Dörfer im Wandel

Von Almut Knigge, Max Baxmann und Alexandra Gerlach · 24.02.2010
Eigentlich ist die Beständigkeit auf dem Land ein Wert an sich. Aber auch hier bleibt nichts so, wie es einmal war. Die Veränderungen gehen eher langsam voran. Wenn sie aber eintreten, hat das nachhaltige Folgen: für die Bewohner, für die Infrastruktur, für das viel beschworene Gemeinschaftsgefühl. Drei Dörfer stehen im Länderreport für viele, denn alle Bundesländer sind von diesem Wandel betroffen.
Lüdersdorf (Mecklenburg-Vorpommern) - Von Almuth Knigge

Pietsch: "Durch die Schichtarbeiter, sach ich ma, hast du hier vielleicht Ruhe zwischen 23 und 2 Uhr. Da ist vielleicht Ruhe im Dorf, ansonsten ist irgendeiner immer unterwegs."

Huzel: "Also wir haben Beispiele, wo eine Familie sich, ein Ehepaar, beide berufstätig, extra dort hingegangen, sind, weil der eine muss nach Rostock, der andere nach Hamburg, und da haben sie sich einen Platz ausgesucht, der in der Mitte ist, und das war genau hier."

Das Dorf der Pendler …

Pietsch: "Pendler haben ja die Eigenart zu pendeln, da ist immer Betrieb auf den Straßen. Auf der Straße ist mehr Betrieb wie im Dorf."

…ist eigentlich ein kleines Wunder. Es heißt Lüdersdorf und liegt an der nordwestlichsten Ecke von Mecklenburg-Vorpommern. Um es zu besichtigen und zu verstehen sollte man den Ortsteil Herrnburg ansteuern, an der Kirche und der Feuerwache vorbei, über die Bahnlinie ins Neubaugebiet, da wo die Straßen und Sackgassen nach Flora, Fauna, Waldtieren und Großindustriellen benannt sind.

Morgens – 5 Uhr, im Hamsterweg und im Biberbau gehen die Lichter an, im Eulennest und im Fuchsbau ist noch fast alles ruhig aber auch im Dachsbau regt sich was. Lüdersdorf macht sich auf in den Westen - zur Arbeit – die meisten fahren ins benachbarte Lübeck.

Es ist 6.30 Uhr - von der Schäferstraße muss man mittlerweile warten, um auf die Hauptstraße abbiegen zu können, auf der Brandenbaumer Landstraße, in Richtung Westen, hat sich ein kleiner Stau gebildet.
1989 wohnten hier noch 500 Leute, 20 Jahre später ist die Siedlung angeschwollen. Von den 5000 Lüdersdorfern wohnen hier allein 3000, sagt der Bürgermeister, Erhard Huzel, der stolz ist, dass sein Dorf das ist mit dem geringsten Durchschnittsalter im Land. Aber von den 5000 Lüdersdorfern pendeln 80 Prozent nach Hamburg oder nach Lübeck oder noch weiter weg. Auch Huzel arbeitet in Lübeck, wohnt in Herrnburg im Ahornweg und bittet darum, wegen der vielen Kinder das Tempo 30 unbedingt einzuhalten. Am Rand der Siedlung ist über die Jahre ein riesiger Rodelberg gewachsen. Bauaushub hatten sie nun wirklich genug. Zu dem bisherigen Kindergarten kommen gerade zwei neue hinzu, außerdem haben die Lüdersdorfer eine schicke Ganztagsschule gebaut. .

Huzel: "Wir haben zum Beispiel einen Frühhort und auch eine Frühgruppe in der Kita, wo zum Teil ab 6.30 das Kind gebracht werden kann."

Es ist 7.00 Uhr – und Marion Jürgens öffnet das Kinderhaus "Die kleinen Waldgeister".

Jürgens: " Zurzeit haben wir 72 Kinder, das sind 18 pro Gruppe, wir haben vier Gruppen, die Bärengruppe, die Fuchsgruppe, die Eichhörnchengruppe und da betreut immer eine Erzieherin 18 Kinder."

Andernorts werden Schulen und Kitas geschlossen, sagt der Bürgermeister ohne Häme. Doch von Lüdersdorf aus kann man fast über die Grenze nach Schleswig-Holstein spucken, Lübeck liegt in Rufweite, nach Hamburg geht es fix. Aber die stolzen Hansestädter im Westen sind sauer auf die Lüdersdorfer Emporkömmlinge. Erst haben sie junge Familien angelockt, weil sie billige Grundstücke und Häuschen mit viel Grün drumherum versprachen.

Und dann haben sie auch noch Firmen abgezogen, weil sie mit riesigen Grundstücken, schnellen Genehmigungen und hohen Förderschecks winkten. Die Wirtschaftsbosse führten einen regelrechten Grenzkrieg. Man konnte meinen, dass Nord- und Südkorea miteinander verhandeln, sagt einer, der dabeisaß.

Bürgermeister Huzel weiß von anderen Problemen zu berichten, die es in seinem Pendlerdorf gibt. Nach seiner Bürgersprechstunde über der Feuerwache, die natürlich immer abends ist, weil tagsüber ja kaum einer da ist, er auch nicht. Beim Feuerwehrchef, Hartmut Pietsch, trinkt Huzel dann noch einen Kaffee.

Huzel: "Die hierher ziehen, aber vorher in Lübeck gewohnt haben…","

und da immer noch arbeiten, weil die vermeintlich vielen Firmen aus dem Westen aber kaum Arbeitsplätze mitgebracht haben

""…die bringen ihre Bankverbindung nicht mit, die hiesige Sparkasse hat von denen kein großes Geschäft und andere, die sind in ihrem Verein in Lübeck, sind da ehrenamtlich tätig und sagen, was sollen wir uns jetzt in einer neuen Gemeinde einbringen."

Pietsch nickt. Auch er hat Probleme – als Feuerwehrführer. Wenn es tagsüber brennt, dann kann es eng werden. Ist schon mal passiert.

Pietsch: "Wenn man gar keinen erreicht hat, das kommt vor. Wir hatten das bei einem Fall, wo es um Hilfeleistung ging, da konnten wir nicht raus fahren, aber das ist auch...."

Er stockt. Ist ihm ein bisschen peinlich. Er hat alle Feuerwehrkumpel mit Funkmeldern ausgestattet, aber als sie letztens eine Übung gemacht haben, da kamen von 120 Feuerwehrleuten gerade mal 25.

Pietsch: "Das ist auf fünf Feuerwehren nicht viel, würde ich sagen, aber es ist ausreichend für den ersten Moment."

Gemeindeleben ist schwer zu organisieren. Wenn, dann findet alles am Wochenende statt. Sei es privat, seien es offizielle Veranstaltungen

Huzel: "Es gibt gerade in den Neubaugebieten schon einige neu Hinzugezogene, die vom Gemeindeleben eigentlich gar nichts mitkriegen und auch gar nichts mitkriegen wollen. Die kommen aus Lübeck raus gefahren, erste Möglichkeit links biegen sie ab, ins Neubaugebiet, machen die Tür abends zu. Dass es hier ne schöne Kirche gibt, mit Kunstausstellungen oder so, das kriegen die Leute gar nicht mit."

Mittlerweile ist es 18 Uhr geworden. Immer wieder blinken Scheinwerfer durchs Fenster. Feierabend.

Pietsch: "Durch die Schichtarbeiter sach ich mal hast du hier vielleicht Ruhe zwischen 23 und 2 Uhr. Da ist vielleicht Ruhe im Dorf, ansonsten ist irgendeiner immer unterwegs."


Roddahn/Prignitz (Brandenburg) - Von Matthias Baxmann

Kemna: "Wo kann man am besten leben? Ist ja eine schwierige Entscheidung. Ich war alleine mit Kind, und was ist da möglich, wenn man im ökologischen Landbau selbstständig arbeiten möchte?"

Vossen: "Die Einwohnerzahl von Roddahn wird einfach nur dadurch seit der Wende relativ konstant gehalten, dass immer neue Leute zuziehen und immer noch Kinder geboren werden. Hier sind jede Menge Kinder. Und das ist schon ein buntes Treiben."

Miehlke: "Natürlich waren wir, die hierher gezogen sind, erstmal schon Fremdlinge. Belächelt natürlich über die Art und Weise wie wir Leben, was wir tun und machen. Dann wurden es langsam immer mehr, immer mehr und jetzt sind es relativ Viele schon."

Kusserow: "Ja, und wir, die wir hier schon ewig wohnen, wir müssen uns wirklich daran gewöhnen, zu akzeptieren, dass es auch noch was anderes gibt, als unser dörfliches, hergebrachtes Leben, so wie wir es kennen. Aber die Neuen, die jetzt zugezogen sind, verhalten sich eben komplett anders, und das muss erst akzeptiert werden."

Roddahn liegt etwa 100 Kilometer nordwestlich von Berlin in der Prignitz: Flaches, dünn besiedeltes Land, alle fünf Kilometer ein Dorf. Wer lange Spaziergänge und Radtouren zwischen Wiesen und Wäldern liebt, ist hier genau richtig. Am Ortseingang von Roddahn begrüßen den Autofahrer graue Betonwürfel einer ehemaligen DDR-Schweinemastanlage. Doch die Häuser dieses Brandenburger Straßendorfes sind zum Teil bemalt oder phantasievoll saniert. In einem großen Vierseitenhof befindet sich der Naturbauhof. Im rekonstruierten Dachgeschoss arbeitet Elisabeth Seyfferth in einem professionell eingerichteten Büro.

"Ich lebe seit 17 Jahren hier in Roddahn. Und seit 1999 ist so die Idee geboren, auch durch das viele Ausbauen hier bei uns auf dem Hof, mit ökologischen Baustoffen, das zu unserem beruflichen Thema zu machen. Und eigentlich sind wir darüber auf die Idee gekommen, hier so ein Zentrum für umweltgerechtes Bauen aufzubauen, Stück für Stück."

Stück für Stück sind durch den Naturbauhof vier Arbeitsplätze entstanden. Die studierte Landschaftsplanerin Elisabeth Seyfferth ist eine der vielen Zugezogenen. In Roddahn wie in den beiden Nachbardörfern Babe und Lohm ist die Zahl der Neubewohner im Verlauf der letzten 20 Jahren auf etwa 1/5 der Bevölkerung angewachsen.

Seyfferth: "Je mehr das werden, desto vielfältiger und bunter wird einfach auch das Angebot, was man sich so gegenseitig gibt. Am Anfang war hier nichts."

Vossen: "Wenn die Kultur hier nicht herkommt, dann machen wir sie eben selber. Das heißt, es gibt Yoga-Kurs, Theaterkurs, Tanzkurs - was heißt Kurs? Das sind dann immer Leute, die sich zusammenfinden, um das zu machen."

Michael Vossen betrieb in den 90er-Jahren das erste mobile Brandenburger Kinder- und Jugendkino. Heute kümmert er sich um den Erhalt eines Technisches Denkmals in im Nachbarort: der Historischen Papierfabrik Hohenofen. Auch Vossen ist kein Urbrandenburger, inzwischen aber Ortsbürgermeister von Roddahn. Er wohnt auf dem Gelände des Naturbauhofes, auf dem sich auch die Räume der ehemaligen Dorfkneipe mit Tanzsaal befinden.

"Und das ist der Saal. Neulich hatten wir ein Konzert da oben, Reggae Ska, und das war hier brechend voll, also hier auf der Fläche standen 100 Leute, größtenteils Zugezogene, aber auch Leute, die hier aus der Gegend kommen und immer auf der Suche nach einer besonderen Veranstaltung sind. Wir machen ja einmal Kino im Monat, und das ist dann auch immer ziemlich voll, also, meistens so zwischen 40 und 60."

Am Ende des Dorfes wohnt Julia Kemna mit ihrem Sohn. Sie ist vor drei Jahren von Berlin nach Roddahn gezogen, um sich hier einen kleinen Gartenbaubetrieb aufzubauen. Ausschlaggebend für ihre Entscheidung, gerade hierher zu kommen, war die Existenz der Freien Schule im Ort.

"Die Freie Schule, die dafür sorgt, dass auch noch andere Leute, die vielleicht ähnlich denken, in der Nähe sind."

Gemeint ist die Identifikation mit dem reformpädagogischen Konzept der Schule und den damit einhergehenden alternativen Lebensentwürfen der Familien.

"Also, hier ist es super vernetzt. Wir sind schon recht aktiv, würde ich so denken. Es sind ja bestimmt hundert Familien, die durch die Schule hier wohnen."

Vor allem in Roddahn und den beiden Nachbardörfern. Im Gegensatz zu vielen anderen Brandenburger Dörfern, die von Überalterung der Bevölkerung geprägt sind, sieht man hier Kinder und Jugendliche in Vorgärten auf Plätzen und vor allem rund um die Schule: Ein zweistöckiges L-förmiges Gebäude in strahlendem Orange mit goldenen Punkten. Ein Haus ohne Klassenzimmer, aber mit Räumen für die jeweiligen Altersgruppen - ohne geschlossene Türen. An einem Tisch rechnen drei kleine Mädchen mit Perlen, in einer Nische unterm Dach üben zwei Jungen Gitarre. Ein Lehrerzimmer gibt es nicht.

Ferdinand: "Wir sind jetzt immer so ein bisschen über 80 Kinder. Und wir haben hier Kindergarten, Grundschule und Sekundarstufe 1, also, Oberschule."

André Ferdinand hat die Schule 1997 mit Gleichgesinnten gegründet.

Ferdinand: "Es ist so, wir sind ziemlich konsequent, das muss man wissen, weil wir versuchen eigentlich eine Umgebung zu sein, wo Kinder wirklich aus sich heraus wachsen können, und wir würden sie nur respektvoll dabei begleiten. Mehr muss man fast nicht tun. Das ist, wie wenn man als Bauer einen Acker bearbeitet: Man muss gucken, dass das Unkraut nicht überhand nimmt und man muss schauen, dass genug gegossen wird. Also, man muss Schlechtes fernhalten und Gutes hinzufügen."

Die Freie Schule von Roddahn besuchen allerdings kaum Kinder der ursprünglichen Einwohner. Noch scheinen die beiden Bevölkerungsgruppen nebeneinander her zu leben, wenn auch in friedlicher Koexistenz.

Kusserow: "Wir sind bis dato unter uns geblieben, wenn wir gefeiert haben, wenn wir Veranstaltungen gemacht haben. Aber mittlerweile sehe ich was."

Jörg Kusserow ist Bürgermeister der Nachbargemeinde Lohm.

"Ohne die zugezogenen Alternativen, glaube ich, hätten wir hier gar keine Kinder mehr, vielleicht zwei oder drei. Aber was ich hier in Lohm sehe, das macht wirklich das Herz weit. Also, die bringen immer einen Haufen Kinder mit, und man kriegt nicht den Eindruck, dass wir auf der sterbenden Seite sind, weil, die haben wirklich dafür gesorgt, dass noch ein paar Kinder da sind."


Löwnhain, Fürstenau, Liebenau (Sachsen) - Von Alexandra Gerlach

Wolfgang Kadner, ehemaliger Ortsvorsteher von Liebenau im Erzgebirge:

"Wir stehen hier im Zentrum von Löwenhain, am Feuerwehrgerätehaus, und hinter dem Feuerwehrgerätehaus befindet sich die ehemalige Schule von Löwenhain, mit Glockenturm. Bis 1968 sind hier noch die Schüler in die Schule gegangen."

Wolfgang Kadner steht neben einem einsamen Bushaltestellenschild am Fuße eines tief verschneiten Hanges in dem kleinen Erzgebirgsdorf Löwenhain, schaut auf das trutzige, verschachtelt gebaute, ehemalige Schulhaus von Löwenhain. Keine Fußspur führt nach oben, kein Mensch ist auf der Straße zu sehen. Nur ab und zu fährt ein Auto die Hauptstraße in Richtung sächsisch-böhmischer Grenze entlang. Kadner war nach der Wende Ortsvorsteher im benachbarten Liebenau. Löwenhain sei schon damals ein Sorgenkind in der Kommune gewesen, sagt er. Viele Gebäude entlang der Dorfstraße stehen leer, ihre Zugänge sind verschneit, hier war schon lange keiner mehr. Der alte Erbgerichtsgasthof Jäpel und das Jägerhaus sind schon seit Jahren geschlossen, der einstige Kindergarten und der Konsum auch. Hier wird nicht mehr investiert.

Wolfgang Kadner: "Ja, ansonsten ist Löwenhain ziemlich abgekoppelt . Das hat damit zu tun, das es schon zu DDR-Zeiten nach Geising eingemeindet worden ist und da haben sich die Leute hier, denke ich mir, ein bisschen aufgegeben. Es wird immer gesagt, bei Euch wird etwas gemacht, bei uns wird gar nichts gemacht. Aber wenn da nichts aus eigenem Antrieb gemacht wird, dann ist so ein Dorf auch tot. Der einzige Verein, der hier noch existiert, ist die Freiwillige Feuerwehr."

In Löwenhain ist die Zahl der Einwohner seit dem Jahr 2000 von 241 auf 205 gesunken, dörfliches Vereinsleben gebe es kaum noch, sagt Wolfgang Kadner. Löwenhain habe den Anschluss verpasst und das, obwohl es gleich nach der Wende zeitweise sogar ein besonders gefördertes Dorf im Rahmen der ländlichen Neuordnung war.

Auch im benachbarten Ortsteil Fürstenau hat man mit dem Rückgang der Bevölkerung zu kämpfen. Pittoresk schmiegen sich die alten Häuser an die geschwungenen Hänge, aber Zuzüge gibt es nur wenige direkt am Erzgebirgskamm. Allenfalls stadtmüde Dresdner kauften sich kleine Zweitwohnsitze, erzählt Wolfgang Kadner mit Blick über die tief verschneiten Bäume und Felder in unmittelbarer Grenzlage nach Tschechien:

Wolfgang Kadner: "Heute haben wir hier einen sehr schönen Tag getroffen, herrlichen Sonnenschein und heute kann man in Fürstenau auch Häuser verkaufen, mit Wertaufschlag, weil es so idyllisch aussieht."

Die Idylle trügt. Der demografische Wandel ist in Sachsen und unter anderem vor allem im Erzgebirge bereits deutlich spürbar. In den Jahren seit 1990 ist die Bevölkerungszahl im Freistaat Sachsen von fünf Millionen auf 4,2 Millionen zurückgegangen. In den nächsten zehn Jahren wird sie um weitere zehn Prozent sinken, am meisten in der Lausitz und im Erzgebirge.

Neben dem Geburtendefizit sorgt die anhaltende Abwanderung junger Menschen und vor allem der jungen Frauen für eine Verschärfung des Problems. Fehlen sie, verringert sich auch die Basis für Familiengründungen. Das spürt man auch in Fürstenwalde. Kaum ein Kind ist auf der Straße zu sehen.

Wolfgang Kadner: "In Fürstenwalde besteht eine Einkaufsmöglichkeit inzwischen nicht mehr, weil mit 380 Einwohnern war das nicht mehr lukrativ. Dasselbe ist mit dem Kindergarten, der ist vor vier Jahren geschlossen worden, aufgrund der mangelnden Kinderzahl."

Einen von drei Gasthöfen gibt es noch, geöffnet nur am Wochenende, mehr lohnt sich nicht. Eine einzelne Fußspur im Schnee und der zugewehte Eingang zur kleinen Dorfkirche zeigen, dass hier schon lange kein Gottesdienst mehr gefeiert wurde. Einen Pfarrer gibt es hier nicht mehr, ebenso keinen Arzt und keine Apotheke und auch keine Poststelle mehr. Fürstenwalde, das zu DDR-Zeiten Erholungsort war und dank mehrerer Ferienheime vom Tourismus profitierte hat, so scheint es – hat den Anschluss an die neue Zeit verpasst. Immerhin: einen Bäcker gibt es noch.

Ein paar Kilometer weiter, im ehemaligen Schulhaus von Liebenau gibt es noch einen kleinen Gemischtwarenladen. Er ist der einzige weit und breit. Eine wichtige Anlaufstelle für viele ältere Bewohner der ehemaligen Bauerndörfer, die zu DDR-Zeiten alle zur mächtigen LPG "Grenzland" gehörten.

"Madeleine, darf es noch was sein bei Dir?.9 ... Euro und 6 Cent ..."

Monika Leupold ist 57 Jahre alt. Seit acht Jahren ist sie die Seele des Tante-Emma-Ladens von Liebenau im Erzgebirge. Sie hat einst in diesen Räumlichkeiten die Schulbank gedrückt. Auf Initiative des Gemeinderates hat die Feuerwehr die alten Klassenräume umgebaut und hergerichtet, nachdem der letzte Konsum geschlossen worden war. Monika Leupold bedauert, dass die Infrastruktur in den umliegenden Dörfern immer weniger wird. Schon deshalb hält sie ein großes Sortiment bereit:
"Also Textilien, Blumen, Gemüse, Lebensmittel, Backware, Frostware, Haushaltschemie, Zeitungen, Bücher, Artikel von A-Z."

Der Laden sei eine elementar wichtige Einrichtung für Liebenau, um den Ort vor dem weiteren Ausbluten zu bewahren, sagt Wolfgang Kadner,der ehemalige Ortsvorsteher. Er hat mit seinem Gemeinderat nach der Wende entscheidende Weichen gestellt:

"Das war eigentlich unser Ziel von Anfang an, dass wir versuchen, die Jugend hier zu halten, damit dass wir ein sehr agiles Vereinsleben hier haben in Liebenau, Möglichkeiten geschaffen haben, das Vereinsleben auch voll auszukosten."

So ist es gelungen, auch die jüngere Generation am Ort anzusiedeln. Neue Einfamilienhäuser sind entstanden, alte Gehöfte beherbergen heute wieder mehrere Generationen. Eine alte Schweinemastanlage mitten im Dorf wurde umgebaut zum Vereinsheim mit einer improvisierten Sporthalle. Ein Heimat- und Schützenverein ist entstanden und auch die Jugend hat wieder einen eigenen Club. Auch hat Liebenau frühzeitig in seinen Kindergarten gleich neben dem Schulhaus investiert. Er ist der Einzige in diesem ländlichen Bereich.