Dokumentarfilm über Tower Records

Aufstieg und Fall des größten Plattenladens der Welt

Tower Records
Kurz vor dem Bankrott: Eine Filiale von Tower Records 2003 in New York City. © imago/ZUMA Press
Von Laf Überland · 01.06.2016
Bevor es soziale Netzwerke gab, gingen Musikfreunde und Rockstars in Plattenläden. Einer dieser legendären amerikanischen Megastores war Tower Records. Colin Hanks, der Sohn von Tom Hanks, hat jetzt mit der Dokumentation "All Things Must Pass" daran erinnert.
Es fing mit Papa Solomons Drugstore an, in Sacramento, Kalifornien: ein Gemischtwarenladen in einem Kinogebäude namens Tower Movies, in dem der Alte neben Zeitschriften, Getränken, Medikamenten und Klamotten auch gebrauchte Singles aus den Jukeboxen verkaufte. Sein Sohn, der junge Russ, kam nun auf die Idee, man könne doch auch neue Schallplatten verkaufen – und nicht einfach völlig durcheinander in Regalfächer gepresst, sondern geordnet nach Interpreten, nach Stilen...
Papa fand das ziemlich dämlich, aber er ließ den Jungen. Und so machte Russ Solomon 1960 mit Tower Records also den Prototypen dessen auf, das später als "Plattenladen" Jahrzehnte lang ein fester Bestandteil der Jugendkultur werden sollte – im Geist einer gerade anbrechenden Zeit!
Russ Solomon: "It was the music that was meaningful young people’s lives – to everybody, really, but mostly young people..."
Man sieht und hört Russ Solomon seine 90 nicht an, wenn er, lässig im Sessel hängend, an seinem Whisky nippt, während er die Geschichte dieser großen Familie von Gleichgesinnten und Pilgern erzählt, die den Plattenladen in Sacramento zu einer globalen Megastore-Kette machte; und von den Kids, die auf dem Kleinstadtparkplatz vor dem Laden rumhingen und dann nach und nach reinkamen, um Musik zu hören, wie in den Abhör-Kabinen rumgemacht wurde; und Solomon erzählt, sie hätten extra helle Lampen darüber gehängt, damit die Hitze die Kids raustreiben würde: Verboten war nämlich eigentlich nichts bei Tower Records.

Durchbruch in den 70er-Jahren

Auch nicht, als es mehr Läden wurden und nach Sacramento und San Francisco der wichtigste Laden in Los Angeles aufmachte – alle betrieben vom ständig wachsenden Stamm von Freunden, die Solomon in seine Läden reinholte, Nachbarn, Bekannte von Nachbarn: Wichtig war nicht, dass sie Erfahrung als Verkäufer hatten, sondern, dass sie Musikverrückt waren! Und das mitteilen konnten wie die Verkäuferin Heidi Cotler.
Heidi: "I learned how to swear, I learned how to drink, I learned how to do drugs..."
Es wurde geflucht, getrunken und gekokst – Hauptsache, die Leute taten ihre Arbeit. Und das Koks wurde ein paar Jahre lang unter einem Tarnbegriff sogar von der Steuer des Ladens abgesetzt, denn es machte die Angestellten aufgeschlossen – was auch der Tower-Records-Fan Bruce Springsteen zu schätzen weiß...
Springsteen: "Everybody in a record store is a little bit your friend for twenty minutes or so."
In den 70ern ging es dann los, dass Stars kleine Konzerte in den Läden gaben. Jede Filiale hatte eine eigene Kunstabteilung, die wechselnde Plattencover auf die Fassaden malte und Figuren aus Styropor schnitzte und aufs Dach stellte. Und die Läden wurden immer größer! Bald gab es auch Klassik und Jazz; der Ehrgeiz war, jede Platte, die es auf der Welt gab, auch bei Tower Records zu haben.
Elton John kam deshalb immer mit einer ellenlangen Liste rein und guckte durch seine riesigen Brillengläser die Cover durch und sagte seinem Chauffeur, was der einpacken sollte. Sowieso war Tower Records bald das Tages-Zentrum der Rockkultur, wie Bruce Springsteen sich erinnert.
Springsteen: "If you were a young musician and you came into town and you didn’t know what to do, the first thing you did was you went to Tower Records!"
Dave Grohl, bevor er Schlagzeuger von Nirvana wurde, war nicht nur als Fan und Kunde bei Tower Records, er hat dort auch gearbeitet, weil dieser Laden der einzige war, wo er mit seiner Matte einen Job kriegte.
Grohl: "I got a job at Tower Records cause that’s the only place I could get a job with my fucking haircut. That is the truth!"

Zeichen der Zeit nicht erkannt

Es ist witzig, sich im Film zumeist alte Männer anzugucken, die auf den unzähligen Fotos, Super-8-Schnipseln und Schnappschüssen als langmähnige Freaks herumhampeln. Ja, die Rockkultur ist doch schon ein bisschen alt geworden. Und deshalb hat die Zeit sie ja dann auch doch überholt!
Die CD-Wende haben Tower Records noch gut überstanden, sie waren sogar Vorreiter der neuen Mode! Aber als dann Napster kam und die mp3, da verstanden Russ Solomon und seine Leute nicht die Zeichen der Zeit – zu sehr genossen sie ihr Leben in Sex & Drugs & Rock’n’Roll auf beiden Seiten des Verkaufstresens.
Russ’ Bruder: "We were becoming famous worldwide, and we enjoyed that. But I suppose it struck our egos to a certain point!"
Ganz nebenbei erzählt Regisseur Colin Hanks (der Sohn von Tom Hanks) in dieser verliebten Familien-Dokumentation auch noch eine kleine Geschichte der Musikindustrie. Denn All Things Must Pass: The Rise and Fall of Tower Records spiegelt den Niedergang der Rockmusik als Lebensmittel und Medizin – und besonders in dem einen Satz jener Frau, die die Banken eingesetzt hatten, um bei der Firma aufzuräumen, und die Russ Solomon beschied, man brauche in diesem Geschäft keine Visionäre.
Russ: "I remember so vividly going to the first meeting. And this idiot woman says to me: We don’t need a visionary..."
Als sei dieser prototypische Rockmusik-Fanhimmel Tower Records nur ein langes Experiment gewesen, das dann eben gescheitert war. Aber das ist Quatsch. Es war nur eine Kulturphase, die jetzt zu Ende ging mit der Bedeutung der Rockmusik und der Tonträger, die man anfassen konnte!
Russ: "We were part of people’s lives, because music was part of people’s lives!"

Dokumentation "All Things Must Pass: The Rise and Fall of Tower Records"
Regie: Colin Hanks, 2015, USA, 93 Minuten
Darsteller: Bruce Springsteen, Sir Elton John, David Grohl
Als DVD und Blu-ray erhältlich, 12,99 Euro