Digitale Revolution

Jeder zweite Job ist in Gefahr

Der Wandel in der Arbeitswelt ist in vielen Unternehmen zu sehen - auch hier bei Trumpf in Ditzingen.
Der Wandel in der Arbeitswelt ist in vielen Unternehmen zu sehen - auch hier bei Trumpf in Ditzingen. © picture-alliance / dpa / Wolfram Kastl
Dirk Helbing im Gespräch mit Nana Brink · 09.02.2016
Unternehmen wie Uber und Airbnb sind nach Ansicht Dirk Helbings von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich Vorboten eines dramatischen Umbruchs in der Wirtschaftswelt. Diesem könnten schon bald 50 Prozent der heutigen Arbeitsplätze und 40 Prozent der Top-500-Unternehmen zum Opfer fallen.
Dirk Helbing, Professor für "Computational Social Science" an der ETH Zürich, sieht angesichts der digitalen Entwicklung die Welt vor einem dramatischen Umbruch.
Dieser Umbruch sei mit dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft vergleichbar. "Die digitale Revolution pflügt eigentlich alle Bereiche unserer Wirtschaft und Gesellschaft vollkommen um."
"Nutzung wichtiger als Besitz"
Eine mögliche Konsequenz dieser Entwicklung sei Massenarbeitslosigkeit: "Man spricht davon, dass 50 Prozent der Arbeitsplätze, der heutigen, verloren gehen könnten." Das habe auch Folgen für die Unternehmen: "40 Prozent der Top-500-Unternehmen werden in zehn Jahren wohl verschwinden", sagte der Professor für Computational Social Science an der ETH Zürich.
Helbing mahnt, man müsse verstehen, dass die Erfolgsprinzipien der Vergangenheit allmählich nicht mehr gelten würden. Stattdessen würde Immaterielles, vor allem Information, immer wichtiger. Dies sehe man beispielsweise an Unternehmen wie Uber und Airbnb: "Dies sind Firmen, die Superstars sind an der amerikanischen Börse, aber sie besitzen weder Taxis noch Hotels noch Hotelbetten. Sie koordinieren nur letzten Endes den Bedarf und die Ressourcen und werden damit zu Multimilliarden-Dollar-Unternehmen." Die Nutzung werde künftig wichtiger als der Besitz, folgert Helbing.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Sind wir für die Zukunft gerüstet, vor allem die digitale Zukunft? Diese Frage ist ja so allgemein wie auch wichtig. Etwas konkreter geht es um neue Arbeitsplätze, um den Wandel von der Industrie herkömmlicher Art zu einer Industrie 4.0. Über diese Frage haben wir hier gestern eine Debatte eröffnet, und zwar mit dem Direktor des gestern eröffneten Digital Society Institute, Sandro Gaycken. Das Institut wird ja von der Wirtschaft finanziert und legt, so sagte er hier bei uns in "Studio 9", die Finger in die Wunde:
Sandro Gaycken: Die deutschen Unternehmen, insbesondere die Maschinen- und Autobauer jetzt gerade, die haben auch gemerkt, dass wir dann Gefahr laufen, irgendwann Zulieferer für die amerikanischen Smart Cars zu werden oder so was. Die Unternehmen brauchen viel mehr gut ausgebildetes Personal auf allen Ebenen, sowohl Ingenieure als auch Entscheider, die diese Probleme verstehen und dann besser damit umgehen können, aber da fehlt es auch einfach an Perspektiven. Ganz viele haben eigentlich Geld, aber wissen gar nicht, wo sie jetzt klug investieren, und das müssen sie jetzt halt gerade in einem längeren Prozess rausfinden und dann eben kultivieren.
Die gesamte Gesellschaft wird "umgepflügt"
Brink: Soweit also Sandro Gaycken vom Digital Society Institute. Kein Land der Welt ist vorbereitet auf das, was kommt. Das sagt auch Dirk Helbing, Soziophysiker, also jemand, der die komplexe Wirklichkeit mit den Methoden der Physik beschreiben will. Helbing ist seit 2007 Professor für "Computational Social Science" an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Guten Morgen!
Dirk Helbing: Guten Morgen!
Brink: Werden wir doch mal ein bisschen konkreter: Was bedeutet denn das für die Arbeitsplätze in Westeuropa, wenn keiner so richtig vorbereitet ist?
Helbing: Wir sehen im Grunde genommen einen Umbruch, der vergleichbar ist mit dem Übergang von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft oder von der Industrie- zur Servicegesellschaft. Die digitale Revolution pflügt eigentlich alle Bereiche unserer Wirtschaft und Gesellschaft vollkommen um und damit möglicherweise auch eine Massenarbeitslosigkeit. Man spricht davon, dass 50 Prozent der Arbeitsplätze, der heutigen, verloren gehen könnten, und das ist sicher auch eine Implikation für Unternehmen. 40 Prozent der Top-500-Unternehmen werden in zehn Jahren wohl verschwinden.
Die Herausforderung in einen Vorteil verwandeln
Brink: Weiß denn die Wirtschaft oder ahnt sie es, was da auf sie zukommt?
Helbing: Ich glaube, spätestens seit dem World Economic Forum in Davos ahnt man das, wie schlimm es werden wird, das ist, glaube ich, noch niemandem so richtig klar. Ich will hier übrigens keine Panik verbreiten, ich möchte nur sagen: Wir stehen hier vor einer großen Herausforderung, und wir müssen uns sehr gut überlegen, was wir jetzt tun müssen, um diese Herausforderungen zu bewältigen und in einen Vorteil zu verwandeln.
Brink: Und genau, wie ginge denn das Ihrer Meinung nach, wie kann man das positiv auch sehen?
Helbing: Ich glaube, wir müssen verstehen, dass die Erfolgsprinzipien, die in der Vergangenheit zu unserem Erfolg beigetragen haben, jetzt langsam nicht mehr gelten und dass wir in eine neue Ära schreiten, das digitale Zeitalter, wo andere Prinzipien gelten. Und zwar werden materielle Dinge im Vergleich unwichtiger und immaterielle Dinge – denn Information ist ja immateriell, wird immer wichtiger. Das sieht man zum Beispiel an Uber und Airbnb im Zusammenhang mit der Sharing Economy. Dies sind Firmen, die Superstars sind an der amerikanischen Börse, aber sie besitzen weder Taxis noch Hotels noch Hotelbetten, sie koordinieren nur letzten Endes den Bedarf und die Ressourcen und werden damit zu Multi-Milliarden-Dollar-Unternehmen.
Das heißt, plötzlich wird die Nutzung wichtiger als der Besitz, auch hier ein riesiger Umbruch, und es geschehen Dinge, die man früher in die Science-Fiction-Welt eingeordnet hätte. Das beschreibt letzten Endes unsere Zukunft. Nun müssen wir sozusagen verstehen, was können wir für neue Businessmodelle entwickeln, die nicht nur Prozesse effizienter machen, wie Big Data und künstliche Intelligenz, sondern die völlig neue Arten von Produkten und Services hervorbringen. Und ich glaube, da wird das Stichwort Ko-Kreation und Informations- und Innovations-Ökosystem eine ganz große Rolle spielen.
Aus der digitalen Wüste in den "digitalen Regenwald"
Brink: Es ist ja eigentlich ein vernetzteres Denken, wenn ich das mal ein bisschen pragmatischer ausdrücke. Ist es das, ist es das, was auch dann nicht wirklich gelehrt wird an den Universitäten oder worauf ja viele Studierende nicht vorbereitet werden?
Helbing: Oft versuche ich das zu vergleichen, dass wir eigentlich von einer digitalen Wüste wegkommen müssen, also wo nur ein paar Palmbäume wachsen – das entspräche den großen Unternehmen Apple, Facebook, Google und so weiter –, hin zu einer Situation, wo wir eine Art digitalen Regenwald haben, das heißt Überfluss eigentlich für alle.
Dadurch, dass die digitalen Ressourcen eigentlich im Prinzip nicht begrenzt sind, könnten wir also Wohlstand für alle schaffen, aber wir müssen lernen, wie das geht. Wir müssen diesen Katalysator für die neuen Ideen, für neue Wertschöpfungen bauen, und das funktioniert eben anders als in der Vergangenheit, wo man immer nur in Konkurrenz um begrenzte materielle Ressourcen stand. Jetzt kommt es darauf an, dass wir lernen zu teilen, und zwar auf eine Art und Weise, die Benefit für mehrere Seiten schafft.
Die wertvollsten Unternehmen wurden von Studienabbrechern in Garagen gegründet
Das heißt, es ist Umdenken gefragt, und insbesondere natürlich auch an den Universitäten – Sie haben das schon angesprochen. Wir haben heutzutage sehr lange Ausbildungszeiten, aber wir müssen uns erinnern: Die Unternehmen, die heutzutage am wertvollsten sind in der Welt, die wurden gegründet in Garagen von Studierenden, die ihr Studium abgebrochen haben.
Brink: Das ist aber schon fast vergessen.
Helbing: Genau, und ich glaube, das sagt uns letzten Endes etwas. Die heutige Ausbildung ist immer noch relativ theoretisch, und wir sind aber in einer Zeit angelangt, wo wir nicht nur reden können oder müssen über die Welt um uns herum, sondern wir können sie gestalten, es gibt völlig neue Möglichkeiten. Mit 40 Leuten kann man eine App kreieren, die von einer Milliarde Menschen benutzt wird – WhatsApp ist ein solches Beispiel. Und wir können Produkte kreieren, die rund um die Welt produziert werden, mit 3-D-Druckern zum Beispiel. Das heißt, jeder kann eigentlich vom Wohnzimmer aus eine kleine Firma leiten, im Prinzip ist das möglich.
Mit digitaler Kleidung für Avatare Geld verdienen
Kreativität wird natürlich viel wichtiger werden in Zukunft, Individualisierung, individuelle Produkte und so weiter. Es gibt völlig neue Prinzipien der Wertschöpfung, und wir müssen auch einsehen, dass letzten Endes eben das Immaterielle immer wertvoller wird. Als ich das erste Mal gehört habe davon, dass man digitale Kleidung für Avatare verkaufen kann und damit Geld machen kann, dachte ich, die Leute spinnen. Aber mittlerweile ist mir klar geworden, dass wir wohl in Zukunft virtuelle Welten bauen werden, die nicht nur unsere reale Welt widerspiegeln, sondern virtuelle Welten, in denen es andere Wirtschaftssysteme gibt und andere Gesellschaftssysteme.
Die werden wir nicht nur als Testwelten verwenden, sondern da werden tatsächlich neue Wirtschaftssysteme entstehen, da wird Geld geschöpft werden auf eine Art und Weise, wie wir es uns heute noch gar nicht vorstellen können, aber das sind Welten, die sozusagen aus Ideen aufgebaut werden. Man muss ein bisschen mutiger denken, als man das in der Vergangenheit getan hat.
Brink: Dirk Helbing, Professor für Soziologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Danke für das Gespräch, das wir aufgezeichnet haben.
Helbing: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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