Dokumentarfotografie

Elend in Glanz und Würde

Der Fotograf Sebastiao Salgado
Der Fotograf Sebastiao Salgado © picture alliance / dpa / Foto: Kerim Okten
Von Anette Schneider · 27.07.2014
Der sozial engagierte Fotoreporter Sebastiao Salgado hat in 40 Jahren zahlreiche Langzeitprojekte geschaffen, in denen er sich Flüchtlingen und Armen widmet. In Bremen ist jetzt seine Serie "Exodus" zu sehen.
Ein Bagger fährt direkt auf den Betrachter zu. Vor sich her schiebt er - Leichen.
Ein anderes Bild zeigt Hunderte Flüchtlinge, die sich mitten im Dschungel an einem Bahngleis verstecken. Nichts haben sie dabei - nur sich konnten sie retten.
Und dann erblickt man auf einer weiten Ebene Tausende Flüchtlinge mit ihren Habseligkeiten - und im Vordergrund sitzt eine junge Frau und hält ihr lächelndes Kind.
Salgado fotografierte diese Szenen 1994 in Ruanda. Doch mit herkömmlichem Fotojournalismus haben sie nichts zu tun. Kuratorin Karin Walter:
"Er kommt, wenn die anderen Fotografen schon weg sind. Er lebt ganz bewusst mehrere Wochen, Monate dort in den Flüchtlingslagern. Und dadurch bekommt er eine ganz andere Nähe zu den Menschen, und deren Situationen. Und macht deshalb auch andere Fotos, als andere machen. Den Unterschied sieht man einfach: Dass die Leute ihm vertrauen. Dass er ganz nah an die Leute heran kommt."
Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht vor Hunger, Armut, Verfolgung, Krieg. Mit seinen Bildern gibt Salgado diesen Menschen ein Gesicht. Und er deckt mit ihnen Ursachen und Zusammenhänge des Elends auf. So widmet sich ein Kapitel der Ausstellung der Landflucht in Ecuador: Seit die Konquistadoren den Indios ihr fruchtbares Land raubten, kämpfen diese ums Überleben. Man sieht, wie sie in unwirtlichen Höhen an steilen Berghängen winzige Terrassenfelder anlegen, wie sie im ewigen Wolkennebel Reisig sammeln - und dann dieses Dasein ohne Perspektive verlassen, und hoffnungsvoll aufbrechen Richtung Mexiko.
"Die Leute gehen weg vom Land, die ziehen raus aus ihren über Jahrhunderte geprägten Sozialstrukturen, gehen in diese Großstädte, weil sie auf ein besseres Leben hoffen. Nur wenige schaffen es, man weiß es, viele enden dann in den Slums."
"Ich lebte in der Fotografie"
Auch Salgado ist ein Flüchtling: Während der Militärdiktatur musste er Brasilien verlassen, und floh 1969 mit seiner Frau nach Paris, wo beide bis heute leben. Einige Jahre reiste er für ein Kaffee-Unternehmen durch die Welt. Doch was er in Afrika und Asien sah, ließ ihn 1973 den Beruf wechseln: Er wurde Fotograf. Einer, dem die Fotografie zu seinem Leben wurde, wie er kürzlich auf einer Konferenz in Kalifornien erklärte:
"Ich begann Fotografie zu machen, wie sie für mich wichtig war. Viele sagen, ich sei ein Fotojournalist, ein ethnografischer Fotograf, oder ein Foto-Aktivist. Aber ich machte viel mehr als das: Ich lebte in der Fotografie. Die Fotografie wurde zu meinem Leben."
Salgado fotografiert parteilich, mit konsequentem Blick von unten. Er ist solidarisch mit den Armen, mit den Opfern kapitalistischer Wirtschafts- und Profitinteressen. Das Besondere dabei: Er zeigt Arme und Flüchtlinge nicht nur als Opfer, sondern gibt ihnen durch seine Vorgehensweise ihre Persönlichkeit zurück.
"Für viele Flüchtlinge ist das ja so etwas, die gehen so in der Masse unter. Und dann ist da plötzlich ein Fotograf, der sich ihre Geschichte anhört. Er spricht vier Sprachen, wo er auch sagt, das ist ein großer Vorteil, er kann mit den Leuten auch kommunizieren. Er nimmt sie ernst. Er hört sich die Geschichte an, und fotografiert sie. Das werden dann Bildikonen für ihn, aber man merkt einfach, es war vorher ein persönlicher Kontakt da."
Kritik an Ästhetik der Fotos
Oft wirken seine Schwarz-Weiß-Fotos wie altmeisterliche Gemälde. Etwa die Panoramabilder von Flüchtlingslagern im Sudan oder in Ruanda: Da steigt Nebel aus dem Regenwald, vermengt sich mit dem Rauch zahlloser Feuerstellen von Flüchtlingen, die zu Tausenden auf einer riesigen Ebene lagern. Viele kritisieren, solche ästhetischen Fotos würden dem Elend Glanz verleihen. Doch was hieße das im Umkehrschluss? Dass man Menschen in Not nur hässlich und leidend zeigen darf, und ihnen so den Rest ihrer Würde nimmt?
Und, so gibt Karin Walter zu bedenken:
"Es ist eigentlich viel subtiler: Gerade weil sie so ästhetisch sind, schaut man sich’s an - und bekommt erst auf den zweiten Blick mit 'Was ist das eigentlich?'."
Außerdem ist Salgado eben kein Nihilist. Er zeigt das Elend der weltweit um ihre Heimat gebrachten Menschen gerade nicht als schicksalhaft und unveränderbar. Neben den Ursachen, die er aufdeckt - die scharf formulierten Ausstellungstexte seiner Frau tun ein Übriges - hält er immer wieder Momente der Hoffnung und der Gegenwehr fest: So, wenn er brasilianische Landlose bei der Besetzung riesiger Ländereien begleitet, die weiße Großgrundbesitzer brach liegen lassen, weil sie auch ohne deren Bewirtschaftung in Geld schwimmen.
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