Digitale Jobvermittlung

Vom Bürosklaven zum digitalen Tagelöhner

Ein überdimensionaler Bildschirm am IBM-Stand auf der weltgrößten Hightech-Messe, der CeBIT in Hannover (2009). Darauf stehen die Worte "world", "work", "smarter".
Die digitale Vernetzung verändert die Arbeitswelt von Freelancern maßgeblich. © John Macdougall / AFP
Von Johannes Zuber · 28.10.2014
Sie sind Programmierer, Ingenieure oder Texter, sie sind freiberuflich, erledigen ihre Arbeit online. Kritiker sprechen von digitalen Tagelöhnern und Ausbeutung. Welche Rolle spielt die digitale Jobvermittlung? Und was sind ihre Konsequenzen?
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Kathrin Pavlidis: "Ja, wie bin ich dazu gekommen? Als ich dann meine Kinder bekommen habe und dementsprechend, ja, erstmal das Haus eigentlich nicht verlassen konnte, um arbeiten zu gehen, aber auch nicht so wirklich abhängig von meinem Mann sein wollte, habe ich mir überlegt, was kann ich machen? Ja und bin dann eben darauf gestoßen, dass es diese Möglichkeit gibt, mit den Online-Plattformen im Internet Geld zu verdienen und gerade wenn man ein breites Fächerspektrum hat, gibt es da schon einige Möglichkeiten."
Ein Reihenhaus am Rand von Gießen. Hinter dem Haus reicht der schmale Garten bis an den Waldrand. Im Wohnzimmer stehen Bücherregale, ein paar Spielsachen liegen auf dem Teppich. Erstaunlich ordentlich, dafür dass die vier Kinder zwischen 6 und 13 gerade Sommerferien haben. Alles sieht nach Mittelschicht aus, nach Bildungsbürgertum.
"Ja, mein Name ist Kathrin Pavlidis, ich bin 41 Jahre alt. Ich habe Architektur studiert, im Anschluss daran klassische Archäologie und klassische Philologie mit Schwerpunkt Altgriechisch und arbeite jetzt als Lehrbeauftragte an der Universität Gießen."
Eine feste Stelle hat die Uni Gießen ihr nach dem Abschluss allerdings nicht angeboten.
"Es ist ein wunderschönes Studium, aber natürlich schwierig, da einen Fuß an den Boden zu bekommen, vor allem wenn man dann wie ich vier Kinder hat und schon 40, über 40 ist, kommt man da wirklich nicht mehr zwischen, auch an der Uni ist es dann schwierig."
Arbeit funktioniert heute online, global und netzbasiert
Zum Leben reichen die einzelnen Lehraufträge nicht. Zumal Kathrin Pavlidis und ihr Mann sich getrennt haben, und sie jetzt allein mit den Kindern lebt. Deshalb hat sie sich vor drei Jahren bei Elance und oDesk angemeldet. Über diese Online-Plattformen erledigt sie seitdem Aufträge für Kunden auf der ganzen Welt – vor allem Übersetzungen ins Englische. Alles vom Computer zu Hause aus.
"Ich stehe früh auf. Meistens versuche ich um vier Uhr morgens aufzustehen. Es ist auch insofern eine gute Zeit, weil man seine Kunden in Amerika dann gut erreicht. Da arbeite ich auf jeden Fall schon mal vor meinen Kursen. Dann, wenn die Kinder in der Schule sind, in der Zeit – die sind da noch in der Hausaufgabenbetreuung bis drei – also da nochmal vier, fünf Stunden. Ja so acht Stunden arbeite ich schon am Tag an Übersetzungen, würde ich mal schätzen."
Die geschäftlichen Vorteile des maschinellen Verfahrens sind kaum zu überschätzen … Dank der in dem Instrumentarium investierten Geistesarbeit bleibt seinen Handlangern der Besitz von Kenntnissen erspart … Auch die Mysterien des Betriebs sind ihnen verschlossen, da sie nur mit Ziffern verkehren. Verlangt wird von ihnen eines: Aufmerksamkeit. Sie kann nicht frei schalten, sondern untersteht der Kontrolle des Apparats … und muss die Nerven umso mehr beanspruchen, je weniger der Gegenstand lockt, dem sie zu gelten hat.
Der Soziologe Siegfried Kracauer beschreibt in seinem Buch "Die Angestellten" von 1930 die Arbeits- und Lebenswelt dieser damals neuen Schicht. Wie schon die Entstehung der Arbeiterklasse durch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert, hat auch das Aufkommen der Angestelltenschicht im 20. Jahrhundert enorme Auswirkungen auf die Gesellschaft gehabt. Jetzt stecken wir mitten in der Digitalisierung.
Wirtschaft und Gesellschaft verändern sich rasant. Arbeit funktioniert online, global und netzbasiert – dank leistungsfähiger Computer und schneller Internetverbindungen.
Wissenschaftler, Unternehmen und Selbstständige erhoffen sich viel von dieser neuen Form der Arbeit. Unternehmen können hohe Fixkosten einsparen, wenn sie Aufträge an Freiberufler vergeben. Freiberufler haben kein Büro im Unternehmen und kosten nichts, wenn sie krank oder im Urlaub sind. Und sogar die Umwelt soll profitieren: Wer zu Hause arbeitet, fährt nicht mit dem Auto ins Büro. Und die Freiberufler? Sie erhoffen sich mehr Freiheit, selbstbestimmtes Arbeiten, keine lästige Anwesenheitspflicht im Büro.
Einen Schub in der öffentlichen Wahrnehmung bekam das Thema vor etwa acht Jahren. Da erschienen zwei Texte, die die neue Arbeitswelt feierten. Der eine kam von dem amerikanischen Journalisten Jeff Howe und erschien im Technologie-Magazin Wired. Darin geht es um neue Möglichkeiten, wie Unternehmen billig an Inhalte kommen. Outsourcing nach Indien und China ist demnach von gestern – das neue große Ding nennt Jeff Howe Crowdsourcing. Über das Internet werden Fotografen, Übersetzer, ja sogar Forscher durch eine Masse an normalen Leuten ersetzt
Der Blogger und Journalist Sascha Lobo spricht auf der Internetkonferenz Republica in Berlin.
In dem Buch "Wir nennen es Arbeit" etablierte Sascha Lobo (Foto) zusammen mit Holm Friebe den Begriff der digitalen Bohème.© Britta Pedersen, dpa picture-alliance
Der zweite Text war ein Buch der beiden Internet-Pioniere Sascha Lobo und Holm Friebe. In "Wir nennen es Arbeit" etablieren die beiden Autoren den Begriff der digitalen Bohème, einer neuen gesellschaftliche Gruppe, die ihre Geld am Laptop im Café verdient. 2014 scheint sich der Trend zu etablieren: Microsoft legt mit einem Manifest für selbstbestimmtes Arbeiten nach. Und auf der DNX-Konferenz in Berlin treffen sich die selbst ernannten "digitalen Nomaden", um ihren Lifestyle zu feiern.
Berlin ist heute die Stadt der ausgesprochenen Angestelltenkultur; das heißt einer Kultur, die von Angestellten für Angestellte gemacht und von den meisten Angestellten für eine Kultur gehalten wird. Nur in Berlin, wo die Bindungen an Herkunft und Scholle so weit zurückgedrängt sind, dass das Weekend große Mode werden kann, ist die Wirklichkeit der Angestellten zu erfassen. Sie ist auch ein gut Teil von der Wirklichkeit Berlins.
"OK, ich heiße Agnieszka und komme aus Warschau, bin 27 Jahre alt und wohne jetzt in Berlin und habe gerade angefangen, als Freelancerin zu arbeiten."
Agnieszka Bratek steht mit einer Zigarette vor dem Betahaus in Berlin-Kreuzberg, einem der bekanntesten Co-Working Spaces Deutschlands. Die Männer hier tragen Karohemd, Hornbrille und Vollbart, die Frauen Halstuch und Leggins. Die meisten sind tief über ihre Laptops gebeugt. Sie arbeiten als Programmierer, Designer, Entwickler.
"Naja, ich habe eigentlich in einer Stunde so ein CSS-Meet-Up in Kreuzberg und war gerade auch in einem Meeting bei einem Kunden, äh einem potenziellen Kunden und ja wollte einfach hier so auf Kaffee gehen und arbeiten – hier gibt es WLAN und ja …" (lacht)
Bis vor kurzem hatte Agnieszka Bratek immer feste Jobs in Agenturen. Aber auf Dauer hat das keinen Spaß mehr gemacht. Sie sagt, sie sei kein Office-Girl, kein Büro-Mädchen. Lieber arbeitet sie selbstständig im Co-Working Space oder im Café.
"Man hat mehr Freiheit, man verdient besser, man hat viel mehr Freizeit, wenn man das sich so gut organisiert oder gestaltet und man kann sehr viele interessante Dinge machen. Ich glaube, als Freelancer ist man auch mehr motiviert, neue Dinge zu lernen und sich zu entwickeln, um sozusagen die Dienstleistungen, die man anbietet zu erweitern."
Angefangen hat sie in der Marktforschung, inzwischen programmiert und designt sie Webseiten. Potenzielle Auftraggeber kontaktiert sie entweder direkt, oder über Portale mit Namen wie Creative Pool, People per Hour oder Freelancer Map. Für ihre Arbeit verlangt sie einen Stundenlohn von 40 Euro, also 320 Euro pro Arbeitstag. Auch nach Abzug von Steuern und Versicherungen kann sie davon gut leben. Angst vor der Unsicherheit als Freiberuflerin kennt sie nicht.
"Nee, nicht wirklich. Also ich glaube, in meinem Bereich ist die Nachfrage sehr groß, vor allem in Berlin: Es gibt viele Agenturen, es gibt viele Start-Ups, und ich bin auch persönlich ziemlich flexibel und ich suche auch nach Projekten in London und wenn ich da was kriege, dann kann ich auch nach London für drei Monate gehen. Und ja, also bis jetzt läuft alles ganz gut."
Damit ist Agnieszka Bratek ein Prototyp der digitalen Boheme: jung, international, selbstständig. Zum Arbeiten braucht sie ihren Laptop und einen Internetzugang. Keine festen Arbeitszeiten, keine Urlaubsanträge, keine Teeküche.
"Also das ist ja sozusagen ein ganz klassisches Kennzeichen jetzt auch dieser modernen Technologien, dass wir ja einen globalen Wettbewerb haben, auch zwischen durchaus Hochqualifizierten, wo es auch letztlich egal ist, wo die ansässig sind."
Werner Eichhorst, Direktor für Arbeitsmarktpolitik Europa am arbeitgebernahen Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit in Bonn.
"Also, in den Teilarbeitsmärkten, wo das Modell dominant ist, wird es sicher schwierig werden, jetzt klassische Arbeitnehmergehälter, die man vielleicht in Deutschland üblicherweise erwarten würde noch zu erzielen. Oder man hat halt eine ganz spezielle Reputation, ganz spezielles Wissen, was dann auf so einem Markt natürlich dann auch entsprechend vergütet wird. Und dann kann man sich natürlich vielleicht auch dann ganz gut stellen."

Raum im Betahaus im Berliner Bezirk Kreuzberg. Dort werden auf rund 1000 Quadratmeter Platz für Innovation, Kreativität und professionelles Arbeiten angeboten.
Auch so lässt sich arbeiten - ein Raum im Berliner Co-Working-Space Betahaus.© picture alliance / dpa / Laura Mar Rosello
"Das ist erstmal was ganz Gutes, wenn man damit als Freiberufler seine Chancen steigert, Auftraggeber zu kriegen."
Lothar Schröder, im Bundesvorstand der Gewerkschaft Verdi zuständig für die Telekommunikations- und IT-Branche.
"Wenn dieses Organisationsprinzip der Arbeit allerdings dazu führt, dass man herkömmliche Regulationsprinzipien der Arbeit unterminiert, wenn man Mindestlohnbedingungen tunnelt, indem man Arbeitsmärkte adressiert, die in Regionen zuhause sind, bei denen die Lebenshaltungskosten viel geringer sind, dann verändert das sehr grundsätzlich, was wir gegenwärtig als Arbeitswelt und ihre soziale Regulierung kennen."
Die Neu-Berlinerin Agnieszka Bratek nutzt die Online-Portale vor allem, um an neue Auftraggeber zu kommen und Werbung für sich zu machen. Ihre Arbeit sähe ohne die Plattformen aber wahrscheinlich nicht viel anders aus. Ganz anders bei der Gießenerin Kathrin Pavlidis: Sie ist auf Elance und oDesk angewiesen, um überhaupt Arbeit zu haben.
"Wenn man neu anfängt, ist es natürlich erstmal schwierig, da rein zu kommen, man ist ja für die Kunden erstmal ein No-Name, das ist erstmal schwierig. Und da muss man erstmal eigentlich alles annehmen, was so kommt. Und manchmal sitzt man da und denkt: Womit verbringe ich hier eigentlich gerade meine Zeit? Websites übersetzen für – ja, was auch immer da beworben wird, ist nicht immer wirklich herausfordernd. Und es wird manchmal auch schlecht bezahlt, natürlich."
Generell gilt: Je einfacher die Aufgabe, desto mehr Freelancer können sie ausführen, desto niedriger der Preis. Nach unten gibt es da keine Grenze.
"Ich habe unter anderem kleine Texte geschrieben für einen Mietwagenservice war das, da sollte ich Städte beschreiben in kurzen Texten, und da habe ich pro Text 5 US-Dollar bekommen – pro Text als 3 Euro 50 vielleicht umgerechnet oder 3 Euro – und die Texte waren nicht lang, klar, aber ich kenne natürlich auch nicht sämtliche Städte dieser Welt, musste also recherchieren. Da habe ich dann teilweise wirklich zwei, drei Stunden dran gesessen und dann drei Euro dafür bekommen."
Nicht viel besser sieht es bei Übersetzungen aus, vor allem ins Englische.
(lacht) "Wenn das der Bund Deutscher Übersetzer hört, die werden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen wahrscheinlich. Also man beginnt da wirklich mit zwei Dollar-Cent pro Wort; Dollar-Cent, also das ist nicht wirklich viel."
Laut Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer liegen die gängigen Honorare für Übersetzungen ins Englische zwischen 9 und 18 Cent pro Wort. Also etwa vier bis neunmal so hoch. Je nach Schwierigkeitsgrad des Textes können die Preise auch deutlich darüber liegen. Kathrin Pavlidis verlangt inzwischen sechs Cent pro Wort. Mehr als am Anfang, aber immer noch deutlich unterhalb der gängigen Honorare.
"Das ist eine Katastrophe, das unterminiert jedes Modell eines Mindestlohn, über den wir gerade in Deutschland reichlich gestritten haben."
Lothar Schröder von Verdi.
Mindestlohn gilt nicht für digitale Tagelöhner
"Ich glaube, dass man schon zurecht die Frage stellen muss: Wenn viele dieser Portale im Netz im Silicon Valley zuhause sind: Warum wird dann nicht die Mindestlohnbedingung von Kalifornien angewandt?"
Der Mindestlohn – egal ob in Deutschland oder in Kalifornien – gilt nur für Festangestellte, nicht aber für Freiberufler. Also auch nicht für die digitalen Tagelöhner.
Es gibt heute un- und angelernte Angestellte in Menge, die eine mechanische Tätigkeit versehen. Aus den ehemaligen "Unteroffizieren des Kapitals" ist ein stattliches Heer geworden, das in seinen Reihen mehr und mehr Gemeine zählt, die untereinander austauschbar sind.
Es gibt inzwischen Dutzende Portale, die sich mehr oder weniger voneinander unterscheiden. Die meisten haben ihren Sitz in den USA, einige aber auch in Deutschland. Das Spektrum reicht von der Vermittlung gut bezahlter Arbeit für IT-Spezialisten bis hin zu simplen Klick-Aufgaben, für die keine Qualifikation notwendig ist.
Am oberen Ende der Skala stehen Portale wie TopCoder. Dort werden vor allem Aufträge in der Software-Entwicklung ausgeschrieben. Dementsprechend hoch ist die Bezahlung. In der Mitte stehen Plattformen wie Elance und oDesk, die inzwischen zum selben Unternehmen gehören. Dort gibt es die verschiedensten Aufträge – von Übersetzungen über Design bis hin zu einfachen Transkriptionen. Die Bezahlung hängt hier stark von der Art der Aufgabe ab. Am unteren Ende der Skala stehen Amazons Mechanical Turk und das Essener Unternehmen Clickworker. Hier erfüllen die Freelancer einfachste Aufgaben, die Computer nicht automatisch erledigen können, oder für die die Programmierung zu teuer wäre. Zum Beispiel Adressen von Hotels zusammentragen oder Personen auf Fotos markieren. Wer schnell arbeitet, kommt laut Clickworker auf bis zu 10 Euro in der Stunde, bei Mechanical Turk liegt der Lohn bei etwa einem Dollar pro Stunde.
Daneben gibt es Plattformen, die eher nach dem Auktionsprinzip funktionieren. 99Designs aus den USA und Jovoto aus Berlin zum Beispiel. Unternehmen schreiben hier Grafik-Aufträge aus – ein Firmenlogo, eine Werbekampagne, ein Etikett. Designer weltweit laden ihre Vorschläge hoch, bezahlt werden aber nur die Gewinner.
Gegenüber der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, dort, wo Gloriapalast und Marmorhaus einander wie stolze Dardanellenschlösser grüßen, stand jüngst ein Mann, der sich ein Schild umgehängt hatte. Der Mann wirkte kläglich, das Schild enthielt Bruchstücke seiner Autobiografie. Dem großgeschriebenen Text konnten die Passanten entnehmen, dass der Mann ein 25-jähriger stellenloser Kaufmann war, der auf dem offenen Markt Arbeit suchte; gleichviel welche. Hoffentlich hat er sie gefunden, es sah nicht danach aus.
"Bei unserer Plattform geht alles, was man digital austauschen kann: von der Übersetzung, bis zum Logo, bis zum Flyer – alles, was man da machen kann."
Berlin Mitte, das ausgebaute Dachgeschoss eines Klinkerbaus. Hermann Hohenberger, 53 Jahre, sitzt in seinem voll verglasten Büro. Auf der anderen Seite der Glastür arbeiten etwa 30 meist junge Menschen am Computer. Die typische Atmosphäre eines Start-Up-Unternehmens.
"Twago ist ein Freelancer-Marktplatz. Das ist ganz einfach: Da finden Menschen, die ein Problem haben, die eine Webseite brauchen, die ein Logo brauchen, die eine Übersetzung brauchen – alles, was man digital machen kann –, finden auf unserer Plattform einen Freelancer, einen Freiberufler, der die Arbeit für sie erledigt. Das geht ganz einfach: Sie schreiben das Projekt aus und erhalten dann in kurzer Zeit Angebote von Freelancern, können dann mit denen noch Absprachen treffen oder das Projekt ganz einfach beauftragen. Und dann geht’s ruckzuck, und dann bekommen die ein Ergebnis."
Die Job-Plattformen leben von ihren Kunden
Bei der Entscheidung für den passenden Freelancer ist das Portal behilflich. Jeder Freiberufler hat ein eigenes Profil, das Qualifikationen und Arbeitsproben auflistet. Und natürlich spielt auch der Preis eine Rolle. Wer einen Auftrag ausschreibt, legt zwar einen Rahmen fest, innerhalb dessen sich die Bezahlung bewegt – Spielraum für Verhandlungen ist aber immer. Ein weiterer Faktor ist die Sprache. Die amerikanischen Plattformen haben in der Regel nur Englisch als Arbeitssprache – für viele ein Hindernis.
"Wir haben eine Plattform, die ist auf Deutsch, wir haben eine auf Italienisch, wir haben eine auf Spanisch, Französisch und natürlich auch auf Englisch. So dass der Kunde, der das Projekt postet, entscheiden kann: Möchte ich einen Freelancer ansprechen in meiner Muttersprache? Oder möchte ich das international ausschreiben? Das ist bei den Kollegen und Kolleginnen von dem Mittbewerb nicht ganz so leicht."
Der größte Konkurrent ist das amerikanische Unternehmen Elance-oDesk mit etwa acht Millionen Nutzern. Dagegen sind die 250.000 registrierten Freelancer bei Twago eine kleine Hausnummer. Und Größe zählt in dem Geschäft. Erstens, weil die Wahrscheinlichkeit steigt, ein passendes Angebot zu finden, je größer der Personalpool ist. Und zweitens, weil die Plattformen von ihren Kunden leben.
Bei Twago gibt es verschiedene Tarife: Wer nur selten arbeitet zahlt keine Grundgebühr, muss dafür aber zehn Prozent seines Umsatzes als Gebühr abdrücken. Wer viel arbeitet, kann die Gebühren auf ein Prozent reduzieren, zahlt dafür aber eine Grundgebühr von bis zu 200 Euro im Monat. Der Firmenname Twago steht füt "Teamwork across global offices" - und entsprechend global ist auch die Kundschaft. Viele Freelancer kommen aus Indien, aber auch aus europäischen Ländern mit hoher Jugendarbeitslosigkeit wie Spanien. Die meisten der digitalen Tagelöhner bei Twago leben aber in Deutschland.
Ein paar Männer sitzen drinnen am Computer, einige stehen draußen, rauchen, trinken Kaffee. Die meisten sind den ganzen Tag hier. Also ähnlich wie im Berliner Betahaus oder anderen Co-Working-Spaces. Aber der Unterschied könnte kaum größer sein. Die Männer hier in der Dortmunder Nordstadt trinken keinen Latte Macchiato, sondern Filterkaffee aus Plastikbechern, sie tragen auch keine Röhrenjeans sondern Hosen mit Farbflecken. Sie stehen an der Straße und warten, bis ein Kleintransporter hält und sie auf eine Baustelle fährt. Für einen Tag Arbeit gibt es 20 bis 60 Euro – schwarz, natürlich. Der Straßenabschnitt wird in Dortmund Arbeiterstrich genannt – weil die Männer hier fast jede Arbeit annehmen, um ein paar Euro zu verdienen. Sozusagen die analoge Version der Clickworker.
Genau wie Dortmunder Baufirmen und Handwerksbetriebe sich mal eben einen Arbeiter für einen Tag oder eine bestimmte Aufgabe einkaufen, gehen auch große Unternehmen im Netz auf Arbeitersuche.
Das IT-Unternehmen IBM hat 2012 einen Plan entwickelt, wonach bis zu 8000 der insgesamt 20.000 Stellen in Deutschland abgebaut werden sollten. In Zukunft sollte der Konzern von einer relativ kleinen Kernbelegschaft gesteuert werden. Der Großteil der Mitarbeiter hätte keinen festen Vertrag, sondern würde nur für einzelne Projekte angeheuert werden. Möglich sollte das über einen Cloud-Dienst werden, eine Art Ebay für Arbeitskräfte.
Der Eingang zum Gebäude des US-Amerikanischen Informationstechnik-Konzerns International Business Machines Corporation (IBM) in Mainz, aufgenommen 2014. 
In Zukunft sollte der IBM-Konzern in Deutschland von einer relativ kleinen Kernbelegschaft gesteuert werden - die übrigen Mitarbeiter würden dann nur für einzelne Projekte angeheuert.© picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen
Nachdem Spiegel und Handelsblatt über die IBM-Pläne berichtet hatten, dementierte das Unternehmen die Pläne. Der Aktienkurs stieg in den folgenden Wochen trotzdem um sechs Prozent an. Vor einem Jahr verkündete das Silicon-Valley-Unternehmen Elance-oDesk dann, dass es eine strategische Partnerschaft mit IBM eingegangen ist. IBM begründete das mit so wörtlich "der großen Gemeinschaft hochwertiger Freiberufler, die auf Abruf eingestellt werden können".
"Das ist sicher eine Beschleunigung oder eine Radikalisierung von Tendenzen, die wir natürlich schon lange gesehen haben, also bestimmte Werkverträge sozusagen nach außen zu vergeben, bestimmte Dienstleistungen einzukaufen, das ist erstmal prinzipiell nichts Neues."
Werner Eichhorst vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit.
"Ich denke, das wird halt dann nochmal eine besondere Bedeutung bekommen, wenn es sich jetzt als Modell noch viel stärker durchsetzt, wenn also die Kerne der Stammbelegschaften schrumpfen und dann mehr sozusagen Dinge, Dienstleistungen oder Expertise gibt, die sozusagen on spot zu einem bestimmten Projekt nur hinzugezogen wird."
Großunternehmen profitieren beim Crowdsourcing von enormen Einsparungen bei Personal, Lohnnebenkosten und Ausstattung. Gleichzeitig eröffnen die Plattformen Unternehmensgründern Möglichkeiten, relativ einfach an Experten zu kommen, die ihnen beim Aufbau helfen.
Salah-Eldin El-Batt: "Hab ich mir für die Programmierer etwas vorgebastelt, damit ich denen auch bildhaft anzeigen kann, wie es aussehen soll. Da habe ich die erste Seite: Deutsch, Arabisch, Englisch, Französisch, Indonesisch und Türkisch. Das sind Sprachen, mit denen ich starten möchte. Allerdings im ersten Step mit Deutsch, Arabisch und Englisch, da das die Sprachen sind in denen ein Großteil der Muslime sich unterhält."
Eine Erdgeschosswohnung, nur wenige Straßen vom Dortmunder Arbeiterstrich entfernt. An dem großen Flachbildschirm sitzt ein schlanker Mann, kurze schwarze Haare, Brille, Kinnbart.
Mein Name ist Salah-Eldin El-Batt, ich bin 35 Jahre alt, gelernter Großhandelskaufmann, wohnhaft in Dortmund.
Am Bildschirm klickt er sich durch die Präsentation, mit denen er sein Projekt vorstellt: eine Art Facebook für Muslime.
Die Idee war, ich möchte etwas für die muslimische Gesellschaft tun, ich möchte der Gesellschaft helfen. Ich möchte aber auch Nicht-Muslimen einen Einblick in die muslimische Welt bieten. Und das ist etwas, was es bisher noch nicht gibt, was fehlt.
Im Gründerzentrum Garage-Dortmund entwickelte er die Geschäftsidee und erarbeitete er einen Businessplan. Neben Standard-Funktionen wie Nachrichten soll es auf dem Portal Informationsseiten über den Islam geben, Unternehmen sollen gezielt muslimische Kunden ansprechen können. Jetzt fehlten nur noch Investoren und jemand, der das Portal programmiert.
"Ich habe mit verschiedenen Programmieren, mit Agenturen gesprochen. Und als denen bewusst wurde, wie groß, wie umfangreich das Projekt wurde, haben sie gleich wieder gesagt: Ja, das ist zu groß für uns, wir müssen uns verabschieden. Und deswegen bin ich auch auf Twago gekommen, und da habe ich das dann auch lanciert und sehr viele Antworten gekriegt."
Rankings und Bewertungen von Auftraggebern
Die Angebote kamen aus Slowenien, Österreich, Indien – und natürlich aus Deutschland. Es waren einzelne Programmierer dabei, aber auch Agenturen. Gar nicht so einfach, den passenden Geschäftspartner zu finden.
"Die Kriterien für mich waren, dass sie a) aus Deutschland kommen und b) die Bewertungen, die sie in Twago selbst haben, dass ich halt nachgucken konnte, wie sind bisherige Projekte bei denen verlaufen."
Diese Bewertungen sind eine der wichtigsten Funktionen aller Vermittlungsplattformen. Ähnlich wie zum Beispiel bei Ebay, bekommen die Freiberufler Bewertungen von ihren Auftraggebern.
"Und wir gehen sogar noch einen Schritt weiter: Wir haben einen Score eingeführt."
Hermann Hohenberger von Twago.
"Das heißt, wir bewerten auch den Freelancer und geben ihm auf einer Skala zwischen 1 und 10 eine – wenn sie so wollen – Note. Die setzt sich aus über 80 Kriterien zusammen: Wie gut ist das Profil ausgefüllt, wie schnell reagiert er auf Angebote, wie viele Referenzen hat er, kriegt er gute Bewertungen – da wird ein Score errechnet, und der hilft auch den Kollegen bei der Entscheidung."
Einer der Inhaber eines renommierten Spezialhauses erläuterte mir, wie seine Firma bei Neueinstellungen verfährt. Jeder Bewerber muss einen Fragebogen ausfüllen und wird vom zuständigen Chef persönlich gemustert. Telefonistinnen und Anwärter für die Werbeabteilung gelten außerdem als die natürlichen Objekte der Psychotechnik. Handelt es sich um qualifizierte Kräfte, so werden grafologische Gutachten eingeholt.
"Schlechte Feedbacks habe ich noch nie bekommen. Aber es graut mir davor, jedes Mal natürlich."
Die Gießenerin Kathrin Pavlidis ist im Ranking der Plattform Elance ziemlich weit oben gelandet. Diese Position kann man aber nur verteidigen, wenn man regelmäßig Aufträge annimmt. Monatelang nur einen großen Auftrag zu bearbeiten, ist eine Gefahr für die Position im Ranking.
"Ja, da fühlt man sich manchmal schon ein bisschen unter Druck gesetzt, dann trotzdem noch, obwohl man völlig ausgelastet ist, dann halt ja, dann übersetze ich halt doch noch mal eben eine Website oder hier nochmal eine kleine App, auch wenn es 20 Dollar sind, aber dann sehen die, ich mache was."
Daneben gibt es noch einige andere Möglichkeiten, seinen persönlichen Wert als Freelancer zu steigern, zum Beispiel durch plattform-interne Weiterbildungen und Zertifikate. Wer sich dagegen erfolglos um einen Auftrag bewirbt, verschlechtert den eigenen Score.
"Ja ich meine, das ist ja wie im Lehrbuch sozusagen. Es ist eben Ökonomisierung der Lebensverhältnisse. Die Marktlogik entfaltet sich zunehmend reiner, alle Formen der Begrenzung der Marktdynamik werden rausgedrängt."
Ulrich Thielemann, Direktor des Berliner Instituts für Wirtschaftsethik, MeM.
"Was ist das Problem an dieser Marktdynamik? Es ist letztlich das Problem, würde ich sagen, dass wir zunehmend gezwungen werden, zu Lebensunternehmern zu werden."
Negatives Freiheitsverständnis unter den Freiberuflern
Vermittlungsportale und Online-Marktplätze verschärfen diesen Zwang laut Ulrich Thielemann noch. Und das obwohl alle Freelancer sich freiwillig angemeldet haben und sich freiwillig den Regeln dort unterworfen haben.
"Ja, das ist ein ganz krudes Freiheitsverständnis, ein enges, negatives Freiheitsverständnis. Nach dieser Konzeption ist alles in Ordnung, solange sich die Leute die Köpfe nicht einschlagen. Alles andere, also alle Dimensionen der positiven Gerechtigkeit, der Einkommens- und Vermögensverteilsungsgerechtigkeit, aber auch weitgehender Gerechtigkeit der Lebenschancen, kann man vielleicht sagen, wird da negiert als illegitim, das ist alles Privatangelegenheit."
Dabei kann der Einzelne nichts an den Zwängen der globalen Konkurrenz ändern. Niemand kann sich dem Markt entziehen. Einerseits sind viele digitale Freiberufler abhängig von den teilweise niedrigen Einkommen, die sie im Internet erzielen.
"Andererseits üben sie damit ja selbst wiederum Wettbewerbsdruck auf andere Beschäftigte aus. Die Unternehmen sagen sich ja: Das können wir doch billig einkaufen auf dem globalen Markt dieser Freelancer und da können wir eine ganze Abteilung schließen. Ja, und die sind wiederum dann unter Wettbewerbsdruck und sind dann wiederum vielleicht auf so einem Portal finden die sich wieder. Also sie sind damit Teil dessen, dass sie diesen Wettbewerbsdruck ausüben. Aber man muss jetzt wieder klar sehen: Das ist alles keine Frage von Individualethik, also von nicht-verantwortungsvollem Handeln Einzelner."
Das Problem kann kaum auf nationaler Ebene gelöst werden, darin sind sich der Ethiker Ulrich Thielemann, der Gewerkschafter Lothar Schröder und der Wirtschaftsforscher Werner Eichhorst einig. Ob es aber zu einer weltweiten Regelung kommen kann, ist umstritten.
Thielemann: "Ich meine: Hat das nicht Schlagkraft, wenn man sagt: Schaut her, der unbegrenzte Wettbewerb macht uns unfrei? Und wir, die Weltgemeinschaft letztlich muss eine Instanz finden, um den Wettbewerb zu begrenzen?"
Schröder: "Arbeitnehmer haben doch häufig mit Arbeitsplatzverlust auf technischen Fortschritt bezahlt, aber Arbeitnehmer haben es in der Geschichte auch immer verstanden, Wege zu finden, um ihren Anteil am technischen Fortschritt zu organisieren. Und jetzt stehen wir an einer neuen Schwelle, vielleicht brauchen wir neue Arbeitsformen. Aber kapitulieren? Niemals!"
Eichhorst: "Ich denke, das ist auch Teil der Globalisierung dieser modernen Welt, wo halt eine nationale Regierung nur sehr begrenzt intervenieren kann. Ich sehe allerdings auch nicht, dass man jetzt zu weltweit irgendwie Mindeststandards kommt für Leistungen, die im Internet durchgeführt werden."
Und so bleiben die digitalen Tagelöhner wie Kathrin Pavlidis irgendwo auf der Skala zwischen neu gewonnener Freiheit und totaler Abhängigkeit.
"Ich würde mich natürlich riesig über eine Festanstellung freuen, klar, auf jeden Fall. Aber ich glaube, nebenher würde ich es doch immer noch gerne weitermachen."
Die Freiberufler 2014 sind also in einer ähnlichen Situation wie die Angestellten, die Siegfried Kracauer 1930 beschrieb.
"Die Maschine", meint ein Betriebsrat zu mir, "soll ein Instrument der Befreiung sein." Er hat die Wendung wahrscheinlich oft in den Versammlungen gehört. Dass sie abgegriffen ist, macht sie erst recht rührend.
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