Dokumentarfilm "Amy"

"Wir sind alle Voyeure gewesen"

Amy Winehouse bei einem spanischen Festival im Juli 2008.
Amy Winehouse bei einem spanischen Festival im Juli 2008. © picture alliance / dpa / Kiko Huesca
Asif Kapadia im Gespräch mit Susanne Burg · 11.07.2015
Steiler Aufstieg, steiler Absturz: Der Dokumentarfilm "Amy" zeichnet das Bild einer Künstlerin und einer Frau, die in die Mühlen eines Geschäfts geriet. "Mich hat interessiert, wer war sie, woher kam sie und woher nahm sie ihre Inspiration", sagt der Regisseur Asif Kapadia.
Susanne Burg: Amy Winehouse mit "Stronger than Me", die Debüt-Single der britischen Soulsängerin. Die stammt aus dem Jahr 2003. Und danach folgten acht turbulente Jahre - mit unzähligen Konzerttourneen und acht Grammys für ihr Album "Back to Black", aber eben auch mit Drogenexzessen und fürchterlichen Abstürzen, die Paparazzis und die Medien häufig genug ausschlachteten.
Nun kommt ein Film in die Kinos, der das Leben der Amy Winehouse beleuchtet - bis zu ihrem Tod 2011. "Amy" - so der Titel - stammt von dem britischen Regisseur Asif Kapadia, der zuvor einen Dokumentarfilm über den brasilianischen Formel-1-Fahrer Ayrton Senna gedreht hat. Sein neuer Film lief in Cannes und hat schon dort für Wirbel gesorgt, unter anderem weil Amys Vater Mitch mit einer Klage drohte, da er sich und Amy falsch dargestellt fühlt. Ich hatte die Gelegenheit, mit Asif Kapadia zu sprechen und habe ihn erst mal gefragt, wie er sich dieser sehr öffentlichen Figur Amy Winehouse genähert hat.
Die Fragen nach dem Warum
Asif Kapadia: Nun, ich habe Amy Winehouse nie getroffen, ich habe sie niemals live gesehen, ich stamme nicht aus der Musikbranche, ich war ein kompletter Outsider. Es war so wie mit einem weißen Blatt Papier, dieses Projekt zu beginnen. Was mich interessiert hat, war, wer war sie, woher kam sie, woher nahm sie ihre Inspiration, auch für ihre Musik, und warum ist das mit ihr geschehen, was mit ihr geschehen ist und was so traurig geendet hat.
Burg: Viele Leute in ihrer Umgebung wollten dann aber nicht reden nach dem Tod der Freundin zum Beispiel. Wie haben Sie dann die Leute doch dazu gebracht, ein Interview mit Ihnen zu führen? Zum Beispiel ihre beiden besten Freundinnen aus der Kindheit, Juliette Ashby und Lauren Gilbert?
Kapadia: Nun, ich habe an diesem Film doch sehr lange gesessen, das sind drei Jahre Arbeit, die da drinstecken, und ich wollte wirklich mit allen reden, ich wollte alle verstehen, die im Umfeld von Amy Winehouse waren, also ihre Familie, ihre Freunde, ihre Manager, alle, die irgendeine Rolle gespielt haben, mussten in diesen Film vorkommen, und ich bin jemand, der sehr viel Geduld hat, und so musste ich eben warten. Das Wichtigste war, erst einmal das Vertrauen zu gewinnen und das hat manchmal gedauert.
Ich habe einfach zu jedem gesagt, triff dich doch einfach mit mir für fünf Minuten, und meistens hat das dann doch ausgereicht, um sie von meinen ehrlichen Absichten zu überzeugen. Also bei Lauren und Juliette beispielsweise, da hat es sechs bis neun Monate gedauert, bevor sie bereit waren, mit mir zu sprechen. Bei ihrem Produzenten Sam hat es sogar über ein Jahr gedauert. Ich habe ihm aber immer wieder gesagt, ich weiß, wie wichtig du für Amy warst, und dieser Film, der wäre nicht komplett, wenn du nicht in dem Film auftauchst, und letztendlich hat sich dann dieses Warten auch gelohnt.
Burg: Und wie hat das dann funktioniert - sobald einer angefangen hat zu reden, haben dann die anderen auch gesagt, okay, wir machen mit?
Erst redete einer, dann alle
Kapadia: Ja, also Nick Shymansky, ihr ehemaliger Produzent, der war der Erste, der wirklich bereit war, mit mir zu reden. Er hatte auch meinen Film über Ayrton Senna gesehen und hat sich als Erster mir wirklich geöffnet, und wie er dann anfing zu reden, habe ich auch gespürt, dass er sich noch so viel Schmerz von der Seele geredet hat. Das war das Problem für viele der Beteiligten, jeder hatte eine Last zu tragen, und Nick ging es aber, nachdem er mit mir geredet hatte, wirklich besser, und er sprach dann mit Lauren und Juliette und hat sie letztendlich davon überzeugt, dass sie auch mit mir reden sollten. Und das war wirklich so, wie Sie sagten, nachdem der erste mit mir geredet hatte, fingen dann an alle mit mir zu sprechen.
Burg: Es gibt ja auch unglaubliches Bildmaterial, was Sie an den Anfang des Films stellen von der pubertierenden Amy Winehouse, also als sie zum Beispiel 14 Jahre alt ist und ein ganz herzzerreißendes Lied singt, man schließt sie sofort ins Herz. Nick Shymansky, den Sie erwähnt haben, ihr erster Manager, hat vieles Material bereitgestellt. Was haben Sie in dem Material gesehen?
Kapadia: Ja, man sieht eben Aufnahmen von der 14-Jährigen, und das war Nick Shymansky, der mir vieles von diesem Material zugänglich machte, und ich fand das sehr, sehr wichtig, sie zu zeigen, wie sie als Teenager war, wie sie sich schminkt, wie sie im Taxi sitzt. Und auch Lauren, ihre Freundin, hat mir dann Privataufnahmen gegeben, wie die beiden in Mallorca waren, und man sieht eben dadurch ein sehr viel intimeres und persönlicheres Portrait eines Mädchens, eines ganz normalen Mädchens, die noch lange kein Star ist.
Und man sieht, wie witzig sie ist, wie intelligent sie war, wie viel Spaß sie letztendlich auch hatte, und dann habe ich sofort gemerkt, dass ich sie mochte. Und dann nimmt sie plötzlich eine Gitarre und fängt an zu singen, und dann passiert etwas ganz Unglaubliches. Und das ist verrückt, dass nur wenige Jahre später dann diese öffentliche Figur, die Amy Winehouse wurde, dass sie sich so verändert hat, und dass sie zu so einer tragischen Figur geworden ist, aber man merkt eben, auch durch diesen Anfang, durch das, was ich an den Anfang stelle, wer sie war und warum wir uns als Filmemacher in sie verlieben mussten.
Burg: In der Öffentlichkeit war schon direkt nach dem Tod viel Kritik an dem Vater mit geübt worden und an ihrem Manager Raye Cosbert, der Amy hat touren lassen auch als es ihr schon wirklich schlecht ging. Sie folgen dieser Darstellung - wie haben Sie sie überprüft?
Mit über 100 Leuten gesprochen
Kapadia: Ich habe im Verlaufe des Films mit über 100 Leuten gesprochen und das in etwa drei Jahren, und wir haben wirklich alles gecheckt und auch immer wieder versucht, das gegen zu checken und haben so gearbeitet, dass wir zuerst die Interviews geführt haben, und erst danach haben wir angefangen, nach Archivmaterial zu suchen. Und immer wieder mussten wir daran arbeiten, dass das, was wir gezeigt haben, dass das auch wirklich den Tatsachen entsprach.
Und es geht überhaupt nicht darum, hier ein oder zwei Personen zu belasten, es gibt ganz viele Menschen, die Entscheidungen getroffen haben, und - auch ganz wichtig - Amy hat selber auch wichtige Entscheidungen getroffen, die letztendlich zu dem geführt haben, welchen Weg sie gegangen ist. Letztendlich will dieser Film nur eins - er will ein ganz ehrliches Portrait über Amy Winehouse sein.
Burg: Sie haben auch Material von der Zeit, die Amy in Saint Lucia verbracht hat im Jahr 2010. Der Film erzählt, dass Amys Vater zu Besuch kommen wollte, wie sie dachte, alleine, aber er kam dann für eine Reality Show mit Kameras, Entourage. Sie ist sichtlich verstört, davon enttäuscht, will keine Fotos machen, Freunde filmen sie dann dabei, wie ihr Vater sie fertigmacht und demütigt, weil sie zwei Fotografen abgewiesen hat, und man leidet wirklich mit ihr. Wie sehr waren Sie da auch geneigt, noch weiter in der Kindheit von Amy nach Ursachen für all ihr Leiden zu suchen?
Kapadia: Ich hoffe, das ist uns gelungen, ich hoffe, wir sind so weit gegangen, auch in die Vergangenheit. Wir sehen ihre Beziehung zu ihrer Mutter - wir haben sie ja interviewt -, wir sehen auch ihre Beziehung zu ihrem Vater, und wir sprechen auch über Probleme, die sie schon als Teenager hatte und schon als Kind, dass sie eben unter Essstörungen litt, Bulimie hatte, Depressionen hatte.
Viele ihrer Probleme waren eben einfach schon da. Und dann hat sie eben einen gewissen Lebenspartner gefunden, der einen sehr düsteren Charakter hatte, aber viele dieser alten Probleme existierten eben bereits. Und dann kommt leider eben auch hinzu, dass sie kein sehr hohes Selbstbewusstsein hatte, sie liebte sich einfach nicht, sie konnte das überspielen, aber sie hat sich dann auch immer wieder in diese düsteren Sphären abgleiten lassen.
Burg: Der New Yorker Musiker Mos Def war auch mit Amy befreundet und auch er kommt zu Wort, und ein bewegender Satz in dem Film, der das Leiden zusammenfasst, ist für mich, als er sagt, sie war jemand, der versuchte, zu verschwinden. Wie sehr ist das auch für Sie ein allgemeineres Psychogramm einer depressiven Person?
Kapadia: Ja, ich denke, das durchzieht letztendlich den gesamten Film, dass sie depressiv war, dass sie nicht an sich geglaubt hat, und das ist ganz stark auch in ihren Texten enthalten, und diese Texte, die blenden wir in dem Film ja auch immer wieder ein, und es ist schon die Vision eines Menschen, der depressiv ist und der immer geglaubt hat, dass Glas sei halb leer.
Ich habe ja davor einen Film über Senna gemacht und der hat nur die einzige Gemeinsamkeit mit Amy, dass sie beide jung gestorben sind, aber er glaubte immer, dass das Glas halb voll ist. Er hat das Leben sehr viel fröhlicher gesehen, das war eher so ein Feel-Good-Movie, nach dem man sich gut fühlt.
Immer mehr abgedriftet
Und Amy - so witzig wie sie sein konnte und so glücklich wie sie vielleicht noch als Teenager war -, mit dem Ruhm und mit den Drogen und mit den falschen Leuten, die sie dann getroffen hat, ist sie immer mehr abgedriftet eben in diese Depressionen, und das wird eigentlich ganz klar in ihren Liedtexten deutlich, selbst in einem Lied wie "Back to Black" ist es doch ganz eindeutig, und sie hat sich immer ungewollt gefühlt.
Burg: Sie zeigen in dem Film auch, wie quälend Amy diese Paparazzi empfunden hat und den ganzen Medienrummel um sie herum. Sie wurde wirklich gnadenlos mit den Kameras verfolgt. Sie zeigen das und benutzen aber genau die gleichen Bilder, Sie wurden dafür auch kritisiert. Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um?
Kapadia: Also mein Job ist es, wirklich die bestmögliche Geschichte zu erzählen und mich aller Mittel zu bedienen, aller Farben, die ich in meiner Palette zur Verfügung habe, und letztendlich ist es ja der Kontext, der zählt. Und man spürt richtig, mit welcher Aggression diese Paparazzi gearbeitet haben, wie brutal das letztendlich war, was das für Folgen hatte, und deswegen habe ich auch den Ton gelassen, und wir sind Teil dieses Blitzlichtgewitters, was über Amy Winehouse niedergeht. Es ist ja so, dass man dadurch eben auch wirklich spürt, was sie erlitten hat letztendlich. Dieser Film erzählt auch etwas zur Beziehung, die Amy Winehouse zur Kamera hatte, und das ist am Anfang eine sehr freundliche Beziehung, eine sehr liebevolle Beziehung. Wenn sie von Freunden gefilmt wird, von Leuten, die sie lieben, gefilmt wird, die Fotos von ihr machen, wie eben Nick Shymansky, und dann schaut sie schon direkt in die Kamera, und später, wenn es ihr nicht mehr gut geht, hat sie einen ganz anderen Blick.
Sie schaut immer noch direkt in die Kamera, man spürt, sie spielt etwas, und als dann ihr Ehemann sie filmt, dem sie rettungslos ausgeliefert ist, in den sie total verliebt ist, das ist dann auch ein anderer Blick, und wenn man sie dann sieht auf der Bühne, zugedröhnt mit Drogen, ist es auch wieder ein anderer Blick, den sie hat.
Aber was mir ganz wichtig war - und deswegen habe ich dieses Material auch gezeigt -, ist, es gibt ja Leute, die haben diese "Tabloids" gekauft, die haben diese Websites angeklickt, die haben Tickets für die Konzerte gekauft, obwohl man schon wusste, dass es eigentlich ungesund war, sie auf der Bühne so zu sehen.
Wir sind ja Teil davon, wir sind ja alles Voyeure gewesen, wir waren ja auch Käufer und Leser, und das ist eben das, was ich auch sagen will, dass wir alle unseren Teil der Verantwortlichkeit eben auch tragen und auch tragen müssen.
Burg: Vielen Dank!
Kapadia: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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