Diskussion um Gesetzentwurf zur Sterbehilfe

Anton Wohlfart im Gespräch mit Ute Welty · 02.08.2012
In der Debatte um eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe hat der Allgemeinmediziner Anton Wohlfahrt, der die Aktion "Ärzte sollen helfen dürfen" unterstützt, die ablehnende Haltung der Bundesärztekammer kritisiert. Weder Bundesärztekammerpräsident Montgomery noch dessen Vorgänger Hoppe hätten als Radiologe bzw. Pathologe jemals in ihrem ärztlichen Leben einen Krebskranken bis zum Tod begleitet.
Ute Welty: Sterbehilfe als Geschäft – die Bundesregierung will das verhindern und deshalb einen Gesetzentwurf auf den Weg bringen, der zwischen kommerzieller und unentgeltlicher Sterbehilfe unterscheidet. Die eine soll verboten werden, die andere straffrei bleiben. Ob das ein gangbarer Weg ist, das bespreche ich jetzt hier in der Ortszeit mit Dr. Anton Wohlfart, er ist Facharzt für Allgemeinmedizin in Ehekirchen in Oberbayern, guten Morgen!

Anton Wohlfart: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Sie engagieren sich für die Aktion "Ärzte sollen helfen können", also für die ärztliche Begleitung des Freitods. Was verstehen Sie unter Begleitung?

Wohlfart: Es gibt schwerstkranke Menschen, die zum Beispiel an Nervenkrankheiten erkrankt sind, Multiple Sklerose oder Ähnliches im letzten Stadium, oder an einem Krebs im letzten Stadium, und die nicht mehr leben wollen und nicht mehr leiden wollen, sondern auf eine würdige Art und Weise, auf eine schöne Art und Weise für sich und für ihre Angehörigen ihrem Leben ein Ende setzen wollen, und zwar ganz sicher. Sie wollen sich nicht aufhängen, sie wollen sich vor kein Auto werfen oder sich nicht mit was weiß ich vergiften, sondern sie wollen eine einfache und sichere Methode.

Welty: Auch eine schmerzfreie?

Wohlfart: Eine schmerzfreie Methode, ja.

Welty: Wann haben Sie gewusst, dass Sie als Arzt auch dann helfen wollen, wenn diese Hilfe eben zum Tod führt, und nicht ins Leben zurück?

Wohlfart: Das ist einmal aus heiterem Himmel passiert, als ich 1978 einen Patienten besucht habe, der an einem zerfallenden Lungenkrebs litt, kaum noch im Bett genug Luft gekriegt hat geschweige denn, dass er noch viel rumlaufen konnte, und der hat mich gleich beim ersten Mal, als ich dort war, drauf aufmerksam gemacht, dass er mich eigentlich lieber nicht mehr sehen würde, weil er gern die Woche drauf, wo ich wiederkommen wollte, nicht mehr leben würde, nicht mehr leben wollen würde. Und wir haben das dann ein paar Wochen besprochen, auch mit seiner Frau, die genau seiner Meinung war, und sagte, sie könne diesen großen, schweren Mann auch nicht mehr hochheben, wenn er mal hinfalle. Und sie hätten immer ein gutes Verhältnis miteinander gehabt und sich geliebt, und sie könne nicht zuschauen, wie er jetzt vom Krebs aufgefressen wird. Und ich habe mich nach langen Ängsten und nach langem Überlegen dann nicht verschanzt hinter diesen Ängsten und hinter meiner Medizin, sondern ich habe ihm etwas dagelassen, wo er einfach ruhig und ohne Schmerzen gestorben ist.

Welty: Was sagen Ihre Patienten und Patientinnen zu Ihrem Engagement? Ich meine, Ehekirchen ist ein kleiner Ort mit 3.600 Einwohnern, von denen 3.000 katholisch sind.

Wohlfart: In Landpraxen finden Sie mindestens ebenso oft wie in Stadtpraxen Menschen, die sagen, und zwar ganz einfach und praktisch: Jeder Hund kann besser sterben als wir Menschen. Wenn ich meinen Hund nicht mehr leiden sehen kann, wenn mein Hund nicht mehr ein schönes Leben hat, dann kann ich ihn zum Tierarzt bringen, und der schläfert ihn ein. Nur ich habe die Möglichkeit nicht eines Tages, wenn ich nicht mehr leiden mag, dass mir jemand hilft.

Welty: Sie beschreiben eine Zustimmung in der Bevölkerung. Die Bundesärztekammer aber wehrt sich massiv, auch gegen den aktuell diskutierten Gesetzentwurf. So sagt Ärztepräsident Montgomery, Ärzte stehen als Sterbehelfer nicht zur Verfügung.

Wohlfart: Also ich muss Ihnen sagen, Frau Welty, weder der Vorgänger von Dr. Montgomery, der Prof. Hoppe, noch der Dr. Montgomery vertreten Ärzte wie mich. Diese Leute – der Hoppe war Pathologe und der Montgomery ist Radiologe –, das sind Leute, die haben in ihrem ganzen ärztlichen Leben nie einen Krebskranken bis zum Sterben, bis zum Tod begleitet. Das sind da eher Theoretiker, mich als Landarzt und Allgemeinarzt vertreten diese Leute nicht.

Welty: Würde Ihnen dieser Gesetzentwurf, der jetzt gerade besprochen wird, das Leben leichter oder schwerer machen? Oder würde sich gar nichts ändern?

Wohlfart: Ich denke, Frau Welty, dieser Gesetzentwurf ist eigentlich relativ überflüssig. Eine geschäftsmäßige Sterbehilfe, wie man sie Dignitas oder dem Roger Kusch manchmal vorgeworfen hat, was dahintersteckt, weiß ich nicht genau, gibt es eigentlich nicht. Und jeder Bürger darf einem anderen Bürger behilflich sein, zu sterben. Diese Beihilfe zum Freitod ist keinem einzigen Bürger verboten, die ist straflos gestattet. Es ist also nicht einzusehen, warum die einem Arzt, der sicher über die besten Mittel verfügt, einen sicheren und würdigen Tod herbeizuführen, warum das dem verboten sein soll auf Anfrage eines schwerstkranken Patienten, Hilfe zu leisten. Also ich denke, der Gesetzentwurf ist relativ überflüssig.

Welty: Welche Regelung würden Sie sich denn von der Politik wünschen?

Wohlfart: Dass für Ärzte das genau selbe gilt, was für jeden Bundesbürger gilt. Und man muss ja eines sehen, was die Bundesärztekammer sagt, ist eine Sache, und wie die Landesärztekammern das umsetzen, ist eine andere Sache. Also die bayrische Landesärztekammer hat diesen merkwürdigen Paragrafen der Bundesärztekammer, dass es Ärzten verboten ist, Hilfe beim Freitod zu leisten, nicht umgesetzt. In der Berufsordnung für bayrische Ärzte steht drin, der Arzt hat Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Das ist genau meine Meinung!

Welty: Und da sind Sie froh, dass Sie ein Bayer sind?

Wohlfart: Da bin ich sehr froh, dass ich ein Bayer bin!

Welty: Der Allgemeinmediziner Anton Wohlfart im Interview der "Ortszeit", das wir aufgezeichnet haben. Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen einen ganz schönen Tag!

Wohlfart: Wünsche ich Ihnen auch, Frau Welty. Danke!

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