Dostojewskij-Boom am Theater

"Das Publikum wünscht sich die alten Stoffe"

Der Schreibtisch des russischen Dichters Fjodor Michailowitsch Dostojewski im Museum in der Kusnetschni Straße in Sankt Petersburg. (Aufnahme vom Januar 1992). Dostojewski wurde am 11. November 1821 in Moskau geboren und starb am 9. Februar 1881 in St. Petersburg. Zu seinen bekanntesten Werken gehören "Die Brüder Karamasow", "Schuld und Sühne" und "Der Idiot".
Der Schreibtisch des russischen Dichters Fjodor Michailowitsch Dostojewski in einem Museum in Sankt Petersburg. © picture-alliance / dpa / Tass
Christian Tschirner im Gespräch mit André Mumot · 23.05.2015
Zeitgemäße Theaterstücke gäbe es genug, doch an deutschen Bühnen boomen Dostojewskij-Stoffe. Dramaturg Christian Tschirner findet das völlig in Ordnung: Theater solle zwar kein Museum sein, meint er. Aber alle Klassiker über Bord zu werfen wäre auch traurig. Das Publikum sieht er dabei ganz auf seiner Seite.
"Nicht in der Beschränkung liegt seine Meisterschaft, sondern im Gegenteil", das hat Frank Castorf mal über Dostojewskij gesagt, dessen Romane er seit 1999 regelmäßig in wilde, exzessive Abende verwandelt, die Theatergeschichte geschrieben haben.
Sind Dostojewskijs moralische und religiöse Fragen heute noch relevant?
"Die Brüder Karamasow" fehlen ihm noch – deshalb widmet er sich dem letzten Roman des großen Russen nun bei den Wiener Festwochen. Aber damit ist er nicht allein: Sebastian Hartmann inszenierte die "Dämonen" im Januar in Frankfurt, Martin Laberenz "Der Idiot" im Februar in Stuttgart. Über fünf Stunden dauerte dieser Bühnenmarathon. Wie lang Karin Henkels Version von "Schuld und Sühne" am Deutschen Schauspielhaus Hamburg ausfallen wird, ist noch nicht klar. Aber auch bei ihrer Version der Geschichte vom mörderischen Studenten Raskolnikoff ist ausdauerndes Gedanken- und Schauspielertheater zu erwarten. Doch was macht Dostojewskis moralische und religiöse Fragen eigentlich immer noch relevant für die Theaterbesucher von heute?
"Wir wollen schon Formen weiterentwickeln"
Dramaturg Christian Tschirner arbeitet nicht nur grade mit Karin Henkel an der endgültigen Fassung für die Hamburger Premiere, sondern schreibt unter dem Pseudonym Sören Voima auch selbst Gegenwartsstücke. Im Gespräch mit André Mumot führt er aus, warum er es völlig in Ordnung findet, dass die Dostojewskij-Welle nicht abreißt und neben tagesaktuellen Themen auch die Klassiker weiterhin auf dem Programm stehen: "Wir wollen ja nicht ein Museum sein, wir wollen schon Formen weiterentwickeln. Trotzdem: Jetzt zu sagen, wir werfen alles über Bord – das wäre traurig." Die Zuschauer sieht er dabei ganz auf seiner Seite: "Ich halte das für eine verzerrte Diskussion, wenn man sagt, das Theater muss neue Wege gehen, um nicht das Publikum zu verlieren. Meine Erfahrung ist eher umgekehrt: Das Publikum wünscht sich schon die alten Stoffe."

Das Gespräch mit Christian Tschirner können Sie am 23. Mai ab 14:05 Uhr in unserer Sendung "Rang 1" hören.

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