Dramaturgen-Konferenz

Theater und Pop

Der Philosoph Robert Pfaller
Der Philosoph Robert Pfaller auf der Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft im Januar 2015 in Linz. © Foto: Reinhard Winkler
Susanne Burkhardt im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 31.01.2015
In Linz kam jetzt die Dramaturgische Gesellschaft zu ihrer Jahrestagung unter dem Titel "Was alle angeht. Oder. Was ist (heute) populär?" zusammen. Philosoph Robert Pfaller betonte, Theater funktioniere zwar anders als Popkultur, sie schließen sich aber nicht gegenseitig aus.
Eckhard Roelcke: Was ist heute populär? Was für Antworten gibt oder gab es denn auf diese doch sehr weite Frage?
Susanne Burkhardt: Naturgemäß ganz unterschiedliche. Das "was alle angeht" diese Formulierung hat die Konferenz ja beim Poptheoretiker Dietrich Dietrichsen entlehnt, seinem jüngsten Buch über Pop – und genau das "was alle angeht" – und was laut Diedrichsen dann "kulturell die Gestalt des Populären annimmt" – das hat Diedrichsen dann gleich zum Auftakt der Tagung als Illusion entlarvt – weil, wie er sagte, einerseits Popkultur ja das Versprechen ist, dass alle dazugehören können, dass es also etwas gäbe, was alle angeht, und sich dann aber dieses Versprechen gleich wieder erledigt, weil diese Popkultur von sich aus immer neue Segmentierungen schafft und immer neue Abspaltungen, also auch wieder ausgrenzt. Damit half Diedrichsen hier dem Theater erstmal nicht wirklich weiter. Da hat dann Dramaturg Carl Hegemann ausgeholfen, der Diedrichsen den Anwesenden erklärte, und zwar in dem Sinn, dass Theater und Pop doch etwas gemeinsam haben – nämlich, im Idealfall, dass der Zuschauer nicht weiß, ob der Akteur eine Rolle spielt oder er selbst ist.
Roelcke: Aber ließ sich der Begriff Pop allgemeingültig fassen für das Theater?
Burkhardt: Nein, die Frage ist ja, ist es das, was wir alle kennen, was alle verstehen – laut Wikipedia "das gemein verständliche, ohne besonderes Vorwissen verständliche". Und da wurde schnell klar, dass es das immer weniger einen Konsens darüber gibt, WAS eine bestimmte Gruppe vereint, aber auch was das für das Theater heißt: Massentauglich werden – wie das Musical? David Garret in der Musik oder eben die Popart. Niedrigschwelliger? Voraussetzungsloser?
Der Kultursoziologe Jörn Ahrens machte hier ganz schön deutlich, dass die "populäre Kultur" eine sei, die zu einem nach Hause kommt, also dass es populäre Phänomene dem Rezipienten grundsätzlich einfacher machen, was das Theater naturgemäß erstmal so nicht kann. Ich fand den Gedanken des Philosophen Robert Pfaller sehr hilfreich, der betonte, dass das Theater grundsätzlich ganz anders funktioniere als die Popkultur:
Er erinnerte an die Unterscheidung von Friedrich Nietzsche – in das dionysische und das appolinische Prinzip – dionysisch – also das Prinzip des Rausches, wo es zwischen Autoren und Betrachtern kaum eine Trennung gibt (POP). Anders dagegen eben das Appolinische (THEATER), wo zwischen Vorführenden und Zuschauern deutlich getrennt wird, und wo dann auch die Frage gestellt wird: was bleibt von diesen Bildern, wie wirken die nach usw. Was ja beim Rausch eher nicht vorkommt. Genau in diesem Gegensatz sieht Pfaller eine produktive Differenz, von der das Theater profitieren könne, wenn es keine Angst vor dem Pop hat:
Robert Pfaller: "Man kann vielleicht sogar sowas wie Meta Pop produzieren. Wenn man also diese leichte Distanzierungsleistung, die dem Theater als solchem immer innewohnt, weil man immer irgendetwas nachspielt und dadurch ein zweites zu einem ersten produziert, und was ja auch immer einen Abstand erzeugt, und so etwas wie eine Kritikfähigkeit oder eine Humorleistung, dass man über das lachen kann. Das ist vielleicht die entscheidende Produktivkraft des Theaters, und drum glaub ich dass die Auseinandersetzung mit dem Pop eine Leistung sein kann, die das Theater erbringen kann und die es zugleich gar nicht daran hindert, selbst Pop zu sein."
Roelcke: Gibt es ein Beispiel, wie das dann in der Praxis aussehen kann?
"Fans wollen verschmelzen mit ihrem Star"
Burkhardt: Als Beispiel wie das funktionieren kann, nannte Robert Pfaller das Theater von Rene Pollesch, auf den verwies auch schon Diedrichsen, in dem er sagte, dass der eigentlich immer so vier fünf Leute auf die Bühne stelle, die dann nach dem Prinzip der Band funktionierten, und für Robert Pfaller ist Polleschs Theater sowas wie Meta-Pop, also eine Reflektion über Pop, eine Distanzierung und gleichzeitig ein kritischer Kommentar und das ganze immer sehr lustvoll inszeniert und Pollesch. So sagt es Pfaller, ist dabei selber POP – er hat seine Fans. Und denen geht’s gar nicht so um die "appolinische" Distanzierung, die wollen verschmelzen mit ihrem Star. Und damit hat man beides Pop und Meta- Pop, ohne etwas zu verlieren.
Roelcke: Welches sind denn solche eben schon genannten populären Strukturen oder Inhalte von denen das Theater lernen könnte? Bzw. daraus Meta-Pop machen?
Burkhardt: Die kommen natürlich vor allem aus dem Bereich des Digitalen, und da ist schon räumlich hier in Linz die Brücke geschlagen, zwischen den beiden Veranstaltungsorten der Tagung, dem Musiktheater einerseits, Hochkultur, und dem Ars Electronica Center, ein Kunst-Forschungslabor. Die Themen reichen also naturgemäß von Computerspielen über amerikanische Fernsehserien, über Twittern im Theater oder Live-Streaming. Wie können diese im Theater neue Erzählweisen schaffen, oder die alten beeinflussen, da wurden einige Beispiele genannt. Christian Holtzhauer, er leitet nicht nur das Kunstfest Weimar, sondern ist auch der Vorsitzende der Dramaturgischen Gesellschaft, hat das so beschrieben:
Christian Holtzhauer: "Es geht uns nicht nur um Popkultur sondern herauszufinden, was funktioniert, was spricht Leute an. Was schafft es, ohne ein Ausverkauf an den Mainstream zu sein – nennenswerte Zuschauergruppen oder ein anderes Pulbikum zu erreichen als uns das oft gelingt. Die große Frage ist, ob Twittern die große Antwort ist – das glaub ich nicht dran, ich glaube, dass es über ein Inhaltlichkeit geht, wenn die Leute das Gefühl haben, das geht uns was an, dann kommen sie auch."
Christian Holtzhauer nennt als Beispiel die Performancegruppe "She She Pop" und ihr Stück "Testament", wo sie ja mit ihren Vätern auf der Bühne stehen und sehr witzig, berührend Themen wie Altwerden, Erben usw. durchspielen, ein Riesenerfolg, so sagt Holzhauer, könnte ein modernes Theater aussehen. Und da haben wir auch wieder das Spiel mit der Rolle und dem Privaten, wenn die Darsteller direkt von sich erzählen, aber dann wieder andere Geschichten als eigene präsentieren.
Roelcke: Was also nehmen die Teilnehmer der Tagung mit in ihre aktuelle Arbeit am Theater?
Burkhardt: Ich glaube grundsätzlich eine Lust, sich dem neuen zu öffnen, aber auch eine Selbstvergewisserung oder Rückbesinnung an die Primärmöglichkeiten von Theater als Begegnungsraum. Vielleicht weniger die 100ste Klassiker-Modernisierung, sondern genauer schauen, was beschäftigt die Leute, wie kann das Theater das ästhetisch reizvoll reflektieren. Und natürlich dabei die Mittel des Theater nutzend: Also nicht die TV-Doku zu Ereignissen kopieren, sondern andere Positionen beziehen, wie das ja auch schon Milo Rau macht, der die Täter des Ruanda-Völkermordes von deren Opfern spielen lässt bei seinem Hate-Radio . Andere Perspektiven. Und da zitiere ich gern noch einmal den Philosophen Robert Pfaller (der übrigens auch schon selbst Pop ist, es soll nämlich eine Bar nach ihm benannt worden sein in Berlin):
Er meinte, das anders als beim Pop wo sich Menschen in Gemeinschaften zusammenfinden, weil sie ein bestimmtes Interesse eint, wir doch stärker darauf hinarbeiten sollten, wieder mehr über Gesellschaft nachzudenken, also die Frage: welche gemeinsamen Interessen können Menschen formulieren, die eigentlich keine Gemeinsamkeiten haben. Da kann das Theater sicher eine Rolle als Ort des Zusammentreffens und Diskurses spielen. Und dann eben keine Angst haben vor den neuen Medien, denn wie schon Marshall McLuhan so schön sagte, machen die ja immer nur mehr deutlich, welche Qualität im alten Medium liegt und das Theater, vielleicht weil es seine Relevanz verloren hat, als Freiraum zu verstehen, als Diskursraum, als Begegnungsstätte, nicht als "Fluchtburg", als die Alexander Kluge das Theater sieht, sondern als offener Ort, wo Menschen gemeinsam etwas erleben und sich darüber austauschen, darin steckt eine große Chance und: man muss nicht Pop sein, aber man kann und sollte damit spielen!
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