Diskussion

Kindsmord oder Erlösung vom Leid?

Aktivisten protestieren mit dem Slogan "Do not kill" gegen Sterbehilfe für Kinder in Brüssel
Aktivisten protestieren gegen Sterbehilfe für Kinder in Brüssel © picture alliance / dpa
Von Anette Riedel, Studio Brüssel · 13.02.2014
Seit 2002 ist in Belgien aktive Sterbehilfe in begrenztem Rahmen erlaubt. Bisher können nur Erwachsene davon Gebrauch machen, jetzt soll das Gesetz auf sterbenskranke Kinder ausgeweitet werden. Nicht alle sind damit einverstanden.
"Je m'appelle Carine Brochier; je suis une des responsables de l'Institute Européen de Bioéthique à Bruxelles."
Carine Brochier vom Europäischen Institut für Bioethik ist eine entschiedene Gegnerin der aktiven Sterbehilfe. Grundsätzlich. Sterbehilfe für Kinder findet sie absurd. Für sie ist das Infantizid: organisierter Kindsmord.
"Unser Zusammenleben sollte darin bestehen, dass wir kranke Kinder auf ihrem Weg begleiten, alles Erdenkliche tun, damit sie nicht leiden, an ihrer Seite zu sein. Aber nicht sie zu töten!"
So wie Carine Brochier denk die Mehrheit der Bevölkerung im überwiegend katholischen Belgien nicht. Sie denkt eher wie diese Passanten:
"Bei einer unheilbaren Krankheit bin ich dafür, ehe ein Kind vor den Augen seiner Eltern zu sehr leiden muss."
"Es ist schwierig bei Kindern, aber sie sollten die Wahl haben, wenn sie zu sehr leiden."
"Wenn das Kind es nicht selbst kann, müssen die Eltern entscheiden. Das ist sehr schwierig. Wir haben ein behindertes Kind. Ich wüsste nicht, wie ich in solch einer endgültigen Sache entscheiden würde."
Recht auf Sterbehilfe auch für Minderjährige
Auch die politische Klasse Belgiens ist – quer durch alle Parteien - mehrheitlich dafür, dass das seit 2002 existierende Recht auf Sterbehilfe auf Minderjährige ausgeweitet wird. Senator Jean-Jaques De Gucht von den flämischen Liberalen, hat an dem Gesetzestext mitgeschrieben, der heute im belgischen Parlament zur Abstimmung steht, den die zweite Kammer, der Senat, im Dezember schon verabschiedet hat.
"Wir finden es richtig, dass ein urteilsfähiger Minderjähriger in die Lage versetzt wird, selbst zu bestimmen, wie er mit dem Lebensende umgehen möchte, wenn er unheilbar krank ist und unerträglich leidet."
"Auch Ärzte haben an diesem Text mitgeschrieben, die in ihrer Arbeit täglich mit den Schmerzen von Kindern an ihrem Lebensende zu tun haben. Wenn sie deren Leid im Falle einer unheilbaren Krankheit erleichtern können, werden sie das gewissenhaft bedenken."
Da ist sich der sozialistische Senator Philippe Mahoux sicher. Er ist selbst Arzt und einer der Väter des seit knapp zwölf Jahren existierenden Gesetzes, das aktive Sterbehilfe in Belgien unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Ärzte dürfen dann aktiv Hilfe beim Sterben leisten, wenn jemand unheilbar krank ist, unter unerträglichen Schmerzen leidet, sich frei dafür entscheidet. Und bisher eben: volljährig ist.
"Heute ist das möglich bei jemandem, der 18 Jahre alt ist. Aber zu jemandem, der noch keine 18, aber mental völlig reif ist, müssen wir sagen: Wir dürfen es nicht."
Nicht alle Ärzte sind dafür
Jedenfalls nicht legal und offiziell. Nicht alle belgische Ärzte unterstützen wie Gerlant Van Berlaer, Kinderarzt an der Uniklinik Brüssel, das Vorhaben, die Sterbehilfe auf Kinder auszuweiten. Einige haben sich gegen das neue Gesetz engagiert. Wie auch Vertreter der Zivilgesellschaft, die in den vergangenen Wochen für ihre Überzeugung, dass dieses Gesetz nicht kommen darf, wiederholt auf die Straße gegangen sind.
"Was für eine Botschaft vermitteln wir Kindern mit diesem Gesetz? Dass sie für diese Gesellschaft am Ende ihres Lebens keinen Wert mehr haben, nur noch eine Belastung sind?
Ein Mindestalter für Minderjährige, um Sterbehilfe zu bekommen, sieht das neue Gesetz nicht vor. Die Ethikerin Carine Brochier findet das aberwitzig.
"Ich bitte Sie - nach dem Gesetz ist es Zwölfjährigen nicht erlaubt, ein Haus zu kaufen, ein Konto zu eröffnen, zu heiraten. Aber jetzt man will ihnen die Fähigkeiten zusprechen, zu entscheiden, dass sie sterben wollen?"
Das Gesetz schreibt vor, dass die Betreffenden nachweisbar die Reife für eine Entscheidung von solcher Tragweite haben müssen. Ärzte und Psychologen werden das zu bewerten haben. Die Eltern eines Kindes müssen zustimmen.
Zu den erklärten Gegnern der Sterbehilfe im Allgemeinen und der für Kinder im Besonderen gehört auch die katholische Kirche in Belgien.
"Wenn man diese Tür aufmacht, fürchte ich, dass wir eines Tages Sterbehilfe für alle und jeden haben."
Wie Monsignore Léonard, Erzbischof von Mechelen-Brüssel, fürchten die Gegner des Gesetzes, dass es nicht bei Einzelfällen, bei geschätzten 5, 10, vielleicht 15 Minderjährigen im Jahr bleibt, die Sterbehilfe wünschen, sondern dass die Zahlen schnell ansteigen könnten, wenn das Tabu erst einmal gebrochen ist.
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