Drei Generationen Ostermarsch

Familie Tempel demonstriert

Friedensaktivistin Katja Tempel und ihre Tochter Clara.
Friedensaktivistin Katja Tempel und ihre Tochter Clara. Beide sind jedes Jahr beim Ostermarsch gegen Atomwaffen dabei. © Deutschlandradio / Anke Petermann
Von Anke Petermann · 15.04.2017
Jedes Jahr zu Ostern protestieren Friedensaktivisten gegen Atomwaffen. Immer mit dabei: Mutter Katja Tempel und Tochter Klara. Sie demonstrieren "in der dritten Generation", denn Großmutter Tempel hat den Ostermarsch vor fast 60 Jahren aus England nach Deutschland gebracht.
Vor dem Haupttor stauen sich die Autos – 20 Friedensaktivisten blockieren seit morgens kurz nach fünf mehrere Zufahrten zum Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel in der Eifel.
Klara Tempel will nicht freiwillig gehen, um Soldaten und Zivilbeschäftigte an ihren Arbeitsplatz fahren zu lassen, sie lässt sich von Polizisten wegtragen, singend. Dass sie eine Strafanzeige riskiert, ist der Lüneburger Studentin egal. Anti-Atomprotest - ihr Familienerbe.

Friedensdemonstration als Familienerbe

"Meine Großeltern haben ja in den 50er-Jahren den Ostermarsch nach Deutschland gebracht und sind seitdem im Widerstand gegen die Atomwaffen aktiv. Also, jetzt hier in Büchel setzen sie sich nicht mehr auf die Straße, aber die machen ganz viel Friedensarbeit, auch zivile Lösungen zu finden als Alternative zum Krieg, also da sind die noch voll mit dabei."
Mit Mitte 80. Neben den Ostermärschen brachten Klaras anglophile Großeltern auch das Quäkertum aus England mit – eine christliche Weltanschauung, die das Gewissen und die Würde des Menschen betont.
Ostermarsch 1960: Marschsäule in der Lüneburger Heide
Ostermarsch 1960: In der Mitte, mit Kopftuch und Handtasche - Helga Tempel.© Konrad Tempel / Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung
Gemeinsam mit ihrer Mutter Katja Tempel führt Klara die spirituelle Tradition des gewaltfreien Widerstands fort. Nicht nur mit regelmäßigen Blockaden in der Osterzeit.
Im vergangenen September stellten Mutter und Tochter Bundeswehr und US-Streitkräfte bloß – sie zeigten gravierende Sicherheitslücken auf. Bei einem sogenannten "Go-In" drangen sie gemeinsam mit anderen Aktivisten zum Herzstück des Fliegerhorsts vor. Ohne Sachbeschädigung lösten sie die Verbindungsteile zweier Bauzäune.
"Und waren dann tatsächlich auf der Landebahn, ohne dass wir bemerkt wurden. Und konnten die da eine Stunde besetzen und unseren Widerstand zum Ausdruck bringen, bis wir dann entdeckt wurden. Beziehungsweise, wir haben selber in der Zentrale der Bundeswehr angerufen, um auf uns aufmerksam zu machen und niemanden zu gefährden, und dann wurden wir festgehalten und geräumt."
Polizist: "Verlassen Sie bitte die Örtlichkeit, ansonsten werden Sie mit Hilfe von unmittelbarem Zwang von der Örtlichkeit verwiesen."
Klaras Mutter, Katja Tempel, protestierte schon vor rund 40 Jahren vor dem schwäbischen US-Stützpunkt Mutlangen gemeinsam mit ihren Eltern Konrad und Helga gegen die Stationierung der Pershing-II-Mittelstreckenraketen. Schon als 14-Jährige lernte sie, zivilen Ungehorsam ungerührt von polizeilichen Aufforderungen und Verboten durchzuziehen.

"Eine völlig übertriebene Machtdemonstration"

"Wollen wir uns mal in den Kreis stellen jetzt?"
An diesem Frühjahrsmorgen 2017 dirigiert die 54-Jährige mit dem silbergrauen Kurzhaarschnitt schon die zweite Blockade, diesmal rund um den Verkehrskreisel direkt vorm Fliegerhost Büchel.
"Wenn ihr ein Stückchen weiter geht, steht ihr mit im Kreis."
Die Polizei zieht einen Ring um die 20 Blockierer. Nacheinander müssen sie ihre Personalien angeben.
"Eine völlig übertriebene Machtdemonstration!", findet Katja Tempel. Ihre Tochter hatte schon früher am Morgen einen Platzverweis kassiert. Jetzt kennen die Beamten kein Pardon mehr.
Polizist: "Kommen sie bitte mit, wir erklären Ihnen das gleich."
Klara weiß längst, was jetzt kommt: die sogenannte Gewahrsamnahme.

"Immerhin ist eine Stunde weniger Krieg trainiert worden"

Die Tochter in der Gefängniszelle, Katja Tempel schockt das nicht. Dass sie und die anderen Aktivisten Soldaten und Zivilbeschäftigten in Büchel mit ihren Sitzblockaden etwas zumuten, ist ihr bewusst. Aber:
"Wenn wir uns vorstellen, dass diese Atomwaffen irgendwann mal zum Einsatz kommen, mit einem radioaktiven Inventar von 20 Hiroshima-Bomben, dann ist das im Verhältnis so eine kleine Beeinträchtigung gegenüber der großen Gefährdung, die hier von Büchel ausgeht für den Rest der Welt, dass wir das in Kauf nehmen. Ich bin eigentlich Hebamme, ich würde jetzt lieber bei einer Frau auf dem Bett sitzen und Herztöne hören und ihr sagen, dass mit ihrem Baby alles gut ist. Aber manchmal ist so was auch notwendig. Ja, dass mit der Welt alles gut ist, das wäre noch viel besser."
In den Augen der Familie Tempel ist die nukleare Teilhabe als Abschreckungskonzept nicht hinnehmbar, ziviler Ungehorsam daher ein Muss. Bundeswehr-Mitarbeiter fahren kopfschüttelnd an den festgehaltenen Demonstranten auf dem Kreisel vorbei an ihren Arbeitsplatz. Am Himmel steigt ein Tornado auf. Katja Tempel schaut auf die Uhr:
"Spät, denn das Normale ist eher halb zehn, Viertel vor zehn. Und es war jetzt 10:20 Uhr. Es könnte schon sein, dass ein paar Piloten oder zumindest einer heute nicht ganz pünktlich zu den Flugvorbereitungen im Gelände war. Und das heißt, immerhin ist eine Stunde weniger Krieg trainiert worden."
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