Digitale Überwachung

Vertrauen verloren

Von Nicole Markwald · 11.03.2014
Als bekannt wurde, in welchem Maße der US-Geheimdienst NSA herumschnüffelt, reagierten viele Firmen im Silicon Valley kaum. Doch mittlerweile droht die Stimmung in der IT- und High-Tech-Schmiede zu kippen. Denn mit jeder neuen Enthüllung sinkt das Vertrauen der Nutzer in die Sicherheit ihrer Daten bei den amerikanischen Internet-Riesen. Schäden in Milliardenhöhe drohen.
Das Café Creamery in San Francisco ist an diesem Dienstagmittag gut besucht. Fast alle Tische sind besetzt, die Espressomaschine läuft nahezu ununterbrochen. Die meisten Gäste sitzen allein – starren auf ihre Laptops, tippen auf dem Mobiltelefon herum oder sind über ihre Tablet-Computer gebeugt. Auch Joel schaut aufmerksam auf seinen Laptop, ohne seinen Blick abzuwenden schiebt er sich mit einer Gabel Salat in den Mund. Der Programmierer ist in so ziemlich allen sozialen Netzwerken zu Hause:
"Ich nutze alle Großen: LinkedIn, Facebook, Twitter und spiele mit ein paar Apps rum.“
Wenn Joel im Netz unterwegs ist, dann mit der gebotenen Vorsicht:
"Ich habe immer im Hinterkopf, dass vielleicht jemand anderes die Sachen liest, die ich schreibe, ob das nun die NSA ist oder vielleicht sehr viel später irgendeine andere Regierungsbehörde.“
Er habe es zwar geahnt, erzählt der 31-Jährige, aber das tatsächliche Ausmaß der Datensammelei des US-Geheimdienstes NSA habe ihn dann doch überrascht. Wie ihm ging es Millionen anderen in den USA. Seit Juni 2013 sorgen immer wieder neue Enthüllungen für Schlagzeilen.
Das Weiße Haus in Washington ist seitdem im Dauererklärmodus – aber die Auswirkungen der NSA-Affäre sind hier in San Francisco und Umgebung sehr deutlich zu spüren. Denn davon betroffen sind etliche Unternehmen, die hier im Silicon Valley ihren Sitz haben: Google, Facebook oder Yahoo.
Danny Yadron ist Reporter für das Wall Street Journal. Das Großraumbüro ist in einem Hochhaus im Financial District untergebracht, bis zum Wasser der Bucht von San Francisco sind es nur ein paar Minuten zur Fuß. Danny schreibt hauptsächlich zum Thema Internetsicherheit – mit anderen Worten: Sein Job ist gerade ziemlich anstrengend. Ist er nun erschöpft?
"Ein bisschen. Es scheint die immer gleiche Geschichte zu sein, nur die Technologie oder die Taktik der Schnüffelei ist unterschiedlich.“
Haben die Unternehmen mit dem Geheimdienst kooperiert?
Dannys Arbeit ist schwierig. Denn die Unternehmen, über die er berichtet, sind notorisch pressescheu. Lange war von den Chefs im Silicon Valley nichts oder nur sehr wenig zu hören. Durch die Dokumente von Edward Snowden wurde bekannt, dass ein Spähprogramm namens "Prism“ den US-Behörden direkten Zugang zur Internetkommunikation über verschiedene Anbieter ermögliche. Das 'Who is who‘ der Technologiebranche sah sich plötzlich dem Vorwurf ausgesetzt, es den Schnüfflern aus Washington etwa durch Zugänge zu Servern leicht gemacht zu haben. Hatten Firmen wie Microsoft, Yahoo, Google, Apple, Facebook und AOL tatsächlich dem Geheimdienst die Tür geöffnet, um an private E-Mails, Fotos oder Videos zu gelangen?
Ausschnitt TV: "Wir geben in diesen Zeiten ohnehin freiwillig viel von uns online Preis,“ sagt dieser Reporter von ABC News, "aber hier geht es um Informationen von Millionen Menschen, die niemanden etwas angehen.“
Vor ein Radiomikrofon oder Fernsehkameras trat niemand. Stattdessen veröffentlichte jedes einzelne Unternehmen eine Pressemitteilung.
Facebook: “Die Regierung hat keinen direkten Zugang zu den Servern von Facebook.
Auch Google wies die Vorwürfe zurück: "Immer wieder wird uns unterstellt, dass die Regierung eine Hintertür nutzt, um in unser System zu kommen. Google hat keine Hintertür, durch die die Regierung an private Nutzerdaten herankommen könnte.“
Ein Banner von Demonstranten vor dem US-Kapitol in Washington zeigt Edward Snowden.
Ein Banner von Demonstranten vor dem US-Kapitol in Washington zeigt Edward Snowden.© MANDEL NGAN / AFP
Wie die anderen Unternehmen auch bestritt Apple, von dem Programm zur Internet-Überwachung namens PRISM gewusst zu haben:
"Wir haben noch nie von PRISM gehört. Keine Regierungsbehörde hat direkten Zugang zu unseren Servern. Jede Regierungsbehörde, die Nutzerdaten möchte, muss dafür eine gerichtliche Anordnung vorlegen.“
Reporter Danny Yadron weist auf die spezielle Situation hin: “Diese Firmen sind in einer schwierigen Lage. Sie wurden hier gegründet, haben hier ihre Hauptsitze, sind hier gewachsen, sind beliebt in Washington, aber sie wollen natürlich auch die Regeln einhalten.“
Peter W. Singer ist Politikwissenschaftler an der Brookings-Institution in Washington. In einem Interview mit dem Radiosender NPR sagte er:
Es gab bestimmte Aktivitäten, die im Rahmen des Anti-Terror-Kampfes Sinn gemacht haben. Wenn wir diese Infos haben, kann uns das vielleicht an anderer Stelle im Kampf gegen den Terror weiterhelfen. Aber wenn jemand argumentiert hätte, Moment mal, damit schaden wir erheblich amerikanischen Unternehmen – sie wären damit vermutlich nicht durchgekommen.“
Wie groß dieser Schaden ist, lässt sich im Moment noch gar nicht absehen, sagt Trevor Timm von der Electronic Frontier Foundation EFF:
“Es dauert ungefähr ein Jahr, bis man die wirtschaftlichen Auswirkungen absehen kann. Aber die Chefs der Silicon Valley-Firmen sind sehr besorgt – und das ist ein Grund, weshalb sie nun diese aggressive Kampagne gestartet haben und eine Reform der Geheimdienste fordern.“
Video-Kampagne von Hollywood-Stars gegen Überwachung
Die EFF setzt sich seit 20 Jahren für digitale Bürgerrechte ein. Und die Organisation hat mit zahlreichen Hollywood-Stars ein Video zur Kampagne 'Stop watching us' hergestellt.
Künstler wie Oliver Stone und John Cusack fordern darin ein Ende der Überwachungsmaßnahmen.
"Every American is at risk for getting caught up in the NSA dragnet/ including average citizens not suspected of a crime.”
Auch Daniel Ellsberg kommt zu Wort. Der inzwischen 82-Jährige hatte 1971 geheime Dokumente zum Vietnamkrieg der New York Times zugespielt – die berühmten Pentagon Papers.
"We’ve seen this story before […] and we decided it was wrong.“
Damals erfuhr die amerikanische Öffentlichkeit das wahre Ausmaß des Vietnam-Krieges. Durch die Snowden-Dokumente haben Amerikaner –und der Rest der Welt- gelernt, wie sich die amerikanische Sicherheitsbehörde durch riesige Datenmengen frisst. US-Medien vergleichen die NSA gern mit einem Staubsauger, der alles, was er zu fassen kriegt, schluckt: Telefon- und Emaildaten, Videos, Adressbücher, Fotos, Zahlungsdaten – im Namen der nationalen Sicherheit.
“There is a problem of overreach here. It’s like the movie Team America – World Police, we keep saying 9/11, 9/11, 9/11 – it’s a political narrative that may work inside the US, but it definitely doesn’t assuage the German political leader for why their cellphones are being tapped.”
Es gehe einfach zu weit, sagt Politikwissenschaftler Singer. Es sei wie in der Politikthriller-Parodie Team America – wir schreien einfach nur 11. September, 11. September – diese politische Färbung mag hier in den USA funktionieren, aber das beschwichtigt auf keinen Fall einen deutschen Politiker, dessen Handy abgehört wird.
Das Vorgehen der NSA hat Politiker in aller Welt empört. Und nach anfänglicher Zurückhaltung hat sich auch im Silicon Valley mächtig Ärger angestaut, erzählt Trevor Timm von der Electronic Frontier Foundation:
"Die Firmen sind sauer, sie sind schockiert darüber, was die NSA amerikanischen Firmen angetan hat. Sie haben vielleicht angenommen, dass die NSA sie in Ruhe lässt, weil sie auf amerikanischen Boden sind. Aber das Gegenteil ist der Fall.“
Was da bedeutet, hat Facebook-Chef Mark Zuckerberg auf einer Technologiekonferenz im Herbst so formuliert:
“Am Morgen nachdem die ersten Enthüllungen bekannt wurden, beschwichtigte die Regierung noch. 'Ach keine Sorge, wir schnüffeln keine Amerikaner aus.' Und ich dachte: großartig! Das ist sehr hilfreich für Firmen wir uns, die Kunden in aller Welt haben. Das wird bestimmt das Vertrauen in amerikanische Internetfirmen befördern. Aber vielen Dank für Eure Offenheit!“
Der Google-Chef Erick Schmidt war geschockt
Und die Stimmung in Mountain View, Menlo Park und Sunnyvale – den Stammsitzen der Technologieriesen Google, Facebook und Yahoo kippte vollends, nachdem bekannt wurde, dass der Geheimdienst offenbar auch weltweit Daten zwischen einzelnen Datenzentren von Google und Yahoo abgegriffen hat.
Ausschnitt Fernsehnachrichten: "… according to secret documents from NSA-leaker Edward Snowden.“
Nun war es auch bei Erick Schmidt, dem Chef von Google, mit der Beherrschung vorbei: "I was shocked that the NSA would do this.“
Die NSA verletze damit vielleicht das Gesetz, so Schmidt im CNN-Interview, sie verletze aber definitiv ihren Auftrag: "Perhaps a violation of law, but certainly a violation of mission.“
"Kalifornien und seine Unternehmen haben ein Problem. Es heißt National Security Agency,“ schrieb daraufhin die Los Angeles Daily News. Yahoo, Google und Microsoft kündigten an, ihre Datenströme künftig komplett zu verschlüsseln.
Und es wurden erste Schätzungen veröffentlicht: Laut Think Tank Information Technology and Innovation Foundation könnten die Enthüllungen um die NSA-Machenschaften beispielsweise Anbietern von Cloud-Diensten in den kommenden drei Jahren bis zu umgerechnet 26 Milliarden Euro kosten. Kunden würden ihre Daten eher in Ländern speichern, die einen besseren rechtlichen Schutz bieten würden. Analyst James Staten von Forrester Research schätzt den möglichen Schaden sogar auf umgerechnet 133 Milliarden Euro. Trevor Timm von der EFF kennt weitere Folgen:
Der Telefonriese AT&T hat große Probleme, Vodafone in Europa zu kaufen. Bei dem Netzwerkausrüster Cisco sind wegen der NSA-Affäre die Einnahmen um 10 Prozent gefallen – und das ist erst die Spitze des Eisbergs.“
Ende letzten Jahres waren die Top-Manager von Firmen wie Apple, Netflix, Yahoo, AT&T und Google zu Gast im Weißen Haus. Anfangs fragte Obama noch scherzend, ob ihm der Chef des Online-Streamingdienstes Netflix endlich die zweite Staffel der Polit-Show "House of Cards“ mitgebracht habe:
Ausschnitt Obama: "Er wünschte, Dinge ließen sich manchmal so skrupellos und effizient erledigen, wie in der Serie, so der Präsident.“
Nachdem die Türen für die Presse geschlossen waren, soll die Stimmung alles andere als heiter gewesen sein. Beim Rausgehen bot sich dann das übliche Szenario: Die Tech-Giganten sagten nichts, Apple-Chef Tim Cook beteuerte, er sei schon auf dem Weg zu einem nächsten Treffen: "Right now I’m headed to another meeting, thank you guys.“
Die Tragweite ist vielen erst spät bewusst geworden
Für das Silicon Valley geht es um viel. Denn mit jeder neuen Enthüllung sinkt das Vertrauen der Nutzer in die Sicherheit ihrer Daten bei den amerikanischen Internetriesen. Die Tragweite des NSA-Skandals ist vielen erst nach Monaten bewusst geworden. Und die Auswirkungen lassen sich noch lange nicht abschätzen. Bürgerrechts-Aktivist Trevor Timm:
“Selbst während und nach der Wirtschaftskrise von 2008 kamen aus dem Silicon Valley enorm wichtige wirtschaftliche Impulse. Es überrascht einfach, dass die US-Regierung ihnen absichtlich Schaden zufügt – wo sie doch immer sagen, wie wichtig ihnen die Wirtschaft ist – von dem Recht auf Privatsphäre online mal ganz abgesehen.”
Ende Januar verbuchte Silicon Valley dann einen Erfolg: Das US-Justizministerium teilte mit, dass die Branchenriesen künftig die Öffentlichkeit darüber informieren dürfen, wenn Behörden wie der Geheimdienst NSA nach Richterbeschluss auf Daten der Kunden zugreifen. Das Ministerium reagierte damit auf eine Klage von Facebook, Google, LinkedIn, Microsoft und Yahoo.
Doch wirkliche Transparenz sieht anders aus: Die Unternehmen dürfen künftig alle sechs Monate gerundete Zahlendaten über die Auskunftsanfragen der Geheimdienste veröffentlichen. Ihnen ist es auch gestattet mitzuteilen, wie viele Kundenkonten beobachtet wurden. Die Großen im Silicon Valley dürfen ihren Nutzern aber auch weiterhin nicht sagen, um welche Kunden es ging und welche Daten abgefragt wurden. Mit anderen Worten: Informiert sich der Geheimdienst beispielsweise bei Google über mich, darf Google mir das nicht mitteilen.
Hier in den USA ist der Eindruck entstanden, dass die Enthüllungen durch Edward Snowden in Europa vor allem eine Diskussion um Privatsphäre im Netz angestoßen haben. Amerikaner scheinen oft eine weitaus pragmatische Einstellung zu haben. Wie Kathleen, die im Gesundheitswesen arbeitet – auch ein Bereich, der mit sensiblen Daten hantiert. Sie sagt:
"Wir finden das nicht wirklich ok, aber es herrscht mehr der Gedanken: das Leben geht weiter.”
Doch im Silicon Valley geht die Angst um, die Angst, dass Kunden zur Konkurrenz wechseln – und zwar außerhalb der USA. Eine weitere Folge des NSA-Skandals: die US-Internetfirmen müssen sich im Ausland möglicherweise neuen Regeln unterwerfen.
So feilt das brasilianische Parlament an einem Gesetz, das zum Beispiel Google zwingen könnte, persönliche Daten von einheimischen Nutzern nur auf Servern zu speichern, die sich in Brasilien befinden. Richard Salgado ist Sicherheitschef bei Google. Er zeichnete bei einer Senatsanhörung zur NSA-Affäre eine düstere Vision.
"Gesetzesinitiativen, die eine Anpassung an örtliche Besonderheiten vorsehen, gefährden ein freies und offenes Netz. Sollten sie in Kraft treten, wird das Netz aufgesplittert. Regionalnetze mit Grenzen drum herum würden das heutige globale Netz ersetzen.”
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