Aus den Feuilletons

Aus der Pandemie in den Alltag

05:44 Minuten
Menschen bewegen sich, geschützt von digitalen Blasen, im öffentlichen Raum.
Ob in der Freizeit oder in der Arbeit, die digitale Welt ist vor allem in der Pandemie fast unverzichtbar geworden. © Imago / Ikon Images
29.05.2021
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Wie finden wir zurück in die raue Wirklichkeit, nachdem wir zahllose Stunden in fiktiven Welten von Netflix verbracht haben, fragte sich "Zeit"-Autor Jens Jessen in der vergangenen Woche. Andere sagen, sie würden der Pandemie sogar nachtrauern.
"Obst und Gemüse sind sehr anspruchsvoll, ihre Haltung ist aufwendig", machte sich Hans Zippert in seiner satirischen Kolumne für DIE WELT einen Reim darauf, dass Deutsche weniger Geld für Fleisch und Fisch ausgeben als für Obst und Gemüse.
"Sie lassen sich beispielsweise nicht so eng zusammenquetschen wie Schweine, und wenn man der Birne am Baum den Stiel abschneidet, ist das nicht so harmlos wie eine Ferkelkastration." So Hans Zipperts Ausführungen, die sehr sensible Gemüter möglicherweise als nicht ganz jugendfreie Ferkeleien einstufen.

"Weichgezeichnete Videokonferenzen"

"Nach der letzten großen Pest haben die Menschen Orgien veranstaltet. Für diesmal erwarte ich dasselbe", prophezeite die Autorin und Regisseurin Anika Decker in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und verriet, was sie durch die Pandemie gelernt hat: "Man sollte nichts verschieben. Weder das Glück noch das Feiern."
Mit ihrer Vorfreude auf das postpandemische Leben stand Decker allerdings ziemlich allein in den Feuilletons dieser Woche. Beim Lesen stellte man sich die Sorgenfalten auf der Stirn der Feuilletonisten allzu bildlich vor; das Rascheln der Zeitungsblätter klang plötzlich wie ein mit ganz viel Zweifel angereicherter Seufzer.
"Wiedersehen mit der Wirklichkeit" titelte Jens Jessen in der ZEIT. In so großen Buchstaben gedruckt, hatte es etwas Bedrohliches. Jessen fragte: "[...] wie geht der Weg zurück aus den bunten Netflix-Welten, aus den seltsam wattigen, weichzeichnenden Videokonferenzen in die raue Wirklichkeit?"
Von der "Angst vor der Normalität" sprach gar die Wochenzeitung DER FREITAG. "Corona geht, das Leben kehrt zurück. Aber sind wir auch bereit dafür?" Nein, antwortete in derselben Zeitung die Autorin Ruth Herzberg und erklärte, inwiefern sie der Pandemie schon bald nachtrauert: "Für mich als impulsiven Menschen war das Kommunizieren mit anderen während der Pandemie ein Geschenk. Während des Ausnahmezustandes waren alle dort, wo ich sowieso immer bin: am Rande des Nervenzusammenbruchs."

Sicherheitskräfte checken Chatverläufe

Angst vor einem ausgelassenen Leben ohne Auflagen, den meisten Menschen in Belarus dürfte das wie ein Luxusproblem vorkommen. "Es gibt keinen Diktator Lukaschenko ohne den Diktator Putin im Hintergrund, der ihn stützt, erpresst, ihn einsetzt", betonte der Historiker Karl Schlögel in der WELT mit Blick auf die politische Lage in Belarus.
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG gab Simon Strauß ein Videogespräch mit einer Frau aus Minsk wieder, die er zu ihrer eigenen Sicherheit nicht mit ihrem richtigen Namen nannte. Maria hat gegen Lukaschenko auf der Straße demonstriert und nun Angst um ihrer Familie.
"Was Lukaschenko und seine Schergen einsetzten, um die Demonstrationen im Land zu ersticken, seien 'stalinistische Methoden', der Geist des Totalitarismus wehe sie inzwischen von jeder Straßenecke an. Etwa, wenn Sicherheitskräfte bei einem Abendspaziergang die Chatverläufe auf dem Mobiltelefon kontrollierten", referierte Strauß Marias Aussagen, um dann selbst anzumerken, eigentlich müssten die Deutschen lautstark gegen Lukaschenko demonstrieren, gerade jetzt, nach der erzwungenen Landung des Passagierflugzeugs und der Festnahme des Bloggers Roman Protassewitsch.
"Aber wie schon im vergangenen Herbst bleiben bei uns in Deutschland die Demonstrationen aus", schrieb Strauß weiter in der FAZ."Das Ganze passt irgendwie nicht so richtig in den moralgrünen Protestkalender."

Ortsnamen ohne Rassismen und Mehrdeutigkeiten

"Grüne Jugend will das Dorf Negernbötel umbenennen", meldeten DIE WELT und DER SPIEGEL. Zwar erklärten die Sprecher der Grünen Jugend des schleswig-holsteinischen Kreises Segeberg, in dem Negernbötel liegt, sie wüssten sehr wohl, dass der erste Teil des Namens, "Negern-", aus dem Plattdeutschen komme und 'näher' bedeute, aber andere Menschen würden mit dem Ortsnamen den rassistischen Begriff assoziieren.
Die grüne Jugend Segeberg traut sich deshalb nicht einmal mehr, den Namen des Dorfes auszusprechen oder auszuschreiben. Bei Instagram hat sie drei Buchstaben durch Sternchen ersetzt: "Der Ortsname N***rnbötel enthält das sehr verletzende und rassistische N-Wort", schreiben die Nachwuchs-Grünen.
Das erinnert ein bisschen an George Orwells Roman "1984", in dem ein totalitäres Regime die Sprache von vermeintlich schädlichen Begriffen und Mehrdeutigkeiten säubert.
Aber was solls! "Neusprech" hätte doch den Vorteil, dass sehr feinfühlige Menschen bald nicht mehr so anstößig-vulgäre deutsche Orts- und Gemeindenamen ertragen müssten wie "Wietmarschen" und "Fickmühlen". Entschuldigung! Ich meinte natürlich: "Wietm*****en" und "****mühlen". Ach, was! Warum nicht gleich ganze Sätze tilgen und Menschen vor potenziell gefährlichen, also vor allen Zitaten schützen?!
Beginnen wir also noch einmal diese Kulturpresseschau: "**** *** ****** **** **** *************, **** ******* *** *********", machte sich Hans Zippert in seiner satirischen Kolumne für DIE WELT einen Reim darauf, dass Deutsche weniger Geld für Fleisch und Fisch ausgeben als für Obst und Gemüse. "*** ****** **** ************** ***** ** *** ***************** *** ********, *** **** *** *** ***** ** **** *** ***** ***********, *** *** ***** ** ******* *** **** ****************." Dieser Hans Zippert, das ist aber auch einer!
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