Drehkreuz der Randale

Von Thomas Jädicke · 11.05.2013
Fußballfans reisen zu Auswärtsspielen gerne in großen Gruppen mit der Bahn. Weil es Spaß macht und das Wir-Gefühl stärkt. Der Hauptbahnhof in Hannover ist jedes Wochenende das Fußball-Drehkreuz der Nord-Süd- und Ost-West-Verbindungen - an dem gegrölt, gesoffen und geprügelt wird.
Polizeifunk: : ""03 Lage ist komplett ruhig."

Lars Beyer: "So. Zug ist da. Und die kommen jetzt. Elf, zwölf."

"Scheiß Hannover City, scheiß Hannover City!"

Samstagabend, 22 Uhr. Der Spieltag ist längst beendet, aber noch immer sind Fans unterwegs. In Hannover steigen sie um, warten auf Anschlusszüge, wuseln zwischen den normalen Reisenden herum. Bayern Trikots sind zu sehen; ein paar HSVer hasten durch die noch immer belebte Bahnhofshalle und laufen den roten Münchnern in die Arme.

Durch verspätete Züge oder geänderte Reisepläne kommt es oft zu unvorhersehbaren Begegnungen.

Lars Beyer: "Da wird auch noch mal nach nem Auswärtsspiel, freitagabends, irgendwo übernachtet. Und dann steigt man am nächsten Morgen in den Zug. Und dann hat man auf einmal Begegnungsverkehr, den man vorher so gar nicht prognostizieren konnte (Funk). Das hat immer einen gewissen Spannungsfaktor."

Satte und friedliche Bayern-Fans
Der 44-jährige Hauptkommissar Lars Beyer leitet heute Abend den Einsatz. Bisher ist es eher ruhig. Die meisten Bayern sind nach ihrem satten Auswärtssieg in Hannover schon wieder in Richtung Süden unterwegs. Siegestrunken, aber friedlich. Jetzt wartet man noch auf die Wolfsburger, die kommen aus Bremen und sind spät dran. Zwei versprengte Dortmunder, unübersehbar in ihren kanariengelben Trikots, tappen in eine Horde Osnabrücker. Die sind auf dem Rückweg vom Drittligaspiel in Halle und müssen in Hannover umsteigen.

"So, jetzt pass auf. Jetzt gehen die Dortmunder durch die Osnabrücker." / "Ey!" / "Ey!" / "Siehste! Geht schon los! …"

Plötzlich geht alles blitzschnell. Die Stimmung kippt. Bier spritzt, Fäuste fliegen.

"119, Höhe Gleis 12."

Lars Beyer gibt einen kurzen Befehl. Innerhalb von Sekunden ist das Scharmützel vorbei. Die Polizisten, die in ihrer dunkelblauen Kampfmontur vorher unbeteiligt herumstanden und sich unauffällig im Hintergrund hielten, gehen resolut dazwischen, treiben kompromisslos einen blauen Keil zwischen BVB-Gelb und Osnabrücker Lila. Die Kampfhähne sind getrennt und die beiden Dortmunder drehen ab.

"Osnabrücker Jungs! Osnabrücker Jungs Wir sind alles Osnabrücker Jungs!"

Das drittklassige Osnabrück feiert nach einem knappen 2:1 in Halle hier auf dem Hannoveraner Bahnhof seinen Sieg. Die meisten Fans dürften so zwischen 20 und Mitte 20 sein. Viele von ihnen sind so betrunken, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten können. Bundespolizisten aus Pirna haben die Osnabrücker von Halle aus im Zug begleitet. Sechs Stunden lang. Jetzt halten die Hannoveraner Kollegen den Anschlusszug nach Osnabrück solange auf Gleis 12 auf, dass die Beamten aus Pirna auf der Wache wenigstens kurz zur Toilette gehen können. Danach müssen sie mit in den neuen Zug. Ihr Job ist erst in Osnabrück erledigt.

Lars Beyer: "Sie haben ja gerade gesehen, war ja auch ne Kollegin dabei, das ist dann auch nicht ganz so einfach. Und die sind jetzt also froh, dass sie da mal für 15 Minuten auf die Toilette gehen können und mal ein bisschen Abstand von den Fußballfans kriegen können."

Die sahen auch ziemlich fertig aus. Also, geschwitzt, weil die Ausrüstung wiegt ja auch einiges!

Lars Beyer: "Was haben wir? So 15, 18 Kilo haben die locker am Mann oder auf der Frau eben in diesem Fall. Ja, und wie gesagt, die sind seit sechs Stunden, dauerstehend, da gibt´s ja keine Sitzplatzgarantie, in Anführungsstrichen, also stehend dann mit denen unterwegs. Das ist also dann … ich glaube, es gibt angenehmere Arbeitsbedingungen."

"Gleis 12, Einfahrt RE nach Lübeck Hauptbahnhof über Wunstorf. Abfahrt 22 Uhr 9." / Stimmen, Zuggeräusche / "Ich muss nach Wunstorf. Aber, was ich hier so sehe, ist ja völlig scheiße." / "Steigen Sie hinten ein?" / "Nein, ich fahre gleich mit der S-Bahn." / "Ist das öfter so?"

Viele Osnabrücker haben Mühe beim Gehen
Die meisten Osnabrücker haben es die lange Treppe hoch bis zu ihrem Anschlusszug, der dort wartet, geschafft. Viele haben Mühe, zu gehen. Einer ist in seinem Erbrochenen ausgerutscht und liegt nun auf Bahnsteig zwölf. Zwei Mann haken ihn unter, reden auf ihn ein und hieven den massigen Körper wie ein totes Rind in den Waggon des Regionalzugs.

"Mit dem einen oder anderen Fan kann man sich auch normal unterhalten, auch wenn die - sagen wir mal - auch wenn die alkoholisiert sind."

Christian Lambrecht ist seit 25 Jahren Polizist. Der Zugführer überwacht die Umsteigeaktion der Osnabrücker:

"Aber, wenn es dann ins Gegröle geht oder ins Beleidigende, da stumpft man dann auch wirklich ab und sagt, das muss man sich dann auch nicht mehr anhören."

Und wie reagieren Sie dann? Ziehen Sie sich dann zurück? Haben Sie dann so einen Panzer oder so einen Rollladen, den Sie runterlassen? Oder wie grenzen Sie sich da ab?

Christian Lambrecht: "Bis zu einer gewissen Grenze lässt man das einfach an sich nicht heran. Wenn das nicht aufhört, wenn es ein, zwei konkrete Ansagen auch gegeben hat und gesagt hat, diesbezüglich, das toleriert man nicht, wird dementsprechend auch durchgegriffen, um die Maßnahmen seitens der Polizei auch durchzusetzen."

Der Zug mit den Wolfsburgern fehlt noch
"Signalton / "Osnabrück" / "Ich brauch nicht so weit.""

Um 22 Uhr 12 verlässt der Zug nach Osnabrück den Hauptbahnhof. Es gab an diesem Fußballsamstag keine größeren Zwischenfälle. Lars Beyer, Christian Lambrecht und die anderen Kollegen von der Bundespolizei können erst mal durchatmen. Aber für sie ist es noch nicht vorbei. Der verspätete Zug aus Bremen mit den Wolfsburgern an Bord ist immer noch nicht da.

"Gute Fahrt! Und lasst Euch nicht ärgern!"
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