Diskussion

Die dritte Chance

Von Benedikt Schulz · 20.03.2014
26 junge Expertinnen aus der Ukraine trafen sich in Berlin, um über die Zukunft der EU-Ukraine-Beziehungen zu beraten. Dabei waren sie - aufgrund der Ereignisse - in Gedanken oft mehr in ihrer Heimat.
Olena Chepurna, Oleksandra Nechyporenko und Dmytro Ostroushko stehen vor dem Reichstagsgebäude, vor dem massiven Portal mit seinen riesigen Säulen. Die gläserne Kuppel können sie von hier unten nur erahnen. Interessiert lauschen die jungen Ukrainer den Worten ihrer russischen Reiseführerin. Die drei stehen zum ersten Mal hier.
"Actually, I was curious to see the parliament. First of all becausej: as a child I was a young pioneer in the Soviet Union. And we knew about Reichstag, and we knew that that was the place that was the symbol of victory for the Soviet Union. Now I see it as a modern place, an interesting place, a very relaxed place."
"Ich war neugierig auf das Parlament. Als Kind war ich Jungpionier und für uns war der Reichstag das Symbol des Sieges für die Sowjetunion. Und nun sehe ich ihn als modernen, interessanten und entspannten Ort."
Der Reichstag strahle Transparenz aus. Jeder Bürger könne kommen und zusehen, wie hier Entscheidungen gefällt werden.
"And the Design oft he building implies that it is transparent. The people who are just commoners can come and see how the decisions are taken."
Ganz unterschiedliche Zukunftsvisionen
Olena, Oleksandra und Dmytro, alle um die dreißig Jahre alt, sind Vordenker für ihr Land - sie arbeiten in wichtigen Positionen in der Ukraine, in Think-Tanks, für internationale Austauschprogramme oder für die neue Regierung. Und sie haben für ihre Heimat in die Zukunft geblickt.
In den letzten Monaten haben die drei Ukrainer zusammen mit 23 anderen jungen Ukrainern Brainstorming betrieben. Die Frage: Wie steht es um die Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU im Jahr 2030? In lebhaften Debatten haben sie vier mögliche Szenarien erarbeitet.
"It was actually about a change of opinions. What is especially interesting is that, when people with different opinions come together and they exchange opinions. Divergent opinions, new opinions, new ideas erase. I personally got much to know from my friends, my NEW friends, because it was also about networking. Hopefully they learned from me also."
"Es ging um Meinungsaustausch. Wenn viele unterschiedliche Meinungen aufeinander treffen, entstehen neue Ideen. Ich habe viel dabei gelernt."
Von ganz optimistisch bis tief pessimistisch reichen ihre Zukunftsvisionen. Im besten Falle die Autobahn, die direkt in den Schoß der EU führt - im schlimmsten Fall die Sackgasse, ohne funktionierende Demokratie und mit starkem Einfluss Russlands.
Zum Ende der Führung geht es nach ganz oben. Auf die Reichstagskuppel. Dmytro ist beeindruckt - nicht nur von der atemberaubenden Aussicht.
"Well this is a good proof of the life. We remember Reichstag-ruins. What I see today is life-encouraging. You know, it is a good symbol, especially at the moment when Ukraine is experiencing a difficult moment with Russia. It is a good symbol of hope, I am really impressed. I am anxious but everybody has to be optimistic. Otherwise there is no sense to live."
"Wir erinnern uns an die Ruinen des Reichstags. Was ich hier sehe ist ermutigend. Gerade jetzt, in dieser schwierigen Phase mit Russland ist das ein gutes Symbol. Ein Symbol der Hoffnung. Ich mache mir Sorgen um die Ukraine, aber wir müssen optimistisch sein. Andernfalls gibt es keinen Grund weiter zu machen."
Am Abend in der Lobby des Hotels Berlin am Lützowplatz. Dmytro fragt die Dame an der Rezeption nach einem Restaurant mit typisch deutscher Küche. Olena und Oleksandra wollen im Hotel bleiben. Nach einem langen Tag voller Eindrücke und Gespräche sind sie zu erledigt, um das Berliner Nachtleben zu erkunden. Außerdem: In Gedanken sind sie fast immer zuhause - scannen pausenlos ukrainische Nachrichtenseiten auf ihren Tablet-PCs.
"Of course we are all tracking the news. We´re constantly communicating with our friends at home asking, what kind of developments are there."
"Wir verfolgen die Nachrichten,standing. Und wir tauschen uns mit unseren Freunden daheim aus, überprüfen ununterbrochen, was gerade passiert."
Die Arbeit an dem Projekt fand statt zwischen Dezember und Februar - in einer Zeit, in der sich ständig alles veränderte - und die aktuelle Entwicklung auf der Krim, die war beim Abschluss des Projekts Mitte Februar noch überhaupt nicht absehbar.
"When we worked on the scenarios we didn't know this wildcard will come into reality. This situation is still not predictable. I mean, despite what we hear that the absolute majority voted yes with Russia it is still not definite. So we will hope for the best. I don't see Ukraine without Crimea. It´s somehow, I don't know, Sci-Fi."
"Als wir an den Szenarios gearbeitet haben, haben wir nicht geahnt, dass das passieren würde. Und trotz allem, was wir jetzt über das Referendum auf der Krim hören, ist die Situation noch immer nicht vorhersehbar. Wir hoffen das Beste. Ich kann mir eine Ukraine ohne die Krim einfach nicht vorstellen. Das ist wie Science-Fiction."
Ein Land mit einer dritten Chance
Einen Tag später präsentieren die drei Ukrainer ihre Szenarien vor Vertretern der Friedrich-Ebert-Stiftung. Am Mittag hat Wladimir Putin vor jubelnden Zuhörern in Moskau klar gemacht: Die Krim gehört zu Russland. Der russische Präsident schafft Fakten - kein Science-Fiction.
Russland will die Zukunft der Ukraine mitbestimmen - für Olena, Oleksandra und Dmytro aber ist klar - die bestmögliche Zukunft für die Ukraine liegt in der EU.
Bei der anschließenden Diskussion erfahren Olena, Dmytro und Oleksandra viel Zustimmung - doch nach Putins Machtgehabe und der Stimmung im Osten des Landes sind viele der Anwesenden skeptisch - eine schnelle Annäherung an die EU - das halten sie für naiv.
"Yeah it´s nice, Ukrainians are coming, we have a lot of money, we can really waste it! It´s silly! - So you make your points… - You! The Ukrainians have to change! - Yes, I would actually agree with you and…"
Nach rund 90 Minuten ist die Veranstaltung zu Ende - Oleksandra reibt sich müde die Augen. Sie und ihre beiden Mitstreiter Olena und Dmytro sind sichtlich erschöpft. Viel Diskussion, viel Gegenwind. Nach dem Ende der Sowjetunion und dem Scheitern der Orangenen Revolution 2004 steht die Ukraine jetzt vor ihrer dritten Chance - und die drei Experten sind - vorsichtig - optimistisch.
We still can not hope for a magic rescue. It is upon ourselves. It´s our third chance. And we just couldn't waste it, because we will probably be a failed state if we do. So we are going back home and understand we have to work, work, work and try, try, try and try some more. And hopefully we will be in the family of European nations soon.
"Wir dürfen nicht auf ein Wunder hoffen. Es liegt allein an uns - es ist unsere dritte Chance und wir müssen sie einfach nutzen. Sonst wird die Ukraine scheitern. Wieder zu Hause werden wir daran arbeiten, arbeiten, arbeiten und es immer weiter versuchen. Und hoffentlich bald ein Teil von Europa sein."
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