Dokumentarfilm "Mali Blues"

Malis Musikszene im Schatten des Terrorismus

Lutz Gregor im Gespräch mit Susanne Burg · 24.09.2016
Die Sängerin Fatoumata Diawara steht im Zentrum des Dokumentarfilms "Mali Blues". Der deutsche Regisseur Lutz Gregor ist mit Diawara gereist und hat die traditionelle malische Musik erkundet. Im Gespräch berichtet er über seine Erfahrungen in dem teils von Islamisten beherrschten Land.
Susanne Burg: Lutz Gregor, zwischen 2012 und 2013 war der Norden Malis zehn Monate lang von radikalen Islamisten beherrscht, Musik war verboten. War das für Sie der ausschlaggebende Moment, dass Sie beschlossen haben, einen Film zu drehen oder wie kam es zu dem Projekt?
Lutz Gregor: Der unmittelbare Anlass war tatsächlich die Entwicklung der Situation im Norden Malis 2012. Es gibt aber im Hintergrund … Ich war mit anderen Filmprojekten seit 2008 öfter in Mali, habe einen Film über die Manuskripte in Timbuktu gemacht, andere Filme, und habe da auch viele Musiker kennengelernt. Als wir dann 2011 zurückgegangen sind nach Deutschland, gab es diese Besetzung im Norden, und einen Monat später habe ich auch Fatoumata Diawara in Hamburg bei einem Konzert kennengelernt, und da haben wir überlegt, ob wir irgendwas zusammen machen können über die Musiker, die auf diese politische Situation reagieren, und das war der Ausgangspunkt.
Burg: Genau, ich wollte Sie fragen weil Sie hätten ja auch einfach einen Porträtfilm über Fatoumata Diawara machen können, ist ja irgendwie ein Star in der Weltmusikszene. Sie haben aber dann beschlossen, noch drei weitere Musiker in den Film hineinzunehmen. Wie haben Sie sich für diese Musiker entschieden?
Gregor: Wie gesagt, wenn ich zu anderen Filmprojekten in Mali war, hört man natürlich immer die Musik aus Mali, und die ist so komplex und so vielseitig, und wir haben sie alle immer sehr geliebt, und klar war von Anfang an, als ich Fatoumata getroffen habe, auch als Persönlichkeit, die hätte ich gerne in dem Film, aber es sind halt so viele andere Musiker, die man kannte oder auch musikalische Stilrichtungen. Da war dann eben die Entscheidung, zu sagen, wir versuchen, verschiedene Stilrichtungen zu bekommen, die repräsentativ für bestimmte musikalische Richtungen in Mali sind. Das eine ist eben ein Rapper, der von der Straße kommt, auch unter sehr relativ einfachen Verhältnissen lebt, aber es ist auch bekannt, dass die Rapper in der ganzen politischen Bewegung in Senegal, in Burkina Faso, wo es um politische Veränderung geht, sehr an der Front sind. Bassekou Kouyaté kommt aus dieser traditionellen Griot-Familie, eine der größten in Mali, und deren Aufgabe war es immer, Konflikte zu vermitteln, im Privaten wie auch im Politischen, und weil sie eben Lobhymnen auf die Herrschenden sangen, waren sie weniger kritisch als die Rapper heutzutage, und auch Bassekou hält sich oft in bestimmten Dingen zurück, greift aber mit seiner Musik auch heute in die politische Situation ein, um die Gemüter zu sänftigen. Dann Ahmed Ag Kaedi, der einer der wenigen von den vielen ist, der direkt betroffen war durch die Situation im Norden Malis, weil er aus dem Norden fliehen musste. Der nimmt natürlich die Situation, von der Familie getrennt zu sein, die Situation der Tuareg in seiner Musik auf, und die repräsentieren tatsächlich nicht nur verschiedene Musikstile, sondern auch verschiedene Schicksale.
Burg: Dieser Tuaregmusiker Ahmed Ag Kaedi, der lebt jetzt, als Sie ihn gefilmt haben, in Bamako, tausend Kilometer entfernt von da, wo er herkommt. Man hat das Gefühl, er leidet in Bamako. Er sagt, wie wichtig es ihm aber auch ist, in Mali zu bleiben. Er würde nie nach Europa gehen. Wie entwurzelt haben Sie ihn erlebt trotzdem?
Gregor: Ahmed ist jemand, der mir persönlich sehr nahesteht, also wir sind inzwischen auch befreundet, und es gibt eine ähnliche Art von Humor, obwohl die Lebenssituation eine vollkommen andere ist. Er hat mich sehr berührt durch sein persönliches Schicksal, der hat als Tuareg aus dem Norden, aus Kidal, dort oben noch seine Familie, Frau und ein kleines Kind, was er kaum kennt, und seine Herde. Von daher war er wenig flexibel, die ganze Familie nach Bamako zu holen. Er ist mit seinem älteren Sohn nach Bamako gegangen, weil er 2012 von den Dschihadisten auch bedroht wurde als Musiker, also tatsächlich körperlich bedroht und dass sie ihm die Finger abhacken werden, und da musste er fliehen, und der leidet tierisch. Also es ist so ein Hauptthema, die Trennung von der Familie. Er fährt manchmal zurück, aber lange Zeit war er gar nicht da, weil es gar nicht ging, weil er Angst hatte, er wird geschnappt. Ahmed ist jemand, auch im Unterschied zu den anderen Musikern, der bisher am wenigsten Weltkarriere gemacht hat. Er ist in seiner Art sehr, sehr bescheiden, und wenn es passiert, passiert es, aber er ist keiner, der so da hinterher ist. Ich glaube, der Grund ist, dass er auch sagt, was soll ich draußen in der Welt, ich würde nie ins Ausland ziehen, wie viele andere Musiker, diese ganze malische Diaspora. Er braucht die Inspiration aus dem eigenen Land, und das ist natürlich in einer gewissen Weise geradezu eine Metapher, dass er nicht fliehen will, sondern versuchen will, mit seinen Mitteln in seinem Land die Dinge zu verändern, statt woanders sein Glück zu suchen.

Man trifft sich mal in London, mal in Paris

Burg: Man erfährt ja auch in Ihrem Film, dass es unglaublich viele verschiedene Ethnien gibt und dass diese vier Musiker, die Sie porträtieren, dann auch gemeinsam ein Lied singen. Wie stark ist auch der Wille dieser vier Musiker, was zum Frieden im Land beizutragen?
Gregor: Der Wille, etwas zum Frieden beizutragen, bei den Musikern ist, glaube ich, sehr stark. Jeder hat gerade in Konfliktsituationen, in einer Kriegssituation diesen starken Impuls, wir müssen für den Frieden in unserem Land sorgen, die Gemüter besänftigen, die Konflikte dämpfen und mit unserer Musik, mit unseren Musikclips Einfluss nehmen. Auf der anderen Seite ist es halt so, es gibt halt bestimmte Konflikte, und die sind auch noch nicht gelöst. Zum Beispiel ist es so, dass die Tuareg im Süden des Landes, in Bamako, immer noch nicht sehr beliebt sind, weil gesagt wird, die Tuareg haben den Islamisten Tür und Tor geöffnet, weil sie für die Unabhängigkeit des Nordens gekämpft haben, und da gibt es dann eben auch, ich sage mal, unter den Musikern Animositäten, und das spürt man auch, tritt zusammen auf, das heißt aber nicht, dass man unbedingt hinter der Bühne zusammen isst.
Burg: Sie haben auch eine sehr schöne Szene, wo Fatoumata Diawara sich mit dem Tuaregmusiker unterhält und ihn fragt, na ja, irgendwie habe ich immer das Gefühl, ihr lächelt gar nicht. Warum, ist es die Wüste, die dazu führt, dass ihr so ernst seid. Also da merkt man auch, dass es so, tja, ein Nichtwissen innerhalb des eigenen Landes gibt. Also war es auch irgendwie so eine Annäherung der Musiker untereinander durch den Film?
Gregor: Ja, es war sicherlich eine Annäherung. Wir haben die ja auch zusammengebracht. Die kannten sich teilweise nicht durch gemeinsames Musizieren. Also Bassekou und Fatou kennen sich durch internationale Tourneen, und dann trifft man sich mal in London, mal in Paris irgendwo und kommt zusammen da auf die Bühne. Das ist schon üblich. Bei anderen war es nicht so. Konkret Fatou und Ahmed haben wir zusammengebracht, weil wir dachten, ihr müsst euch kennenlernen, und die haben sich auch sehr gut verstanden. Da ist eine ähnliche Sensibilität, und Fatou ist halt jemand, die ist total neugierig, und die kennt die Wüste nicht, und von daher ist sie an jemanden wie Ahmed natürlich interessiert und redet über diese Ernsthaftigkeit und auch diese Traurigkeit, die man bei ihm sieht und die auch vielleicht symptomatisch für die Tuareg ist. Man muss sagen, Fatou ist zwar von malischen Eltern in der Elfenbeinküste geboren worden, ist dann aber mit sieben, acht Jahren nach Mali zu einer Tante geschickt worden. Darunter hat sie sehr gelitten, dass sie so lang von ihren Eltern – zehn Jahre, glaube ich – getrennt war und ist dann mit 17, 18 nach Frankreich geflohen. Die kennt ihr Land gar nicht so gut, und von daher, in dem Film wird ja auch deutlich, das ist das erste Konzert, was die Frau, die als die Stimme Malis gilt, in ihrem eigenen Land gibt. Das ist schon paradox und auch für sie. Es war sehr berührend, dann in Ségou bei dem Festival da diesen Auftritt zu filmen. Von daher kommt sie aus Mali und ist gleichzeitig fremd da, und das ist so ein bisschen ihr Schicksal.
Burg: Bei dieser Szene, bei dem Auftritt oder vor dem Auftritt, da ist sie ja sehr, sehr nervös, und ich habe mich gefragt, welche Absprachen gab es eigentlich zwischen ihnen beiden, wo sie dabei sein dürfen und wo auch nicht. Was waren die Grenzen, was Sie filmen durften?

Fatoumata Diawara ist Kameras gewöhnt

Gregor: Wir hatten keine Absprachen. Also wir haben – das hat auch eine Zeit lang gedauert – also dann schon, würde ich sagen, ein relativ gutes Vertrauensverhältnis aufbauen können, und von daher sind wir in die Situationen, wo wir dachten, dass es notwendig ist mit der Kamera, reingekommen, und das war dann irgendwo auch selbstverständlich. Man muss auch wissen, Fatou ist auch Schauspielerin. Also sie hat in mehreren Filmen mitgemacht, zuletzt in Sissakos Film "Timbuktu". Die ist an Kameras gewöhnt. Von daher kann man auch sehr dicht sein, sehr nah an ihr sein, und sie bleibt trotzdem, für meine Begriffe, relativ natürlich.
Burg: Wenn man einen Film macht über, ja, Musik in Mali, in Afrika, wenn man die Bilder zeigt, dann bewegt man sich ja auf einem Terrain, wo es … Es gibt eine Flut von Bildern, die in so ein bestimmtes Klischee auch ganz schnell, wo man in so ein bestimmtes Klischee rutscht von der Landbevölkerung, von bunten Kleidern und so weiter. Wie sind Sie damit umgegangen? Sie zeigen ja durchaus auch sehr viele Bilder aus dem fahrenden Auto, von staubigen Straßen und Menschen am Straßenrand, die Handel betreiben, aber wie bewusst sind Sie damit umgegangen?
Gregor: Das ist natürlich eine ganz schwierige Frage. Es ist klar, wir fahren nach Afrika mit dem Blick von weißen, reichen Westlern. So, und dann ist es aber schon so, bei allen Schwierigkeiten und Widersprüchen, sich an ein Land wie Mali da zu gewöhnen, weil da gibt es einfach viele Widersprüche und du siehst viel Elend, du siehst Dreck. Das ist alles nicht einfach, und trotzdem versucht man, weil man die Menschen so mag und so liebt und sieht, was die da alles mit wenigen Mitteln auf die Beine stellen, versucht man, so weit wie möglich, Informationen zu sammeln, zu recherchieren, sich ein bisschen, ein Stück zu adaptieren und auch die eigenen Vorurteile unserer eigenen ganzen meinetwegen postkolonialen Projektionen aufzulösen. Das gelingt ein Stück, und es gibt einen Regisseur, der in Bamako, als wir eine interne Projektion gehabt haben, gesagt hat, es wirkt fast wie ein Film, die Afrikaner gemacht haben, weil ihr seid offensichtlich nicht in die Falle von vielen Klischees getappt. Keine Ahnung, darüber kann man diskutieren. Wenn wir jetzt diese Blicke aus dem Auto, die sind natürlich sehr Blicke von außerhalb. Jemand fährt wie ein Tourist durch die Landschaft. Das ist schon klar, und diese Blicke sind mir auch wichtig, weil du guckst, wie wir eben halt gucken: da leben diese Menschen, so sehen sie aus, und auf der anderen Seite ist der Blick auch nicht so oberflächlich, weil du in bestimmten Situationen, wie diese Situation im Dorf, tiefer reingehst mit den Protagonisten, andere Leute triffst und sozusagen durch dieses Land und durch diese Menschen und Begegnungen geführt wirst. Zwischen diesen beiden Polen – ein Blick von außen, ein Blick von innen – bewegt sich irgendwo der Film.
Burg: Und das Ergebnis kann man im Kino sehen: am Donnerstag läuft "Mali Blues" an. Der Regisseur ist Lutz Gregor. Vielen Dank!
Gregor: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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