Dissident und leidenschaftlicher Literat

Von Hermann Schmidtendorf · 20.07.2013
Er war überzeugter Kommunist und führender Dissident seines Landes. Vor allem aber ist der Tscheche Pavel Kohout ein leidenschaftlicher Literat. Seine Werke sind nachdenklich, empfindsam, witzig und voll überraschender Wendungen. Heute wird er 85 Jahre alt.
"Die Lyrik kann man vergessen, das war also eigentlich nie gut, das waren meine Anfänge."

Von seinem dichterischen Jugendschaffen ist Pavel Kohout nicht eben überzeugt. Es umfasste auch Lobeshymnen auf Stalin. Geboren am 20. Juli 1928 in Prag, verbrachte Kohout zusammen mit seinem Vater – der verkaufte Pkws der Marke Praga – einige Jugendjahre im polnischen Oświęcim. Mit 18 Jahren, kurz nach Kriegsende, kehrte Kohout dorthin zurück, schockiert über den Zivilisationsbruch Auschwitz, das Vernichtungslager, das die Nazis in dieser Stadt errichtet hatten. Kohout trat der kommunistischen Partei seines Landes bei.

In seiner Autobiografie von 2012 "Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel" erklärt Kohout pragmatisch, warum er trotz Desillusionierung nach Stalins Tod in der kommunistischen Partei der Tschechoslowakei blieb:

"Nicht alles schien uns verloren, und wir wollten jetzt das System von innen verändern."

Kohout arbeitete als Zeitschriften- und Rundfunkautor, wurde der meistgespielte Dramatiker der Tschechoslowakei.

"Dann hab ich 20 Jahre nur Theaterstücke geschrieben, bis man mir verboten hat, Theaterbühnen in meiner Heimat zu betreten …"

1968 wurde Kohout Fürsprecher des Prager Frühlings und nach dessen Scheitern mit offiziellem Bann belegt. Plötzlich konnte der tschechoslowakische Publikumsliebling seine Anhänger nur durch Untergrundpublikationen erreichen. Dafür wuchs die Anerkennung seiner Werke im Ausland, wo er heute als meistgespielter tschechischer Theaterautor gilt.

"Dann hab ich angefangen, Prosa zu schreiben – aus Not. Und jetzt schreibe ich also abwechselnd Prosa und Drama, so wie es die Themen bestimmen."

1976 bereitete die kommunistische Staatsmacht in Prag einen Schauprozess gegen die psychedelische Musikgruppe "The Plastic People of the Universe" vor. Ihre nonkonformen Texte waren das komplette Gegenteil einer in der Tschechoslowakei gewünschten Kultur. Doch unerwartet solidarisierten sich nicht nur Untergrundkünstler, sondern ein beachtlicher Teil der tschechoslowakischen Bevölkerung mit den jungen Wilden. Der Protest gipfelte in dem Oppositionsmanifest Charta 77. Zu den Unterzeichnern gehörten der Literat und spätere Staatspräsident Vaclav Havel und auch sein Schriftstellerkollege Pavel Kohout.

"Ich gehöre zu den Menschen, die sich damals die Charta 77 ausgedacht haben, weil die Plastic People vors Gericht gehen sollten. Aber ich mochte die Lieder nie (lacht). Es ist nicht meine Kultur, aber für mich ist jede Kultur natürlich wichtig, die gemacht wird und die man Kultur nennen kann."

Nach seiner Unterstützung der Charta 77 wurde Pavel Kohout aus der Tschechoslowakei ausgewiesen. In Wien erhielt er die österreichische Staatsbürgerschaft. Seither spricht er von Prag als seiner "Urheimat".

Wie schmerzhaft dieser Einschnitt für den Dichter sein musste, lässt sich erahnen, wenn man seinen 1984 erschienenen "MERIAN Reiseführer Prag" liest. Kohout bemüht sich um äußerste Sachlichkeit; auf Franz Kafka und Jaroslav Hašek verweisend, kann er doch die Sehnsucht nach seiner Heimatstadt nicht verbergen:

"Beide zusammen bieten eine der genauesten künstlerischen Abbildungen der Welt in diesem Jahrhundert – etwa so, wie Sauerstoff und Stickstoff miteinander die Luft bilden."

Seit dem Umbruch in Europa 1989 lebt Kohout in Wien und Prag. Die Reflexion über die Frage, wie ein Schriftsteller heute sein Publikum erreichen kann, führt Kohout auch in seinem Werk.

"Wie soll man eine Geschichte erdenken, damit sie Frauen und Männer, Jung und Alt ergreift, die nicht mehr zu Lesen gewohnt, sondern dem Fernsehen verfallen sind?"

… fragt sich der Erzähler zu Beginn des 2011 erschienenen Romans "Der Fremde und die schöne Frau". Kohouts Mittel sind präzise Beobachtungsgabe, lebendige Formulierkraft sowie trockener Humor. Kohout sieht sich als Gedächtnis, als einfühlsamer Chronist dramatischer Umbrüche in Europa.

"Mich interessieren Geschichten und Schicksale der Menschen. Und natürlich sind die tschechisch-deutschen, tschechisch-österreichischen Themen die Themen meines Lebens, weil die Kenntnisse werden durch meine Biografie gedeckt."