Dramaturgin Hannah Hurtzig

"Es wird viel geflirtet"

Die Dramaturgin Hannah Hurtzig in einem Studio von Deutschlandradio Kultur
Hannah Hurtzig kurz nach der Sendung "Im Gespräch" im Deutschlandradio Kultur © Deutschlandradio / Matthias Horn
Hannah Hurtzig im Gespräch mit Britta Bürger · 09.08.2016
Die Dramaturgin Hannah Hurtzig entwickelt seit mehr als 15 Jahren Projekte, in denen es um Wissensvermittlung geht. Dazu gehört auch der "Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nichtwissen". Sie erzählt, warum sie 100 Experten sucht und der Schwarzmarkt an Speed-Dating erinnert.
Zu Beginn steht die Einladung Hannah Hurtzigs in eine Stadt, zum Beispiel Graz, Warschau, Tel Aviv, Liverpool.
"Dann beginnen wir ein Thema zu recherchieren, von dem wir behaupten, dass es für diese Stadt "site specific" ist. In Liverpool, einer Stadt, die eigentlich immer historisch verloren hat, auch eine der ökologisch schlimmsten Städte in Großbritannien, da hieß dann das Thema: 'Über Müll. Das Verschwinden und Wiederkommen von Ideen'."
Passend zum Thema begibt sich Hannah Hurtzig dann auf die Suche nach 100 Experten.
Für Liverpool hieß das: "Man beginnt ganz klassisch und fragt erst einmal den Mann, der die städtische Müllabfuhr organisiert. Dann versucht man allerdings auch, denjenigen, der auf dem Müllwagen steht und durch die Straßen fährt, zu bekommen. Dann geht man zu den Akademikern und guckt, ob man jemanden findet, der etwas über Garbologie sagen kann. Das ist die archäologische Erforschung des Mülls."

Speed-Dating und Schwarzmarkt

Jeden dieser Experten müsse man persönlich treffen und so wird diese Recherche für Hannah Hurtzig zu einer "Reise durch die Gesellschaft". Am Ende steht dann der "Schwarzmarkt": 100 Experten sitzen jeweils an einem Tisch, und erzählen in 30 Minuten einem Gegenüber von ihrem Wissen. Die ganze Veranstaltung dauert vier Stunden, aber nach einer halben Stunde ertönt ein Gong: Es wird gewechselt, eher ein Speed-Dating also. Warum nennt Hannah Hurtzig ihre Aktion Schwarzmarkt?
"Schwarzmärkte tauchen häufig nach Krisenzeiten auf und sie sind sehr oft der Ort, wo man trainieren kann für die neue, die herankommende Ökonomie. Also man lernt dort, wie man sich in der Zukunft über Wasser halten kann."
Ihr Ziel sei es, die verschiedenen auch politischen Positionen darzustellen. So passiere es auch einmal, dass der Rabbi neben der Islamistin sitzt.

"Ab und an gibt’s Streit. Es kann aber auch passieren, dass sich jemand an einen Tisch setzt, weil er einen Job haben will, und das Ganze wandelt sich in ein Vorstellungsgespräch. Und es wird viel geflirtet."
Hannah Hurtzig
Hannah Hurtzig: ein "sehr typisches Foto", wie sie uns selbst schreibt.© Hannah Hurtzig / privat
Hannah Hurtzig wurde auf der Halbinsel Poel geboren, wuchs in Kassel auf und begann in Münster zu studieren. Aber "es hat alles nicht funktioniert" und so brach sie alles ab und stieg in einen Zug nach Italien, wo sie dann in den 70ern einige Jahre lebte.
Dort entdeckte sie auch ihre Liebe zur Kunst und zum Theater. Über Wien, Salzburg und London kam Hannah Hurtzig nach Hamburg, wo sie von 1985 bis 1990 als künstlerische Leiterin auf Kampnagel arbeitete. Dort auf Kampnagel findet auch Hannah Hurtzigs nächster Schwarzmarkt statt: am 21. Oktober 2016, dann zum Thema "Behinderung und Inklusion."
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