Donna Leons neuer Roman

Kampf gegen Megaschiffe und Massentourismus

Die Autorin Donna Leon
Die Autorin Donna Leon © Tilmann Kleinjung / ARD
Von Tilmann Kleinjung · 25.05.2016
Donna Leon legt mit "Ewige Jugend" ihren 25. Brunetti-Roman vor. Die Autorin, die seit 30 Jahren in Venedig lebt, stellt darin nicht nur einen Kriminalfall vor, sondern auch den tiefen Fall der Lagunenstadt. Tilmann Kleinjung hat sie getroffen.
Commissario Brunetti ist in die Jahre gekommen. Er löst seinen 25. Fall. Silbernes Polizeijubiläum für ihn und seine Schöpferin.
Nach all den Jahren sei es immer noch ein riesiges Vergnügen diese Bücher zu schreiben, sagt Donna Leon. Ein Überraschungserfolg, der in Venedigs Teatro La Fenice vor beinahe 25 Jahren begann.
"Venezianisches Finale" hieß Donna Leons Debütroman, in dem Guido Brunetti den Mord an einem deutschen Operndirigenten aufklären musste. Diesmal ist der Plot wieder typisch venezianisch:
In "Ewige Jugend" fällt eine Achtjährige in einen Kanal der Lagunenstadt, bleibt zu lange unter Wasser und überlebt nur mit schwersten Hirnschäden. Brunetti bekommt den Fall Jahrzehnte später auf den Tisch und soll aufklären, was damals wirklich passiert ist mit dem Mädchen, das mittlerweile zu einer jungen Frau herangewachsen ist.
Donna Leon: "Das Schreckliche an dieser Situation ist, dass da eine Achtjährige im Körper einer 30-Jährigen steckt. Und dieses still Groteske durchzieht das ganze Buch. Denn man sieht diese sehr charmante, freundliche, süße, junge Frau und merkt: Das ist gar keine junge Frau, das ist ein Mädchen."

Pessimistischer Blick auf Venedig

Die treibende Kraft hinter der Wiederaufnahme des Falls ist die Großmutter des Mädchens, eine echte Lady. Venezianischer Adel, so wie Brunettis Frau Paola. Wenn sie sich nicht gerade um ihre Enkelin kümmert, stemmt sich die alte Dame gegen den Untergang Venedigs, gegen den Exodus der jungen Familien.
Bei eleganten Abendessen versucht sie schwerreiche Ausländer als Sponsoren für Venedig zu gewinnen. "Damit die ganze Stadt vielleicht nicht gar so bald zusammenbricht", sagt sie zu Brunetti. Donna Leon teilt diesen eher pessimistischen Blick auf Venedig.
"Was könnte uns denn mehr Optimismus bringen? Mehr Arbeit? Vielleicht im Tourismus. Mehr Bewohner? Reiche Ausländer. Und die Stadtverwaltung wird ehrlich und arbeitet an der Verbesserung der Stadt. Vielleicht. Alles wird besser. Wir leben doch nicht im Wolkenkuckucksheim."
Donna Leon kennt die venezianische Realität seit den 60er-Jahren. Seit 1981 lebt sie in der Stadt und muss mitansehen, wie Venedig immer mehr zu einer Art Disneyland wird, wo ein normales Leben kaum mehr möglich ist. Die Touristen strömen in Massen nach Venedig, alles orientiert sich an ihren Bedürfnissen. Immer mehr Wohnungen werden in Bed&Breakfast-Apartments umgewandelt.
"Es ist sehr schwierig, eine ordentliche Wohnung zu finden zu Preisen, die Normalverdiener sich leisten können. Die Stadt wird übernommen, aufgekauft von wohlhabenden Ausländern. Und das macht Venedig zu einer unnormalen Stadt, in der nicht mehr Venezianisch gesprochen wird, wo es keine normalen Jobs mehr gibt, wo Geschäfte schließen müssen - zum Beispiel ein kleiner Laden, der Knöpfe verkauft. Ich glaube, dass die Zukunft dieser Stadt, aller Städte, die vor allem touristisch sind, ziemlich hoffnungslos ist."
Es sind zwei Fälle, die Donna Leon ihren Commissario Brunetti bearbeiten lässt: einen schwer lösbaren, spannenden und oft auch unterhaltsamen Kriminalfall und den hoffnungslosen Fall einer Stadt, die sich selbst zugrunde richtet.

Leben wie in einem Freilichtmuseum

Nur 56.000 Menschen leben noch in Venedig. Wie in einem Freilichtmuseum, das von etwa 30 Millionen Menschen pro Jahr besucht wird. Viele von denen kommen in gigantischen Kreuzfahrtschiffen, die trotz der gesetzlichen Verbote und der Proteste der Bevölkerung immer noch den "Canale della Giudecca" passieren - vorbei an San Marco. Ihre gewaltigen Bugwellen ruinieren die Fundamente der Stadt und ihre Motoren verpesten die Luft, weil sie auch nachts laufen müssen wegen der Stromversorgung.
"Alle paar Monate gibt es jede Menge Artikel in der Auslandspresse: 'Jetzt werden die Kreuzfahrtschiffe gestoppt.' Und einfältige Ausländer glauben, dass die Stadtväter tatsächlich etwas gegen die Zerstörung unternehmen. Aber die Boote werden nie gestoppt. Und dennoch glaubt die Auslandspresse das aus mir unerfindlichen Gründen jedes Mal."
Im letzten Buch von Donna Leon, in dem ausnahmsweise mal nicht Brunetti die Hauptrolle spielt, sondern das Wahrzeichen Venedigs, die "Gondola", ist ein ziemlich plakatives Bild abgedruckt. Da sieht man, wie eine Touristengondel angesichts eines gigantischen Kreuzfahrers Schiffbruch erleidet. Gegen die weißen Riesen sind die schwarzen Gondeln machtlos.

Die Lieder der Gondolieri

Donna Leon versucht zu retten, was zu retten ist. Sie macht in dem Band "Gondola" ihre weltweite Fangemeinde mit der großen Tradition des venezianischen Gondelbaus vertraut. Und mit den Liedern der Gondolieri. Das ist ihre eigentliche Leidenschaft, die Musik, die alte Musik, die in den Archiven der Seerepublik schlummert und im Gedächtnis dieser Stadt.
"Es ist eine ganz einfache Ohrwurm-Musik. Die Lieder werden in Veneziano gesungen, nicht in Italienisch. Sie sind typisch Venezianisch. Was man heute hört, ist ein Schwindel, neapolitanische Lieder, aber das assoziieren die Leute mit Venedig."
Donna Leon lebt nicht mehr das ganze Jahr in Venedig. Sie meidet den Karneval und die Sommersaison, wenn die Touristenmassen kommen. Im Oktober kehrt sie dann wieder zurück, in der Hoffnung, das Venedig wiederzufinden, in das sie sich einst verliebt hat.
"Ich bin wie die Gänse von Konrad Lorenz, ich wurde in den 60er- und 70er-Jahren von Venedig geprägt. Was ich heute sehe, ist so weit weg von diesen Eindrücken, dass ich eine ganz traurige Gans werde, wenn ich dort bin."
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