Diskussion um militärische Eingriffe

"Keine klare Optionen für Interventionen"

Afghanische Sicherheitskräfte versuchen die Lage in Afghanistan in den Griff zu bekommen.
Afghanische Sicherheitskräfte versuchen die Lage in Afghanistan in den Griff zu bekommen. © dpa / picture alliance / Ghulamullah Habibi
Karl-Heinz Kamp im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 30.09.2015
Auch in Deutschland wird über militärische Interventionen in Syrien und Afghanistan diskutiert. Dafür fehlten aber klare Optionen, meint Karl-Heinz Kamp, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik: Es gebe eine "dauerhafte Erosion" von Staatlichkeit in bestimmten Regionen.
Liane von Billerbeck: Militärische Interventionen, die müsse man grundsätzlich überdenken – das sagte gestern der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels. Denn eines dieser Beispiele für eine Intervention war Afghanistan, das Land, in dem die Taliban wieder auf dem Vormarsch sind, seit die US-Armee und auch die Bundeswehr von dort abgezogen sind.
Kundus wurde dieser Tage zurückerobert. Ob man in Syrien intervenieren soll, mehr als bisher aus der Luft, das wird ebenfalls sehr heftig diskutiert, besonders seit Wladimir Putin Flugzeuge und Soldaten dorthin verlegt hat und verlegen will. Militärisch intervenieren, bringt das was? Darüber will ich jetzt mit Karl-Heinz Kamp sprechen, der Präsident der Bundessicherheitsakademie ist und vorher auch bei der NATO gearbeitet hat. Er ist heute in Oslo am Telefon, schönen guten Morgen!
Karl-Heinz Kamp: Einen schönen guten Morgen, grüße Sie!
von Billerbeck: Was gewinnt man, wenn man – wie in Afghanistan – interveniert und sich später zurückzieht?
Kamp: Na ja, zunächst muss man ja mal überlegen, ob es Situationen gibt, wo man gar nicht wählen kann. In Afghanistan war es ja so, dass man einfach von der damaligen Stimmungslage her unmittelbar nach den Angriffen am 11. September einfach sagte, da muss man irgendwas tun, man kann da nicht einfach sozusagen dabei stehen. Allerdings sind natürlich Afghanistan oder auch Libyen Beispiele dafür – und das hat der Wehrbeauftragte wahrscheinlich angedeutet –, wie bescheiden wir geworden sind mit Blick auf das, was man in solchen Ländern erreichen kann. Die letzte wirklich, in Anführungszeichen, "erfolgreiche" Intervention war auf dem Balkan, wo Sie heute eine mehr oder minder stabile Situation haben, 15 bis 20 Jahre danach. Das sind die Größenordnungen, in denen wir denken, und das muss man sich in der Tat vorher überlegen, ob man das machen möchte.
"Staaten hören auf zu existieren"
von Billerbeck: Na, da könnte man auch noch streiten, ob der Balkan stabil ist, wenn man die vielen Flüchtlinge sieht, die gerade zu uns kommen, aber das ist ein anderes Thema. Trotzdem die Frage: Wir diskutieren ja jetzt gerade eine mögliche Intervention in Syrien. Sie kennen sich damit aus – wenn man sich das Land anguckt, da führt ein Diktator Krieg gegen das eigene Volk, es gibt Terroristen vom IS, es sind ganz unterschiedliche Gruppen dort unterwegs, Millionen Menschen auf der Flucht. Wie kann man in so einem Land intervenieren?
Kamp: Also ich glaube, dass man sich überlegen muss, a) gegen wen oder für oder gegen wen oder für was man interveniert. Da hatte man damals auf dem Balkan eine klare Option, man hatte im Prinzip in Afghanistan etwas Ähnliches. Halt eben in der heutigen Situation, im Nahen und Mittleren Osten, haben wir ja das Problem, dass wir eine dauerhafte Erosion von Staatlichkeit sehen, Staaten hören auf zu existieren – in Syrien, im Irak und anderen Staaten –, und wenn das so ist, dann haben Sie ja keinen mehr gegen den oder für den, die intervenieren können, ob nun militärisch oder wirtschaftlich oder politisch. Das heißt, Sie müssten sich in Syrien mit, ich weiß nicht, 48, 50 verschiedenen ISIS-Gruppen, die auch von unterschiedlichen Akteuren in der Region unterstützt werden, auseinandersetzen. Das heißt, wenn wir da über Intervention reden, dann reden wir über Opferzahlen auf der Seite derer, die intervenieren, die unsere Gesellschaften nicht mehr zu tragen bereit sind. Natürlich sagt man, man kann da doch nicht zusehen, aber die Frage ist, ob man wirklich bereit ist, 100, 500, 1.000 mögliche Tote aufseiten der Intervenierenden eben in Kauf zu nehmen. Und da ist die Antwort wahrscheinlich Nein.
Nach der alten Regierung kommt nicht automatisch eine neue
von Billerbeck: Na ja, denn die Optionen, also Luftangriffe, Waffenlieferungen oder Ausbildung von Kämpfern, die sind ja schon ausprobiert worden. Und das Ergebnis war nur, dass der Islamische Staat immer stärker wurde. Gibt es denn Alternativen dazu, was kann man denn unternehmen?
Kamp: Sie müssen ja auch überlegen, welche Situation finden Sie eigentlich vor. Natürlich können Sie irgendetwas zerbomben oder natürlich können Sie gegen irgendein punktuelles Ziel vorgehen. Aber wie wir in Libyen gesehen haben, heißt das ja nicht, dass wenn Sie eine Regierung oder eine Ordnung überwunden haben, dass sich automatisch eine neue bildet. Also kann man sagen, dann müsst ihr auch schon bei der Ordnungsbildung mithelfen.
Dann ist wiederum die Frage, ob das in der Region eben gewollt und akzeptiert ist oder ob es dann nicht heißt, das ist ja der Westen, der wieder mal seine eigene Ordnung bei uns etabliert – die Besatzer. Also insofern kann ich schon vorstehen, dass man da sehr vorsichtig sein wird. Wir haben die Situation, dass wir in eine Lage kommen können, wo wir große Brutalität irgendwo sehen, das Abschlachten von deutschen Journalisten irgendwo im Nahen und Mittleren Osten. Und man selber weiß, man kann da nichts tun. Das ist eine neue Lage, die wir so vorher nicht hatten.
Die Sicht der Militärs
von Billerbeck: Wie ist das für Sie als Militär, wenn man eigentlich mit gebundenen Händen dasteht?
Kamp: Ich bin keine Militär, ich bin Zivilist, und insofern ...
von Billerbeck: Aber Sie beschäftigen sich mit dem Thema und sind Präsident der Bundessicherheitsakademie, die natürlich sich mit militärischen Themen beschäftigt.
Kamp: Genau, und da sagen die Militärs halt, wir bekommen unsere Aufträge von der Politik, wir beraten die Politik und sagen der Politik, in dieser Situation wäre es gut oder möglich, in dieser Situation nicht. Wenn die Politik anders entscheidet, werden wir als Militärs das tun, das gebe ich jetzt mal wieder, aber ich glaube, dass auch ein Rat des Militärs an die Politik immer sein wird: Vorsicht! Und genau das hatten wir in Syrien. Die Diskussion über ein Eingreifen in Syrien gibt es ja schon seit einer ganzen Weile, und da haben die Militärs frühzeitig gesagt, Syrien ist nicht Libyen, das ist etwas völlig anderes – viel größer, ein funktionierender Staat, ein funktionierendes Militär –, überlegt euch gut, ob ihr die Opfer, die damit verbunden sind, bereit seid zu tragen.
Das Beispiel Afghanistan
von Billerbeck: Sie haben es ja schon in einer Antwort gesagt, deshalb die Frage noch mal als Nachfrage: Lehrt nicht das Beispiel Afghanistan, dass die eigentlichen Probleme erst dann beginnen, wenn man mit den militärischen Mitteln ein Regime zwar gestürzt hat, aber nun das Land befrieden und neu aufbauen muss?
Kamp: Natürlich, wir haben in Afghanistan ja seit vielen, vielen Jahren schon versucht, das parallel zu machen. Es ist ja nicht so, dass da bis heute nur das Militär geherrscht hat, sondern es sind riesige Geldbeträge, Milliarden, Milliarden, immense Anstrengungen von insgesamt 50 Nationen weltweit in das Land geflossen, mit dem Versuch, dort etwas aufzubauen.
Jetzt kann man natürlich auch sagen, was sie zumindest brauchen, ist eine Regierung in dem Land, die auch bereit ist, positiv zu regieren. Good Governance nennt man so etwas. In Afghanistan hatten Sie lange Zeit eine Regierung, wo sie nicht sich so ganz sicher waren, ob sie wirklich Good Governance halt eben machen wollen. Dann ist wiederum die Frage, können Sie es denn so machen wie auf dem Balkan, wo man ein Besatzungsregime installiert hat und gesagt hat, wir setzen jetzt da jemanden hin, der entscheidet. Das wäre wahrscheinlich auch nicht gegangen. Also Sie merken, das ist eine ganz komplexe Gemengelage, wo man heute einfach sagt: Wir haben uns da getäuscht, wir dachten, das wäre einfacher, wir dachten, es funktioniere so, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg funktioniert hat in vielen Ländern. So funktioniert es heute offenbar nicht mehr, und keiner hat da eine Patentlösung.
von Billerbeck: Karl-Heinz Kamp war das und bestätigt damit einen Satz von Margot Käßmann: Nichts ist leicht in Afghanistan! Erinnern Sie sich? Der Präsident der Bundessicherheitsakademie hier im "Studio 9"-Gespräch, danke Ihnen!
Kamp: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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