Dokumentarfilm "Je Suis Charlie"

"Unsere Reaktion konnte nur sein: Charlie wird weiter leben"

Eine Frau zeigt die erste Ausgabe des Satiremagazins "Charlie Hebdo" nach den Anschlägen von Paris.
Eine Frau zeigt die erste Ausgabe des Satiremagazins "Charlie Hebdo" nach den Anschlägen von Paris. © picture alliance / dpa / Ian Langsdon
Daniel und Emmanuel Leconte im Gespräch mit Patrick Wellinski · 02.01.2016
Unmittelbar nach dem Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" hatten die Regisseure Daniel und Emmanuel Leconte die Möglichkeit, mit Redakteuren der Zeitschrift vor der Kamera zu sprechen. Mit ihrem Film wollen sie "die Opfer posthum zu Wort kommen" lassen.
Patrick Wellinski: So wie ich das lesen konnte, haben Sie beide relativ schnell nach den Anschlägen vom 7.1.15 entschieden, einen Film zu drehen. Wie schwer war es aber diesen Entschluss zu fassen, so direkt nach dem Schock und dem Entsetzen?
Emmanuel Leconte: Natürlich war das schwer. Wir haben bei diesem Dokumentarfilm zusammen Regie geführt. Allerdings gab es Unterschiede in der Dynamik. Mein Vater hatte bereits vor sieben Jahren einen Film über Charlie Hebdo gedreht. Damals war der Tod kein Thema. Es ging mehr darum, dass die Autoren von Charlie Hebdo um Anerkennung für ihre schwierige Arbeit kämpften. Als dann im Januar 2015 die Tragödie geschah, fielen mir sofort wieder diese alten Aufnahmen und Bilder ein. Mein erster Gedanke war. Wir müssen einen weiteren Film machen, damit sie, die Opfer nicht einfach so verschwinden. Mein Vater reagierte natürlich ganz anders. Bei ihm standen zunächst die Trauer und der Schock im Vordergrund.

Daniel Leconte: Für mich war es zunächst sehr schmerzhaft. Viele unter den Ermordeten waren ja meine Freunde. Und so wollte ich erst einmal nur helfen, dass Charlie Hebdo weiter machen kann. An einen weiteren Film habe ich da noch nicht gedacht. Es ging auch darum zu verhindern, dass die Mörder ihr Ziel erreichten. Einer der Attentäter schrie ja nach den tödlichen Schüssen: Charlie ist tot. Und meine Antwort, unsere Reaktion konnte nur sein: Charlie wird weiter leben. Dabei wollte ich helfen. Einerseits ging es darum, dass die Mörder ihr Ziel nicht erreichen und die dezimierte Redaktion mundtot machen. Andererseits musste man all den Kritikern der Arbeit von Charlie Hebdo etwas entgegen setzen, um zu verhindern, dass sich Meinungen etablieren wie: die Charlie Hebdo Mitarbeiter hätten ihren Tod nahezu provoziert. Unsere Antwort konnte nur sein, die Opfer posthum zu Wort kommen zu lassen. Wir wollten ihre Gedanken den Franzosen noch einmal nahe bringen.
"In dieser Situation herrschte das Chaos bei Charlie Hebdo"
Wellinski: Der große Wert Ihrer Dokumentation ist die Nähe, die Sie zu den Überlebenden aufbauen. Sie reden mit den Zeichnern, die sonst mit niemanden gesprochen haben. Unter anderem mit der Zeichnerin "Coco", die vom Anschlagstag erzählt. Sie wurde von den Terroristen gezwungen die Tür zur Redaktion zu öffnen. Im Nachhinein gab es dafür sogar Kritik, sie hätte so den Tot der anderen ermöglicht. Wie haben Sie es geschafft, so nah an sie und die anderen herangekommen? Wie lange hat das gedauert?
Daniel Leconte: Man muss verstehen, dass in dieser Situation bei Charlie Hebdo das Chaos herrschte. Aber sie vertrauten mir. Wir hatten ja bereits zusammen einen Film gedreht und sie vertrauten meiner journalistischen und intellektuellen Integrität. Wir ahnten, dass sie zu gegebener Zeit bereit wären, sich erneut interviewen zu lassen. Drei Wochen nach der Tragödie haben sie uns dann empfangen. Und so stellten wir auf einer gemeinsamen Pressekonferenz unser Projekt vor.
Emmanuel Leconte: Es gab da ein leichtes Zögern, das wir respektierten. Sie fragten sich, ob es überhaupt etwas bringt, wenn sie sich jetzt schon vor der Kamera zu Wort meldeten, ob es konstruktiv sei? Oder wäre es vielleicht sinnvoller, sechs Monate oder ein Jahr lang zu warten? Wir entgegneten Ihnen, dass sie mit einer Aussage zu diesem Zeitpunkt auch historisch ein Zeugnis ablegen. Und so könne man sich des Schocks und der Schrecken des Moments noch einmal vergegenwärtigen. Das verstanden sie auch sofort. Als sie sich jetzt den fertigen Film anschauten, sagten sie auch: "Ihr hattet Recht. Wir könnten Euch heute die Ereignisse nicht mehr so schildern. Ihr kamt damals im richtigen Moment, weil wir ein Bedürfnis verspürten, darüber zu reden." Sie sind ja Journalisten und mussten sich auch vor der Öffentlichkeit und dem Druck der Medien schützen. Aber weil sie uns vertrauten und über die erlebten Schrecken reden mussten, konnten sie nach den Interviews anfangen, diese fürchterlichen Erlebnisse langsam zu verarbeiten.
"Wir befanden uns in einem medialen Overkill"
Wellinski: Jetzt geben Sie gar nicht vor in Ihrem Film objektiv zu sein. Sie haben eine Meinung, sie beziehen Stellung. Warum sind Sie aber nicht objektiv?
Daniel Leconte: Wir sind keine Journalisten. Jedenfalls nicht mehr. Wir sind Regisseure und für einen Filmemacher ist es wichtig, einen Standpunkt zu haben und ihn zu verteidigen.
Emmanuel Leconte: Wir befanden uns damals ja auch in einem medialen Overkill. Es wimmelte nur so vor Experten. Jeder hatte etwas zu sagen, berief sich auf Fakten. Es gab all diese unendlich vielen Experten, die über jedes Detail der Ereignisse Bescheid wussten. Aber man kann keinen allgemein gültigen und objektiven Tathergang schildern oder die Ereignisse in ihrer Gesamtheit erklären. Ebenso wenig lassen sich die Folgen bereits hervor sagen. Es wird Jahre dauern, bevor die Gesellschaft das verarbeiten kann. Natürlich ist die Arbeit der Journalisten wichtig. Aber die journalistische Herangehensweise reicht nicht aus. Wir trafen als Filmemacher die bewusste Entscheidung, gewisse Aspekte auswählen. Daher haben wir auch nur mit wenigen Protagonisten gesprochen, die uns direkt in die Realität des Geschehens einführen. Natürlich ist das eine subjektive Auswahl der Ereignisse. Aber nur wir hatten diesen ganz besonderen Zugang zu den Protagonisten. Das hielten wir für einen Aspekt, der auch die Zuschauer interessieren könnte.

Wellinski: Und was Sie dadurch zeigen, dass es neben der Solidarität auch sehr viel Kritik an dem Magazin und den Zeichner gab. Im Sinne von: Wer beleidigt, soll auch zur Rechenschaft gezogen werden. Es gibt da ja auch einen Moment in ihrem Film, wo ein ehemaliger Mitarbeiter öffentlich Kritik an Charlie übte. Wie bewerten Sie diese Einstellung gegenüber Charlie Hebdo?
Philippe Val (l) und Daniel Leconte (2 v.l.)
Der französische Journalist Philippe Val (l), ehemaliger Chefredakteur von "Charlie Hebdo", und Regisseur Daniel Leconte (2 v.l.) bei der Premiere des Dokumentarfilms "It's Hard Being Loved by Jerks" über "Charlie Hebdo" 2008 in Cannes. © picture alliance / dpa / Foto: epa
Daniel Leconte: Jeder hat das Recht zu sagen: "Ich bin nicht Charlie". In einer Demokratie hat man das Recht, nicht einverstanden zu sein mit der Meinung Anderer. Aber darum geht nicht. Es geht darum, dass Niemand das Recht hat, zu töten. Ob man sich nun als Befürworter oder Kritiker von Charlie bezeichnet, ist eine Frage der Empathie. Aber nichts rechtfertigt einen Mord.
Emmanuel Leconte: Einige Journalisten taten wohl so oder verstanden wirklich nicht, was dieser Satz bedeutet: Je suis Charlie/Ich bin Charlie heißt ja nicht: "Ich mag jede Karikatur von Charlie Hebdo, ich liebe alles was sie machen. Ich kaufe jede Woche die Ausgabe dieser Zeitschrift und das seit 20 Jahren." Darum geht es nicht. Charlie Hebdo wurde zu einem Symbol für unsere Freiheit. Und wer dann sagte. Je ne suis pas Charlie/ Ich bin nicht Charlie, der nahm ohne sich dessen bewusst zu sein, eine Beschneidung seiner persönlichen Freiheiten mit in Kauf. Und so geht es bei "Je suis Charlie" um viel mehr als nur darum, Charlie Hebdo zu mögen oder witzig zu finden. Es geht weit darüber hinaus und ist viel universeller.
Wellinski: Sie blicken auch tiefer auf die antisemitische Seite der Anschläge. Denn es gab ja auch an den Tagen nach dem Anschlag weitere Anschläge, u.a. auf einen koscheren Supermarkt in Paris. Wieso war es Ihnen wichtig, so genau auch auf diesen antisemitischen Aspekt zu blicken?
Daniel Leconte: Weil es genau so passierte. Das ist die Antwort auf ihre Frage.
Emmanuel Leconte: Auch wenn der Angriff auf Charlie Hebdo ein fürchterlicher Schock für die französische Gesellschaft war, etwas das vorher so noch nie geschah, so wollten wir die Leute auch daran erinnern, dass es leider schon lange vorher eine ganze Reihe antisemitischer Verbrechen gegeben hatte. In den letzten 10 bis 15 Jahren fanden nicht nur die üblichen Drohungen und Verleumdungen statt, sondern auch tödliche Verbrechen. So ermordete Mohammed Merah in Toulouse 2012 in einer jüdischen Schule drei Kinder und einen Lehrer. In Brüssel gab es jüdische Opfer als ein Attentäter im jüdischen Museum um sich schoss. Juden zu ermorden gehört also zum Ritual dieser Fanatiker und war ein Teil ihrer Message. Und das ist leider in der Geschichte schon viel zu oft geschehen. Natürlich wollten die Charlie Hebdo Mörder ein Symbol der Pressefreiheit treffen, aber sie greifen auch Juden oder Polizisten als Repräsentanten des Staates an. Und so war dieses Attentat auch für sie ein Symbol , das viel weiter reichen sollte , als nur der Angriff auf eine Satirezeitschrift.
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