Dokumentarfilmer Andres Veiel

"Ich habe im Gefängnis angefangen zu inszenieren"

Andres Veiel im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur auf der Berlinale
Andres Veiel im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur auf der Berlinale © Foto: Getty für Audi
Moderation: Katrin Heise · 17.02.2017
Der studierte Psychologe Andres Veiel ist mit dem Film "Black Box BRD" als Regisseur bekanntgeworden. Bei der Berlinale zeigt er seine Dokumentation über den Künstler Joseph Beuys. Veiel sprach mit uns über verdrängte NS-Geschichte und darüber, wie Beuys die Finanzkrise prophezeite.
Dokumentarfilmer agieren eher am Rand der Filmbranche: Andres Veiel ist anders. Er hat sich einen Namen weit über die Grenzen seines Genres gemacht, mit Filmen wie "Black Box BRD" oder "Der Kick - Ein Lehrstück über Gewalt". Bei der diesjährigen Berlinale ist er mit seinem Film "Beuys" im Wettbewerb.
Warum er Beuys bis heute aktuell findet, erklärt Andres Veiel so:
"2008, 2009, das war ein Jahr nach der Finanzkrise, wo ich dachte - das ist interessant, dass ein Künstler sich in dieser Zeit, zu diesen Fragen schon geäußert hat.
Das heißt, er guckt nach vorne. Er ist heute aktuell, und es ging für mich eben nicht darum, einen Film über einen großen Künstler des letzten Jahrhunderts zu machen, um noch mal zu sagen 'Guckt her, damals gab es das und das'. Entscheidend war für mich, zu zeigen, da ist ein Künstler, der heute Fragen hat und Antworten gibt."

Sein Großvater war General im Russlandfeldzug

Andres Veiel gehört zu den bekanntesten Dokumentarfilmern Deutschlands. Seit seinem großen Erfolg "Black Box BRD" über den Bankenmanager Alfred Herrhausen und den RAF-Terroristen Wolfgang Grams gilt er als Analytiker der bundesrepublikanischen Geschichte, besonders auch der RAF-Zeit. Der 57-Jährige befasste sich auch mit der NS-Geschichte und spürte früh, dass seine eigene Familie zu ihren Verstrickungen im Nationalsozialismus geschwiegen hatte.
"Ich bin auch in einer Familie aufgewachsen, wo über vieles nicht gesprochen wurde, auch was die Vorgeschichte meines Vaters, vor allem meines Großvaters im Dritten Reich anging. Er war General im Russlandfeldzug. Also von daher war das Schweigen für mich eher eine Art von Entkommen-Wollen. Ich glaube, dass ich sehr früh gemerkt habe, dass auch im Schweigen der Körper spricht. Das heißt, es geht nicht nur darum, was ein Mensch sagt. Auch, wenn er etwas nichts sagt, spricht der Körper."

Menschen nicht vom Defizit aus begreifen

Angefangen hat die künstlerische Karriere des studierten Psychologen im Gefängnis. Damals merkte er sehr bald, dass er sich davor hüten sollte, Menschen zu schnell in bestimmte Schubladen zu stecken.
"Ich habe im Gefängnis angefangen zu inszenieren noch im Rahmen des Studiums, und habe mich geweigert, irgendwann Akten zu lesen. Weil in diesen Akten der Psychologie, was da erfasst wird, das geht immer vom Defizit aus.
So kann man einen Mensch natürlich auch betrachten, was er alles nicht kann, hier Schule abgebrochen, da erste Gewalttat, Frustrationstoleranz ist sehr gering, schlägt sofort zu, stimmt alles. Aber in dem Sinne war ich damals, ohne es mit Beuys in Verbindung zu bringen, auch schon bei Beuys, dass ich gesagt habe, mich interessiert nicht, was sie nicht können. Mich interessiert das, was sie können."
Andres Veiel präsentiert auf der 67. Berlinale seinen Film "Beuys".
Andres Veiel präsentiert auf der 67. Berlinale seinen Film "Beuys". © Deutschlandradio / Oranus Mahmoodi
Andres Veiel gräbt sich geradezu in seine Themen hinein, so auch in seinen Recherchen über einen 16-jährigen Mörder. Daraus entstand das Theaterstück "Der Kick", dem ein Film und ein Buch folgten. Jahrelang beschäftigte er sich auch mit der Rolle der Deutschen Bank in der Finanzkrise, was er in dem Theaterstück und Hörspiel "Himbeerreich" verarbeitete.
Im Gespräch mit Moderatorin Katrin Heise erzählt Veiel, wie er sich an die Menschen, mit denen er spricht, herantastet:
"Ich will ja nicht investigativ eine Tatsache, die sie verstecken, herauskitzeln. Ich will, dass sie erstmal bei sich selbst ankommen und die Gedanken, die ihnen in dem Moment kommen, jenseits des Statements, jenseits des schon bereits Vorgefertigten, dass ich ihnen beim Denken zuschaue. Das heißt in dem Moment werden Gedanken formuliert, die gerade dann erst entstehen.
Da braucht es das Schweigen eben auch dazu. Es ist nicht ein Abrufen, sondern es ist ein Produzieren von Denken und das geht nur durch Ruhe, durch Vertrauen, durch einen Prozess, der nicht durch einen Endpunkt schon bestimmt ist. Nicht durch ein Abliefern, sondern durch ein gewähren lassen."
Für seinen neuen Film "Beuys" hat er bisher unbekanntes Archivmaterial über den Künstler entdeckt. Der Film feierte auf der Berlinale Weltpremiere.