Dokumentartheater

    Schlachtfeld Erinnerung 1914/2014

    Soldaten der französischen Armee im Ersten Weltkrieg (1914-1918) in einem Schützengraben. Ausgelöst durch die tödlichen Schüsse auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand durch serbische Nationalisten am 28.06.1914 in Sarajevo brach im August 1914 der Große Krieg (später als 1. Weltkrieg bezeichnet) aus. Es kämpften die Mittelmächte, bestehend aus Deutschland, Österreich-Ungarn sowie später auch das Osmanische Reich (Türkei) und Bulgarien gegen die Tripelentente, bestehend aus Großbritannien, Frankreich und Russland sowie zahlreichen Bündnispartnern. Die traurige Bilanz des mit der Niederlage der Mittelmächte 1918 beendeten Weltkriegs: Rund 8,5 Millionen Gefallene, über 21 Millionen Verwundete und fast 8 Millionen Kriegsgefangene und Vermißte.
    Soldaten der französischen Armee im Ersten Weltkrieg (1914-1918) in einem Schützengraben. © picture-alliance/ dpa
    Von Susanne Burkhardt  · 08.06.2014
    Der Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren ist Anlass für unzählige Ausstellungen und Filme. Die Goethe-Institute in Südosteuropa lenken den Fokus auf den Westbalkan. Aus einer einjährigen Recherche entstand das multiperspektivische Theaterstück "Schlachtfeld Erinnerung 1914 – 2014".
    Belgrad, ein regnerischer Nachmittag im März. Im Hinterhof des Konsulats der deutschen Botschaft steht ein bisschen verborgen das "Zentrum für kulturelle Dekontamination", eine Institution des kulturellen Widerstandes.
    Ein nüchterner quadratischer Raum mit Platz für 150 Zuschauer. Hier findet die erste öffentliche Probe statt – das Ergebnis erster Recherchen in der serbischen Hauptstadt: Auf der ebenen Bühne: zwei große Konferenztische. Hans-Werner Kroesinger begrüßt die Zuschauer und warnt vor allzu großen Erwartungen:
    Keine fertige Show werde hier präsentiert – sondern ein Arbeitsprozess. Dann laden die Performer Damjan Kecojevic und Lajos Talamonti zum Schnell-Quiz – und appellieren an die Schwarmintelligenz des Publikums:
    Unterwegs auf "Faktenfindungsmission" werden Fragen über Fragen gestellt: "Was waren die berühmten letzten Worte, die der österreichische Thronfolger zu seiner sterbenden Frau sagte?" Oder: "Kennen Sie ein Lied aus dem Ersten Weltkrieg?" Oder: "War der Attentäter auf den Thronfolger Franz Ferdinand, der serbische Nationalist Gavrilo Princip für Sie a) ein Freiheitskämpfer b) ein Terrorist oder c) eine Marionette?" Später dann wird an die Tische gebeten – zum direkten Gespräch – mit ganz persönlichen Fragen, wie danach, wofür man in den Krieg ziehen würde oder bereit wäre zu töten.
    Der Attentäter ist für manche ein Terrorist, für andere ein Held
    Das österreichische Thronfolgerpaar wenige Augenblicke vor dem tödlichen Attentat im offenen Wagen. Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie wurden während eines Besuchs in Sarajevo erschossen.
    Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie wenige Augenblicke vor dem tödlichen Attentat im offenen Wagen.© dpa-Bildarchiv
    Fragen sind der Ausgangspunkt aller Produktionen des Dokumentartheatermachers Hans-Werner Kroesinger – so auch zu Beginn seiner Recherchen in Südosteuropa – hier, wo der Erste Weltkrieg ausgelöst wurde:
    Hans-Werner Kroesinger: "Das hat zwar hier seinen Ursprungspunkt – der Anlass für den Beginn der 1. WK war das Attentat – aber was dann weiter passiert –[...] was mit der Geschichte dieses Attentäters, diesem Gavrilo Prinzip – wie der für was herhalten muss – das hat uns interessiert.. Und dann am Ende des JH hat man wieder einen Krieg in Sarajewo – da wollen wir mal weitergucken – weil bei meinen Projekten ein wesentlicher Bestandteil ist das man versucht was zu lernen innerhalb des Projekts."
    Wie unterschiedlich der Blick auf die Geschichte sein kann – erlebten Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura während ihrer Reisen immer wieder. Der Attentäter Gavrilo Princip: für die einen ein Terrorist – für die andern ein Held. Borka Pavicevic, seit 20 Jahren couragierte Leiterin des Zentrums für kulturelle Dekontamination in Belgrad, bringt es auf den Punkt:
    Borka Pavicevic: "We are fighting for the interpretation of our history."
    Man kämpfe für die Interpretation von Geschichte. Schauspieler Damjan Kecojevic, der aus Bosnien stammt, aber in Serbien lebt, glaubt immer dann ein Unbehagen auf serbischer Seite zu spüren, wenn es ums Thema Erster Weltkrieg gehe. Da sei diese alte Furcht, als Schuldiger dazustehen, Opfer einer falschen Geschichtserzählung:
    Damjan Kecojevic: "Dieser Jahrestag führt dazu, dass da auch eine Angst gibt, über den letzten Krieg zu spreche. Besonders nicht mit Fremden – man weiß ja nicht, wie die das verwenden – ob da Zitate aus dem Zusammenhang gerissen werden – so dass am Ende eine ganz andere Geschichte herauskommt."
    Dass der erste Weltkrieg in dieser Region nicht von den letzten Jugoslawien-Kriegen zu trennen ist, erfährt auch Filmemacherin Regine Dura während ihrer Recherchen in Sarajevo und Belgrad:
    Regine Dura: "Egal mit wem man sprach – begonnen beim Ersten Weltkrieg landete man sehr emotional beim letzten Krieg und das war dann auch für uns Anlass darüber nachzudenken, wir schauen auf den Ersten Weltkrieg zurück aber es muss eine Verbindung zu heute geben – es muss ein Rückblick von heute sein – der auch den anderen Krieg, den zurückliegenden Krieg – Sarajevo – mit einschließt."
    Der Österreicher Armin Wieser (l.) und der Bosnier Benjamin Bajramovic sitzen bei der Projekt-Präsentation "1914/2014 - Schlachtfeld Erinnerung" im Sarajevo-Kriegstheater.
    Der Österreicher Armin Wieser (l.) und der Bosnier Benjamin Bajramovic sitzen bei der Projekt-Präsentation "1914/2014 - Schlachtfeld Erinnerung" im Sarajevo-Kriegstheater.© picture alliance / dpa
    Ein Rückblick, der gleichzeitig die verschiedenen Sichtweisen auf die Ereignisse verbindet. Hans-Werner Kroesinger will den Zuschauern also viele "Wahrheiten" anbieten und damit nachdenklich machen:
    Hans-Werner Kroesinger: "Es gibt so einen schönen Satz – weiß nicht mehr von wem – Der Held auf der einen Seite des Flusses kann der Terrorist auf der anderen Seite des Flusses sein - und schön wärs, wenn man ein Theaterstück konstruieren könnte, wo man im Prinzip auf diesem Fluss permanent in Bewegung ist – man kann bei keinem Ufer anlegen, weil man von beiden Ufern immer abgestossen wird. Aber in dem Prozess der Abstoßung erfährt man vielleicht relativ viel über sich selbst – auf diesem Boot – auf dieser Reise auf der man sich da befindet."
    Istanbul im April diesen Jahres: im Tütün Depo, einem alten Tabakkontor eröffnet der Leiter des Goethe-Instituts Istanbul, Christian Lüffe das Ausstellungsprojekt "Open Spaces" - ein weiterer Material-Baustein des Projektes "Schlachtfeld Erinnerung". Hier sind Dokumente, Bilder, Videos und Interviews versammelt, die Regine Dura und Hans-Werner Kroesinger im vergangen Jahr und bei Workshops mit türkischen und deutschen Schülern und Studenten erarbeitet haben – mit zum Teil sehr persönlichen Geschichten.
    Regine Dura: "Die Idee ist, einfach ein lebendiges Archiv zu schaffen – etwas was wächst – immer anwächst, und mehr Material produziert und so ne Art von kollektivem Gedächtnis ist, das mit neuen Erinnerungsfragmenten gespeist wird."
    Poskarten aus dem Ersten Weltkrieg in einer Videoinstallation
    Regine Dura verweist auf eine Arbeit von Hamit Annak, einem türkischen Filmemacher, der aus der Schulzeit über den Ersten Weltkrieg nur Fakten kennt. Was der Krieg mit den Menschen macht, darüber wurde nicht gesprochen. Für seine Videoinstallation hat er Postkarten verwendet, die im Ersten Weltkrieg verschickt wurden – jetzt blitzen sie auf einem Bildschirm kurz auf – zu fast schmerzhaft-nervigen elektronischen Klängen. Wie in einem Daumenkino blättert das Video durch Bilder von Erschießungen, Kindern mit Gasmasken aber auch stolzen Soldaten, Ehepaaren – verharrt immer wieder kurz. Eine Reise durch die verschiedenen Erinnerungen an den Krieg.
    Hamid Annak : "Mit diesem Projekt will ich einen persönlichen Blick auf den Krieg werfen – nicht den von Politikern oder Regierungen. Krieg ist etwas Schlimmes und noch immer gibt es Kriege auf der Welt. Ich versuche den Leuten zu zeigen, was der Krieg mit den Familien macht, mit ihrem Leben, ihren Träumen. Das ist alles."
    Neben Arbeiten wie dieser und sehr persönlichen Auseinandersetzungen mit dem Ersten Weltkrieg, wenn beispielsweise Urgroßmütter per Skype zu Immigration befragt werden, haben sich Regine Dura und Hans-Werner Kroesinger auch auf die Spuren der "deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft" begeben.
    Ein Jahr lang waren sie Stipendiaten der deutschen Kulturakademie Tarabya – die direkt an einem deutschen Soldatenfriedhof mit 667 Gräbern liegt. In vielen Gesprächen und Recherchen haben sie sich genauer mit der Geschichte des Friedhofs und der Rolle der Deutschen im deutsch-türkischen Bündnis befasst. Auch dazu gibt es in "Open Spaces" viel Material, z.B. den Schriftverkehr zwischen deutschen Generälen und Botschaftern in Istanbul. Man braucht Zeit und Muße für all die Informationen. Den Besuchern bei der Eröffnung – größtenteils Historiker einer Internationalen Konferenz zum Ersten Weltkrieg – macht das nichts aus. So eine Art Ausstellung habe er in der Türkei noch nie gesehen, betont Kamil Yildrim von der Marmara-Universität Istanbul:
    Kamil Yildrim: "Die Helden sind immer präsent, weil wir halb so Agrarland sind und nicht so stark industrialisiert sind – deswesgen gibt es bei uns nicht so richtig ein Individuum. Als ich Schüler war, hatten wir auch den anderen Teil des Osmanischen Reichs – das Imperium, diese glänzende Zeit – gehabt, aber damals hatten wir auch die Balkanländer verloren – und das war ein Trauma für das Land – der beste Teil war wieder weg."
    Traumata und Krisen – eine gute Zeit für Helden. Ein Begriff, der in manchen Schulen Osteuropas heute noch unhinterfragt gelehrt und weitergetragen wird, wie Regine Dura bei ihren Recherchen erfuhr:
    Regine Dura: "Wenn Krieg eine Zivilgesellschaft so zerstört , ist es sehr schwierig für mich persönlich von Helden zu sprechen. Aber man merkte dass es sehr schwierig ist – man kommt nicht wirklich in ein Gespräch, es bleiben wirklich zwei unterschiedliche Erfahrungswelten die voreinander stehen."
    Performance auf einem deutschen Soldatenfriedhof
    Ein paar Tage später, es regnet und ist merklich abgekühlt, treffen wir die Historiker der Konferenz in Tarabya wieder. Hans-Werner Kroesinger begrüßt zu einer Performance auf dem deutschen Soldatenfriedhof. Dann führen ein deutscher und türkischer Schauspieler mit Megaphonen über das idyllisch am Bosporus gelegene Gelände, an den Gräbern entlang. Ein wunderbar verwunschener Ort. Es erklingen Schubert-Lieder einer Sopranistin, die immer wieder kurz zwischen den Bäumen erscheint, Klangcollagen schweben zwischen den Büschen – wir bleiben hier und da stehen – dann werden Geschichten erzählt:
    "Ich weiß nicht, wer die wundervolle Idee gehabt hat den kleinen Ruheplatz des Botschafters von Wangenheim und seines Militärattache – im kaiserlichen Botschaftsgarten zu einem Heldenfriedhof auszugestalten."
    An einzelnen Gräbern erfahren wir die zum Teil ungewöhnlichen Geschichten der hier liegenden Soldaten. Neben diesen sehr persönlichen Schicksalen Einzelner gibt es immer wieder Textcollagen:
    Den türkischen Historiker Mustafa Gencer erinnert der Besuch auf dem Friedhof von Tarabya an eine türkische Besonderheit, den Ersten Weltkrieg betreffend:
    Mustafa Getschiat: "Wir wissen nicht mal die Namen von türkischen Soldaten – wir wissen nicht wie die heißen – eine solche Gedenkstätte haben wir leider nicht – von daher nochmal Würdigung für diese deutschen Verhältnisse hier am Bosperus."
    Wenn am 11. Juni im Berliner Theater Hebbel am Ufer all die Recherchen, Gespräche, Perspektiven zu einem finalen Abend zusammengeführt werden, haben Regine Dura und Hans-Werner Kroesinger viel gelernt über die Traurigkeit und Sinnlosigkeit von Krieg, über Feindbilder, Nationen und Identifikation. Die Projektmitarbeiter werden ihre persönliche Sicht auf Geschichte um viele Blickwinkel erweitert haben und das Publikum zu einer Reise laden, bei der es auch viel über sich erfahren kann.