Dramaturgische Gesellschaft

Wie viel Pop braucht das Theater?

Vortrag auf der Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft in Linz
Vortrag auf der Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft in Linz © Dramaturgische Gesellschaft
Von Susanne Burkhardt · 07.02.2015
Im österreichischen Linz trafen sich die Mitglieder der Dramaturgischen Gesellschaft, um über den Einfluss der Popkultur aufs Theater zu diskutieren. Aber auch die Digitalisierung beschäftigte die Autoren.
Pop. Ein verheißungsvolles Wort. Jugend schwingt da mit, Hipness und dass man angesagt ist. Von Massen geliebt. Nachvollziehbar also, dass sich die Dramaturgen der deutschsprachigen Stadttheater, die schon länger unter Legitimationsdruck stehen, bei Ihrer Tagung in Linz fragen, wie man populärer sein könnte.
Nur was ist das: populär? Das was Spaß macht, einfach zugänglich ist? Schon Bertolt Brecht wusste, dass das Theater zuerst eines soll: unterhalten. Erste Ernüchterung – vielleicht aber auch Erleichterung - zum Tagungsauftakt: Das, was laut Popdiskursler Diedrich Diedrichsen "alle angeht", das gibt es nicht mehr. Zu diffus die Interessen, zu speziell die unterschiedlichen Gemeinschaften. Klar wird aber nach drei Tagen Diskussion in Linz: Das Theater muss sich auf seine Stärken konzentrieren, die auch laut Dramaturg Carl Hegemann mit Pop zu tun haben, zum Beispiel im Spiel mit der Identität, mit der Täuschung:
"Im Bezug auf das Theater ist wirklich der Gedanke relevant, dass Pop eine Haltung auf der Bühne ist. Als Zuschauer darf man als Popstar nie wissen, was ist jetzt Rolle für die Bühne und wo spricht der Künstler als eigene Peron in eigener Sache. Diese strukturelle Unentscheidbarkeit, die macht ja auch nach Diedrichsen guten Pop aus und die macht auch gutes Theater aus. Ich würde sagen, schon immer. Das was am Theater wesentlich ist – und was es spezifisch zum Ausdruck bringen kann, im Vergleich zu anderen Medien – das ist, dass man nicht unterscheiden kann, was ist Rolle, was ist Akteur, was ist eigenständig, was ist auswendiggelernt. Da ist das Wichtige!"
"Pop ist eine Haltung auf der Bühne"
Bleibt dennoch die Frage: Wie kann das Theater in Zukunft junges Publikum für sich gewinnen, wie dessen Lebensrealität treffen? Vorschläge gab es einige, zum Beispiel ein "Writersroom-Projekt", Modelle für das Schreiben im Team, das mit den Worten vorgestellt wurde: "Wir sehen ja eigentlich lieber amerikanische Serien, als ins Theater zu gehen."
Friedrich Kirschner, Filmemacher und Softwareentwickler beschreibt Pokemon-Helixen, und wie er mit Studenten Computerspiele in analoge Formen und Bewegungen zurückführt – Pac-Man live nachgespielt - mit sehr lustigen Ergebnissen. Und natürlich sind auch Twitter, Facebook Youtube und Live-Stream ein Thema. Davor mitunter staunende Dramaturgen-Dinosaurier.
Die Diskussion zeigt, wie groß die Kluft zwischen Stadttheaterstrukturen und der freien Szene noch immer ist: Kollektives Schreiben und Entwickeln sind dort schließlich längst Normalität. Gruppen wie "Macchina X" arbeiten schon länger mit den Strukturen von Computerspielen. Also auf ins Ars Electronica-Center. Hier gibt es Eindrücke, wie auf der Fläche einer Kinoleinwand Menschen zu Computerspielfiguren werden, wie sie durch Bewegungen Bilder verändern können – und ein Licht-Drohnen-Ballett den Bühnenhimmel belebt. Spielmittel, Möglichkeiten – nicht mehr, nicht weniger, so der künstlerische Leiter des Ars Electronica-Center, Gerfried Stocker.
Popularität ist für ihn keine Geschmacksfrage, sondern die Frage wie relevant das Theater heute gesellschaftspolitisch sein kann, in einem veränderten Kommunikationsumfeld:
"Der Unterschied zu bisherigen Medien ist, dass das neue Medium so stark diesen partizipatorischen Charakter hat – egal ob das sinnlose Infos sind wie Bilder wie ich frühstücke oder meine Katze streichle. Der Modus der Kommunikation ist ein anderer und das ist etwas was zunehmend auch Wirkung zeigt. Zum Glück ist das ein Prozess, der zwei Generationen dauert – weil das ja auch unsere Chance ist gestaltend einzugreifen. Es ist auch viel Gutes daran, dass die, die durchsitzen wollen, sagen: Aber das Haptische, die Präsenz eines Menschen, der was darstellt auf der Bühne, das sind auch Werte. Es wäre fatal wenn wir aus Euphorie für unsere Smartphones das alles wegwerfen."
Wachsendes Bedürfnis, etwas live zu erleben
Nicht alles wegwerfen – aber neugierig und offen sein. Populäre, relevante Themen auf der Bühne klug und kreativ zu verhandeln. Andere Perspektiven einnehmen und dabei das Alleinstellungsmerkmal des Theaters nicht aus den Augen verlieren: das Live-Erlebnis. Kulturmanagement-Professorin Birgit Mandel, sieht hier vor allem eine Chance, schließlich wachse besonders unter Jugendlichen das Bedürfnis, etwas live zu erleben:
"Die Frage ist, ob bei jüngeren Generationen durch diese Gewohnheit, dass man immer selber irgendwas machen kann, teilnehmen kann, das ist die Frage, ob man Programme aktiver machen muss, Beteiligungsangebote machen sollte – und die zweite Sache: die Aufmerksamkeitsspannen werden niedriger, da wird es für Künstler schwieriger, die müssen mehr machen, um Menschen zu fesseln."
Peter Spuhler, Intendant des Theaters Karlsruhe, will genau hier anknüpfen. Sein Schlagwort: Relevanz.
"Wir suchen nach Themen, die wir mit den Zuschauern diskutieren wollen. Forum für Dialog. Wir sind ja reduziert auf Rezeption, Ansehen, kommentiert auf Facebook. Wo findet der wirkliche Dialog von Mensch zu Mensch noch statt? Da ist eine Chance für Theater, das denkt Theater weiter als Hochkultur als Treffpunkt von Menschen, die sich nicht kennen, um danach ins Gespräch zu kommen."
Das Theater als Ort des Dialogs, als Nische für Experimente, die unserer Lebenswirklichkeit untersuchen, Entwicklungen nicht als Ornament bestaunen, sondern sich damit auseinandersetzen. Das klingt schon ziemlich populär.
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