstumsbereich, sagt Alvaro und schiebt einen schweren grauen Filz-Vorhang zur Seite. Das kleine Gewächshaus ist gerade halb so groß wie eine Garage. Drei Glühbirnen hängen von der Decke und leuchten auf 20 weibliche Hanf-Pflanzen. Die Pflanzen dürfen nicht befruchtet werden, sonst verliert das Marihuana viel von seinem Aroma und seiner berauschenden Wirkung.
In dem Unterstand befindet sich eine zweite versteckte Plantage, der Vorhang ist sogar mit Klettverschlüssen abgedichtet.
"Diese hier blühen schon. Denen gebe ich nur acht Stunden Licht, nicht mehr. Ich überzeuge die Pflanzen damit, dass sie sich im Herbst befinden."
Der Anbau von Marihuana in dieser Größenordnung ist im Moment noch illegal. Vor einigen Jahren hat die Polizei Alvaro deshalb verhaftet und die Pflanzen beschlagnahmt. Allerdings waren die zu diesem Zeitpunkt noch so klein, dass sie den Inhaltsstoff THC, der den Rausch erzeugt, noch nicht produziert hatten.
Für Alvaro war das der Anfang seiner Karriere als Aktivist für die Legalisierung des Marihuana-Anbaus. Seit Jahren hat er mit anderen Marihuana-Pflanzern in Uruguay für ein neues Gesetz gekämpft, das den Marihuana Anbau legalisiert. Jetzt hat er sein Ziel erreicht.
"Dieses Gesetz wird viel bewirken. Allein die Tatsache, dass man sich ernsthaft mit Marihuana beschäftigt hat, das es entmystifiziert wurde. Das hat bewirkt, dass die Leute, die Marihuana früher als einen Dämon bezeichnet haben, die Sache jetzt anders sehen."
	Beschlagnahmtes Rauschgift und sicher gestellte Waffen im Polizeipräsidium in Lübeck.
Cannabis-Handel und Gewalt: Diese Verbindung soll bekämpft werden.© AP
Die Legalisierung, die der Senat in Uruguay gestern beschlossen hat, ist aber kein Erfolg, den die Pflanzer-Lobby allein errungen hat. Es geht nicht nur um das Recht auf Rausch. Es geht nicht nur um den legalen Anbau für den Eigenbedarf und den straffreien Besitz von Marihuana.
Es geht um viel mehr. Die Legalisierung ist kein Geschenk für harmlose Kiffer, sondern eine Kampfansage an hochgerüstete Drogenkartelle. Juan Calzada, der Chef des Nationalen Drogen-Rats in Uruguay, hat sich eine einfache Frage gestellt.
"Wie können wir den Drogenhandel bekämpfen? Wie können wir die Struktur dieser Organisationen zerstören? Wie, wenn wir es nach, 20, 30, 40 Jahren Krieg nicht geschafft haben, sie zu zerstören? Es ist einfach an der Zeit, dieses Thema von einem anderen Standpunkt aus zu betrachten."
Deshalb hat Uruguay sich entschlossen, nicht mehr gegen die Drogenbanden zu kämpfen, sondern ihnen einfach die Geschäftsgrundlage zu entziehen, indem der Staat mit den Drogen handelt und Marihuana legalisiert wird. Allerdings gefällt Juan Calzada der Begriff Legalisierung gar nicht so richtig.
"Wenn man von der Marihuana-Legalisierung spricht, dann verwechseln viele legalisieren mit liberalisieren. Wir wollen den Marihuana-Konsum nicht frei geben. Wir wollen einen Markt regulieren, der bereits in unserem Land existiert. Acht bis 14 Prozent der Bevölkerung nutzen diesen Markt, um illegal Marihuana zu kaufen. Dieser Markt wird komplett von kriminellen Organisationen kontrolliert, von den Drogenbanden. Sie finanzieren, produzieren und verkaufen, die Drogenbanden kontrollieren die ganze Produktionskette."
Und genau diese Produktionskette übernimmt in Uruguay jetzt der Staat. Er wird Lizenzen für den Anbau vergeben, die Produktion überwachen und die Qualität kontrollieren, für den Vertrieb sorgen und den Verkauf in Apotheken organisieren. In diesem Umfang hat noch kein Staat der Welt die Legalisierung in Angriff genommen.
60 Prozent der Uruguayer gegen Legalisierung
Allerdings ist die Bevölkerung von diesem Schritt noch nicht sonderlich überzeugt. Über 60% der Uruguayer ist gegen die Legalisierung. Aber die Zustimmung wächst kontinuierlich, sagt der Soziologe Sebastian Aguiar, der viel über Marihuana-Konsum in Uruguay geforscht hat:
"Früher, da haben für das Recht auf Rausch nur Leute gekämpft, die selber gekifft haben, oder die sich in diesem Umfeld bewegt haben. Vor drei, vier Jahren tauchten dann neue Legalisierungs-Befürworter auf. Die haben vor allem ältere Menschen überzeugt, dass der Schwarzmarkt viel Schaden anrichtet. Dass es viel besser ist, wenn die Qualität der Substanzen kontrolliert wird und auch die Verkaufswege klar sind. Sie verstehen die positiven Seiten der Legalisierung unter dem Aspekt der Gesundheit und der Sicherheit. "
Besonders um die Sicherheit in dem kleinen Land sorgen sich viele Bürger. Auch Juan Calzada ist klar, dass der die Ausbreitung der Drogenbanden und der Kampf um Reviere die innere Sicherheit gefährdet:
"Das schafft ein Klima von Gewalt und Unsicherheit. Das größte Problem in Uruguay ist dabei, dass die Verbreitung und der Verkauf der Drogen mehr Schaden anrichten, als die Substanz selbst. In Uruguay stirbt niemand durch den Konsum von Marihuana."
Dafür hat es im vergangenen Jahr 82 Morde gegeben, die im Zusammenhang mit Drogenbanden standen. Das ist in einem Land mit gut 3 Millionen Einwohnern immer noch nicht viel, die Mordraten in den Nachbarländern Brasilien, Argentinien und Paraguay sind um ein vielfaches höher. Aber in dem beschaulichen Uruguay machen sich immer mehr Menschen Sorgen um die Sicherheit. Angeführt wird diese Gruppe von José Mujica, dem 78-jährigen Staatspräsidenten Uruguays.
"Heute ist ganz klar, und da gibt es nichts zu diskutieren - dass, alle Maßnahmen die wir gegen die Drogenbanden unternommen haben, zu nichts geführt haben: Die Macht der Drogenbanden hat sich vervielfacht. Das ist der Grund für die Legalisierung. Es gibt so viele Opfer durch den Drogenhandel, so viele Opfer durch die Drogenabhängigkeit."
Mit seinem persönlichen Einsatz und seiner klaren Haltung zur Legalisierung hat viele Unterstützer im bürgerlichen Milieu gewonnen. Trotzdem hält José Mujica vom Marihuana-Konsum nicht viel.
"Ich würde nie sagen, dass Marihuana gut ist. Keine Abhängigkeit ist gut."
Aber hier zeigt sich auch, dass es dem 78-jährigen Präsidenten, wie vielen Bürgern auch, an Wissen fehlt über Marihuana. Die Wahrscheinlichkeit für eine Abhängigkeit ist äußerst gering. Nur acht Prozent der Nutzer sind körperlich abhängig. Vielmehr wird der medizinische Nutzen von der weichen Droge durch Forschungsergebnisse immer klarer.
Forschung muss vertieft werden
Und so besteht die dritte Gruppe der Legalisierungsbefürworter in Uruguay aus Ärzten und Forschern. In vorderster Reihe steht dabei Raquel Peyraube, die Ärztin hat sich seit über 25 Jahren auf die Arbeit mit Drogenkranken spezialisiert:
"Aus medizinischer Sicht muss die Forschung noch vertieft werden, aber bei vielen chronisch Kranken ist bereits Marihuana eingesetzt worden und es hat in vielen Fällen geholfen unter anderem auch bei der körperlichen Abhängigkeit von harten Drogen."
"Redución de Daño" ist das Schlagwort, was soviel heißt wie Schadensreduzierung. Menschen, die jahrelang Crack oder andere harte Drogen konsumiert haben, wird über Marihuana der Weg zurück in die Gesellschaft ermöglicht. Aber Marihuana und die darin enthaltenen Canabinoide haben noch andere Einsatzgebiete:
"Heute weiß man, dass man viel in der Alzheimer-Forschung tun muss. Marihuana, genau genommen die Canabinoide verhindern die Produktion des Proteins, das Alzheimer auslöst. Aber wir müssen herausfinden in welcher Dosis und welche Art von Marihuana, denn es gib ja viele. Das wäre durch die Legalisierung möglich."
Aber die Ärztin engagiert sich nicht nur aus wissenschaftlichen Gründen, auch aus gesellschaftlichen. Ihrer Meinung nach wurde Marihuana von Politik und Wissenschaft über Jahrzehnte zu Unrecht verteufelt. Es wurde verboten, statt einen verantwortungsvollen Umgang anzustreben.
"Die jungen Leute glauben das nicht mehr, gerade weil so ein wissenschaftlicher Terrorismus ausgeübt wurde. Aber alle kennen tausende von Personen, die seit Jahren rauchen, denen es gut geht, die arbeiten oder studieren. Die weder verrückt, krank oder tot sind. Also bringen wir doch lieber unseren Kindern den Umgang mit Marihuana bei, und nicht diejenigen, die es Ihnen verkaufen."
Die Mutter von zwei Erwachsenen Söhnen geht dabei mit gutem Beispiel voran. Sie selbst raucht keine Marihuana, aber die beiden Söhne schon. Allerdings nur gelegentlich. Beide studieren, der jüngere von beiden hat mit 21 Jahren nebenbei eine Firma gegründet. Dieses Konsumverhalten deckt sich mit den Beobachtungen, die der Soziologe Sebastian Aguiar gemacht hat:
"Die Umfragen die wir zum Konsum gemacht haben, deuten darauf hin, dass es unter den jungen Leuten üblich ist, ab und zu Marihuana zu rauchen und nicht jeden Tag, so wie es in der Generation der über 30-jährigen üblich ist. Ich habe den Eindruck, dass kiffen in Montevideo eher aus der Mode gerät."
Oder Marihuana ist eben so normal, dass es wie Alkohol oder Zigaretten konsumiert wird, wenn man eben Lust darauf hat. Mit dem neuen Gesetz in Uruguay dürfen in einem Haushalt bist zu sechs Marihuana-Pflanzen gezüchtet werden. Oder man geht einfach in die Apotheke und kauft sich ein Gramm. Derzeit würde es 70 Euro Cent kosten. Exakt so viel wie auf dem Schwarzmarkt.
Man muss sich allerdings registrieren und darf im Monat nicht mehr als 40 Gramm kaufen. Der Gewinn, den der Marihuana-Verkauf voraussichtlich abwirft, ist auch schon verplant. Er soll in Aufklärungsprojekte gegen den Drogenkonsum gesteckt werden.
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