Dokfilm "Cartel Land" startet

Drogenkrieg im Kino

The US film director Matthew Heineman
Der US-Regisseur Matthew Heineman hat die Doku "Cartel Land" über den mexikanischen Drogenkrieg gedreht. © dpa picture alliance / Kristin Murphy
Von Hartwig Tegeler · 06.10.2015
Der mexikanische Drogenkrieg ist im Kino angekommen - mit Oliver Stones "Savages" oder Denis Villeneuves "Sicario". In dieser Woche nun startet die Doku "Cartel Land" über das alltägliche Leben mit diesem Krieg angesichts des Terrors der mexikanischen Drogenkartelle.
Als die "Tempelritter" die anderen Drogenkartelle aus den Dörfern im Bundesstaat Michioacan vertrieben hatten, schien es eine Verbesserung zu geben, erzählt José Manuel Mireles, genannt "El Doctor" in Matthew Heinmans "Cartel Land":
"Die ´Tempelritter´ versprachen zuerst, die Einheimischen in Ruhe zu lassen. Aber nach einer Weile fingen sie mit den Schutzgeldern an. Und sie übernahmen auch Limetten- und Avocado-Plantagen. Zwölf Jahre bestimmten sie hier alles; keiner konnte gegen sie an."
Entführungen, Enthauptungen, Folter Morde, Vergewaltigungen - das gehörte von nun an zum Leben unter den Kartellen. Bis zum Herbst 2013. Da begannen sich die "Autodefensas", bewaffnete Bürgermilizen, gegen die Drogenbosse und ihre Verbündeten in Politik, Justiz und Polizei aufzulehnen. Unter "El Doctor" Mireles schafften sie es, immer mehr Gemeinden von den Narcos, den Drogenkartell-Leuten, zu befreien. Und Matthew Heineman ist mit seiner Kamera dabei. Auch mitten im blutigen Schusswechsel.
Auf der US-Seite - das ist der zweite Erzählstrang der Doku "Cartel Land" - versuchen derweil paramilitärische Trupps unter dem Ex-Junckie und Ex-Marine Tim Foley die US-Grenze gegen illegale Einwanderer und Narcos zu schützen. Weil der Staat seinen Job nicht tut, weil wir überschwemmt werden von Illegalen, von Drogen, wie Foley und seine Vigilanten proklamieren und dabei wie Möchtegern- Dirty-Harrys in Camouflage wirken. "El Doctor", auf der anderen Seite der Grenze in Mexiko, scheint dagegen wie eine Lichtgestalt. Zunächst sind seine und die Motive der "Autodefensas" ehrenwert. Ohne Frage, meint Filmemacher Matthew Heineman:
"And I constantly asked myself those questions, wondered what I would do. What would I do when violence come knocking on my door. What would I do when my sister is raped by the cartel, and my brother was hanging from the bridge. Would I take up arms? Would I fight violence with violence?"
"Ich habe mir immer wieder diese Fragen gestellt, immer überlegt, was ich tun würde, wenn die Gewalt an meine Haustür klopft. Wenn meine Schwester vergewaltigt worden wäre, wenn mein Bruder von der Brücke hängen würde. Würde ich solche Gewalt mit Gewalt bekämpfen?"
Ein Blick in die Hölle
Fragt Matthew Heineman. Doch mit jedem Dorf, das die "Autodefensas" von den Narcos - in Anführungsstrichen - "säubern", wächst auch ihr Großmachtgehabe, gegen das sich wiederum andere Bürger zur Wehr setzen:
"Wir haben euch Sicherheit gebracht. Frieden. Wir sind nicht die Bösen. Damals haben wir ... - Aber ihr fahrt mit Lastern ohne Nummernschilder rum. Wir glauben doch keinem Gesetzesbrecher."
Einmal stoppen die "Autodefensas" mitten in der Nacht auf einer Straße einen, der zu den Drogenkartellen gehört. "El Doctor" meint nur zu seinen Leuten: Versucht, aus ihm rauszukriegen, was ihr könnt, dann verscharrt ihn. Wenn Matthew Heinman dann gegen Ende mit seiner Kamera hineingeht in das Haus, in dem Bürgerwehren Narcos verhören und foltern - man hört nur die Schreie -, das ist ein Blick in die Hölle.
"It seemed from the outside like a classic western from guys in white shirts fighting against guys in black hats."
Von außen sieht das Ganze aus wie ein klassischer Western mit Männern in weißen Hemden, die Männer mit schwarzen Hüten bekämpfen. Aber dann begriff ich, sagt Matthew Heineman, dass die Geschichte viel, viel komplexer ist. Wo die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen.
"But over time I realized that the story is more complex, much more grey. And the lines between good and evil are very very blurry."
Die klaren Grenzen zwischen "Gut" und "Böse" sind nicht zu erkennen
Helden wird man in dieser verstörenden, bedrückenden und gleichzeitig eindrucksvollen Dokumentation vergebens suchen. "Cartel Land" liefert vielmehr ein düsteres Bild eines Landes, in dem der Staat implodiert ist. Wo auch die Fassade des Volkstribuns bei José "El Doctor" Mireles immer mehr bröckelt. Letztlich kann er die Kräfte, die er rief, nicht mehr loswerden oder beherrschen. Denn am Ende von "Cartel Land" besteht kein Zweifel, dass die Kartelle die "Autodefensas" von Anfang an unterwandert haben.
Und ein Drogenkoch, nachts, im Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko, bringt in wenigen Sätzen die Politische Ökonomie des Drogenkrieges auf den Punkt.
"Das meiste von dem Stoff wird in den Staaten verkauft. Überall dort. Was soll ich sagen? Klar wissen wir, welchen Schaden wir dort damit anrichten. Aber, was sollen wir tun? Wir sind arme Schlucker."
Schätzungsweise 50 Milliarden Dollars machen die mexikanischen Drogenkartelle Jahr für Jahr. In mehr als der Hälfte der 32 mexikanischen Bundesstaaten soll es mittlerweile Selbstverteidigungsgruppen wie die "Autodefensas" geben.

"Cartel Land", Regie: Matthew Heinman, erscheint ab dieser Woche als VideoOnDemand und ist in einigen wenigen Kinos zu sehen.

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