Dopingopfer

Beratung und Hilfe für ehemalige DDR-Sportler

Anabolikum - Oral Turinabol (Tablettenpackung der VEB Jenapharm)
Blaue Pillen, tägliche "Vitamin-Drinks" - bis zu 5000 DDR-Sportler wurden Opfer staatlichen Zwangs-Dopings © imago/Steinach
Von Silke Hasselmann · 26.06.2016
Nicht nur DDR-Spitzensportler waren Dopingopfer, sondern auch viele junge Sportler, die es nicht nach ganz oben schafften. Heute weisen manche merkwürdige Krankheitsbilder auf. Mit Unterstützung der Dopingopferhilfe können sie ihre Rechte wahrnehmen.
Dienstagabend, Anpfiff zum letzten EM-Vorrundenspiel der Deutschen. Doch in Schwerin haben ca. 50 ehemalige Spitzensportler Wichtigeres zu tun als Fußball zu gucken, darunter Katy Pohl, gebürtige Schwerinerin.
Katy Pohl war 17, als sie nach vier Jahren ihre Leistungssportkarriere beendet. Doch ihr Leben hielt fortan viele Schmerzen bereit: Zysten an allen Organen, Fehlgeburten, eine sehr seltene Stoffwechselkrankheit, schlechte Knochenheilung, Arthrose. Doping als Ursache kam ihr nie in den Sinn, hatte sie doch nie diese blauen Pillen vom Trainer erhalten. Doch als sie 2012 die Erwerbsunfähigkeitsrente beantragte, öffnete ihr der medizinische Gutachter die Augen.
"Weil er nach den orthopädischen Befunden den Kopf schüttelte und sagte: 'Wo waren Sie sportlich aktiv?' Und da sagte ich: 'Ich war beim Volleyball, beim Sportclub Traktor Schwerin.' Und da sagt der Gutachter zu mir: 'Sie haben dann gedopt. Ich war an der Universitätsklinik Rostock beschäftigt. Wir waren für diesen Sportclub verantwortlich'. Und er berentete mich unbegrenzt."

Zu 80 Prozent behindert

Tatsächlich war die gynäkologische Abteilung der Universität Rostock fest in das staatliche Zwangsdopingsystem eingebunden, das ab 1974 verlässlich zur Produktion von Olympiasiegern und Weltmeistern beitragen sollte, oft schon im Teenager-, ja, Kindesalter. Katy Pohl ist heute zu 80 Prozent behindert. Sie hat die täglichen "Vitamin-Drinks" im Verdacht.
"Wir waren Probanden. Wir waren Menschenmaterial. Die, die hochkamen - gut und schön. Die anderen wurden nach hinten fallengelassen."
"Haben Sie mal recherchiert nach Ihren Akten, Ihren Gesundheitsunterlagen?"
"Nach Gesundheitsakten habe ich noch nicht recherchiert, denn ich habe ja nicht immer die Berechtigung, Einsicht zu nehmen. Das haben sicherlich nur offizielle Stellen."
Doch da klärt die Dopingopferhilfe auf: Jeder Betroffene habe ein Recht auf seine Patientenakte vom Sportmedizinischen Dienst der DDR, der sämtliche Leistungskader beobachtet hatte. Zwar enthalten diese Akten keine direkten Doping-Auskünfte. Doch die regelmäßig erstellen Blutbilder, EKGs, Röntgenaufnahmen und die medizinischen Behandlungen lassen womöglich Rückschlüsse zu. Heute sind diese Patientenakten zumeist in den Gesundheitsämtern jener Städte gelagert, wo es Kinder- und Jugendsportschulen bzw. Sportclubs gab.

Im Juli startet eine große Dopingopfer-Studie in Schwerin

Karin Franke sitzt im Publikum und hat notiert: Nachfragen im Gesundheitsamt der Stadt Jena. Außerdem macht die Wahl-Schwerinerin wie sechs weitere Besucher einen ersten Beratungstermin mit dem Dopingopfer-Hilfeverein aus. Denn auch sie leidet unter vielen chronischen, bisher unerklärlichen Krankheiten. Auch sie will endlich wissen, ob die blauen Pillen etwas damit zu tun haben, die sie im Alter von 10 bis 12 Jahren als Turnerin beim SC Jena jeden Morgen unter Aufsicht des Trainers schlucken musste.
"Ich habe mich heute zum ersten Mal damit intensiv beschäftigt. Ich habe es schon immer vermutet, dass viele Krankheiten damit zusammenhängen. Also für mich ist heute hier echt eine Wunde, die aufbricht."
Die heute 57-Jährige wird nun Unterlagen suchen und alles aufschreiben, woran sie sich erinnern kann. Und genau wie Katy Pohl will auch Karin Franke an der großangelegten Dopingopfer-Studie teilnehmen, die Prof. Freyberger von der Universität Greifswald und Dr. Buhrmann von den Helios-Kliniken Schwerin im Juli starten. Sie untersuchen mögliche Zusammenhänge zwischen diversen Krankheitsbildern und bestimmten Dopingpraxen.
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