Dokumentarfilm

"Das wird immer exotischer, so eine Welt"

Der Filmegisseur Matti Bauer, hier bei der Verleihung des Bayerischen Fernsehpreises in München im Prinzregententheater 2009.
© picture alliance / dpa / Tobias Hase
Moderation: Patrick Wellinski · 15.06.2014
Die emanzipierte Sennerin Uschi steht im Mittelpunkt des Films von Matti Bauer. Sie ist sehr selbst- und gleichzeitig auch sehr traditionsbewusst. Der Film zeigt, wie sie ihre Utopie von Landwirtschaft gegen alle Widerstände lebt.
Vor dem Gespräch mit Regisseur Matti Bauer ein kurzer Blick in seinen Dokumentarfilm "Still" über die Sennerin Uschi und ihre Familie von Christian Berndt.
Patrick Wellinski: Christian Bernd über die Kinodokumentation "Still". Und ich freue mich nun, mit dem Regisseur dieses zärtlichen Langzeitporträts sprechen zu dürfen: Matti Bauer. Herzlich willkommen im Radiofeuilleton!
Matti Bauer: Hallo, Herr Wellinski!
Wellinski: Sie haben ja eine wunderbare Protagonistin gefunden, Uschi – wie haben Sie sie denn gefunden?
Bauer: Das ist eigentlich eine ganz lustige Geschichte. Ich hab mal, noch früher, einen Film gemacht über Bauern, die eine Frau suchen. Und das war noch lange vor diesen ganzen Privatfernsehgeschichten, die es dann später gab. Und da hatte ich einen Bauern, der kommt dann auch im Film vor. Der Film hieß "Hof sucht Herz", und der hat mir erzählt, eine Bäuerin gäb es, die täte Ihnen gut gefallen, die ist aber sozusagen, das ist so eine vom Oberland, so eine Sennerin. Und die sind dermaßen freiheitsliebend, die sind so anders, aber die wäre schon – die würd' ihm schon passen, aber er hat keine Chance. Und dann hab ich gesagt, das interessiert mich. Fahren wir doch mal hin, die würde ich gern kennenlernen. Und so habe ich die Uschi kennengelernt.
Wellinski: Anders ist das richtige Stichwort. An ihr, an Uschi, wird der Gegensatz von Moderne und Tradition sehr deutlich und sehr stark erfahrbar in Ihrem Film. Diese junge Frau, sie ist sehr selbstbewusst, sie will ihren eigenen Weg gehen, lässt sich auch nicht unbedingt reinreden. Die kann man sich, ehrlich gesagt, überall vorstellen, in Großstädten, im Ausland, aber sie hat halt auch diese andere Seite. Sie ist sehr traditionsbewusst, ist mit allen bauernhofnötigen Wassern gewaschen. Wie ist sie denn so geworden, wie sie nun ist?
Bauer: Tja, man könnte sie sich auch gut in so einem Mercedes-Cabrio an der Leopoldstraße vorstellen, vielleicht. Wie ist sie so geworden, wie sie jetzt ist? Ich denke mir, dieser Film "Still" ist ja auch sozusagen ein bisschen so was wie eine Coming-of-age-Geschichte auf dem Land oder in den Bergen. Die Menschen dort, also junge Menschen, junge Frauen haben einen Traum für ihr Leben, genauso, wie es die Menschen in der Stadt auch haben. Und diesen Traum, den leben sie so lange, wie es geht.
Jugendträume, die grauer werden
Im Fall von der Uschi ist es sozusagen das Almleben, ist es ihre Arbeit oder ihre Leidenschaft als Sennerin, das, was ihr eigentlich vorschwebt, als sozusagen ein Idealbild, als eine Utopie. So, wie sie jetzt geworden ist – sind das die Lebenszwänge, sind das die wirtschaftlichen Zwänge. Ich meine, wir alle erleben das ja mehr oder weniger an uns selber, dass so die Jugendträume halt dann auch so langsam irgendwie so ein bisschen grauer werden. Aber im Fall von der Uschi und von hoffentlich auch vielen anderen Menschen bleiben sie doch noch bestehen irgendwie, weil ich glaube, so was braucht der Mensch, einen Traum.
Wellinski: Sie erzählt ja auch, dass sie viel von der Welt gesehen hat, gereist ist, im Ausland war, als Sängerin gearbeitet hat. Und dennoch ist sie sehr stark geprägt durch ihre Eltern. Rosi, Uschis Mutter zum Beispiel, betont ja einmal, zu einer Bewirtschaftung, als die Frage aufkommt, übernimmt die Tochter nun den Hof oder nicht, gehört auch ein Mann – dahinter steckt natürlich die Forderung einer jeden Mutter, die Tochter soll sich nun endlich mal verheiraten, und mitten im Film eröffnet uns Rosi, die Mutter, die ja die Tochter irgendwie geprägt hat, und auch der Vater, dass sie sich von ihrem Mann nun trennen will, oder dass sich beide trennen. Und ich muss sagen, dass in Ihrem Film, der trotz Schwarz-Weiß immer etwas Heiteres hat, dann plötzlich aus heiterem Himmel etwas Tragisches aufkommt. Und ich war schockiert und getroffen. Ging es Ihnen auch so, als Sie das erfahren haben?
Bauer: Dass da nicht so alles in Butter ist in der Familie, habe ich schon früher erfahren. Aber in diesem speziellen Moment, wo ich mit Uschis Mutter spreche, sagt sie mir ja auch auf die Frage, was sie in ihrem Leben ändern würde, sagt sie auf einmal: "Ois", also "Alles" auf Bayerisch, ja. Und das hat mich nun total überrascht. Die hatte auch einen Traum, ja, und der ist halt nicht so in Erfüllung gegangen. Aber komischerweise, und das ist das Absurde, wenn ich sie dann kurze Zeit später frage, ob sie denn unglücklich ist, sagt sie: "Na".
Wellinski: Aber das kann man auf jeden Fall aus Ihrem Film lernen, diesen fundamentalen Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamsein, denn Uschi sagt ja auch einmal, dass, wer nicht allein sein kann, mit dem stimmt irgendetwas nicht. Und ich finde, dass diese kluge junge Frau mit diesem Satz, mit diesem einen Satz schon uns allen sehr weit voraus ist. Nichts fällt uns ja heute irgendwie schwerer, als allein zu sein. Wir müssen ja ständig irgendwie online sein.
Bauer: Ja, stimmt. Deswegen habe ich den Film auch "Still" genannt, weil Uschi, auch, wenn sie unten ist sozusagen am elterlichen Hof, nie ein Radio anmacht. Viele Bauern haben ja das Radio an im Stall. Also nichts gegen das Radio als Medium, das finde ich sehr toll, aber sie hat es eben nicht an, und auch ganz bewusst. Sie will es einfach ruhig und still haben, und deswegen habe ich da auch sehr reduziert alles in dem Film. Keine Farbe, auch keine Musik in dem Film, sondern nur die Geräusche.
Wellinski: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit Matti Bauer. Seine Langzeitdokumentation "Still" kommt nächsten Donnerstag in die deutschen Kinos. Herr Bauer, Sie bleiben in Ihrem Film nur am Hof beziehungsweise auf der Alm. Und das Wesentliche, das ist auch das Arbeiten. Sie zeigen Hände, die Kühe melken, die Milch umfüllen, die Butter machen, so als wollten Sie diese Techniken irgendwie aufbewahren, festhalten. Verstehen Sie "Still", Ihren Film, auch als eine Art Artenschutz?
Von der Angst, nicht weiterdrehen zu dürfen
Bauer: Ja – warum nicht. Ich liebe Handarbeit. Ich liebe es, Menschen zu beobachten, die was mit der Hand tun, vor allen Dingen dann, wenn sie es gerne tun. Und das sieht man, glaube ich, bei der Uschi in jedem Moment. Die ist einfach voll bei der Sache, es macht ihr Spaß. Sie weiß, dass sie es gut macht. Sie möchte natürlich auch nicht, dass irgendwas schief geht. Und vor allen Dingen möchte sie dann nicht, dass es im Kino kommt.
Wellinski: Das stimmt. Sie protestiert auch manchmal heftig. Da war es bestimmt schwer auch immer wieder, sich zu fragen, kommt dieses Projekt hier an sein Ende, weil man hört ja auch aus dem Off von Ihnen hin und wieder mal die Frage: Wir wissen nicht, ob wir weiter drehen dürfen, Uschi verweigert sich jetzt gerade und sagt, sie will nicht drehen. Hatten Sie Angst, dass das Projekt, sagen wir mal, in der Mitte plötzlich einfach aufhört?
Bauer: Da war es mir schon ein paar Mal ziemlich mulmig, ja. Also es gab diesen einen Moment, wo Uschi schwanger ist und sie plötzlich sagt, nee, ist nicht mehr. Und wir sind da auf dem Hof mit der – mein Kameramann, Tonmann und ich, und dann stehen wir da in der Küche, und sie mit ihrem dicken Bauch verschwindet da aus der Tür. Und dann stehen wir erst mal da und fragen uns, ja, wie machen wir denn jetzt weiter. Da habe ich Gott sei Dank einen sehr, sehr netten und geduldigen Kameramann, der mit mir zusammen ja das ganze Projekt durchgezogen hat. Und der Klaus Lautenbacher hat da wirklich immer sehr, sehr gut mitgeholfen und auch durch seine feine menschliche Art auf die Uschi gut eingewirkt.
Wellinski: Und zusammen schaffen Sie in "Still" etwas, was ich auch wieder sehr beeindruckend fand. Sie entlarven so eine gewisse moderne Sehnsucht nach dem einfachen Leben auf dem Land. Dazu tragen ja auch so Erfolge von Zeitschriften wie "Landlust" bei, aber auch eine Sendung wie "Bauer sucht Frau" ist für eine kurze Zeit sehr im Kommen. Und Sie zeigen, dass das ja recht absurd ist, denn dort auf dem Land herrscht harte Arbeit. Es müssen existenzielle Entscheidungen gefällt werden, und es ist halt keine Wohlfühloase. Wollten Sie das so zeigen?
Bauer: Ja, natürlich. Also die Landwirtschaft ist ja eigentlich sozusagen in einer schwierigen Phase ständig. So kleine Betriebe wie der von der Uschi, die waren ja – vor zehn, zwanzig Jahren gab es da noch viele. Als wir angefangen haben, habe ich mir gedacht, na ja, es ist ein toller Hof, schon schön, super. Ein paar Jahre später habe ich mir gedacht, hei, das ist eigentlich schon irre, dieser Hof. Also, das wird immer exotischer, so eine Welt.
Den Bauern beibringen, wie man Butter macht
Wellinski: Exotisch und vor allem auch politisch, also Uschi sagt einmal ganz klar, sie hat den Wunsch, dass Lebensmittel teurer werden, damit die Leute das alles erst zu schätzen lernen. Also, Sie verstecken ja durchaus auch eine politische Haltung oder zeigen sie. Die politische Haltung der Uschi, die ja jetzt nicht nur einfach Landwirtin ist, die sich auch politisch positioniert.
Bauer: Nee, Uschi ist schon politisch. Die hat zum Beispiel während eines Milchstreiks, den es vor ein paar Jahren gegeben hat, hat sie angefangen, wo also die Bauern ihre Milch weggekippt haben, weil der Preis so niedrig war, da hat sie dann angefangen, den Bauern beizubringen, wie man aus der Milch eben Butter und Käse macht, weil der normale Bauer ja kein Almer ist, kein Senner ist und das quasi erst lernen muss. Er weiß es vielleicht theoretisch, aber er hat es noch nie gemacht. Aber die Uschi kann es halt wirklich. Und da hat sie sozusagen da von Ihrer Seite aus direkt in das Geschehen eingegriffen. Ich hab's leider nicht gefilmt. Das hätte ich gefilmt und hätte es bestimmt auch in den Film rein gebracht – jetzt kann man es ja erzählen. Und bei der ganzen Aktion ist sie mal ausgerutscht und hat sich die Hand gebrochen. Also sie hat auch ganz persönliche Opfer dargebracht.
Wellinski: Fast schon aktivistisch in der Hinsicht. Abschließend muss man natürlich fragen, wie haben Uschi und ihre Eltern den Film empfunden? Haben Sie ihn überhaupt gesehen? Wie waren da die Reaktionen?
Bauer: Sie haben jetzt dieses Endprodukt noch nicht gesehen, das wird dann in einer Woche der Fall sein, da bin ich sehr gespannt, wie das aufgenommen wird. Und sie kennen die Ergebnisse, die es vorher gab, und die haben ihnen eigentlich gut gefallen. Aber das natürlich noch mal auf einer Leinwand zu sehen, ist sicher vielleicht nicht so ganz leicht. Aber ich bin eigentlich überzeugt davon, dass sie es gut finden.
Wellinski: Matti Bauer. Sein Film "Still" läuft nächste Woche in den deutschen Kinos an. Herr Bauer, vielen Dank für die Zeit!
Bauer: Danke Ihnen! Wiederschauen!
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