Dietrich Bonhoeffer

Der Unerschrockene

Dietrich Bonhoeffer
Vor 70 Jahren wurde der Theologe Dietrich Bonhoeffer ermordet. © dpa / picture alliance
Von Kirsten Serup-Bilfeldt · 05.04.2015
Sein Name steht für christlichen Widerstand gegen das Dritte Reich, für den er mit seinem Leben bezahlen musste - nur einen Monat vor Kriegsende. Am 9. April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet.
Es ist eine Reise von solcher Wichtigkeit, dass der Reisende nicht nur Berge von Akten in seinem Wagen verstaut, sondern auch noch mehrere Kanister Benzin. Man kann nie wissen, schließlich ist die Verkehrs- und Versorgungslage in Deutschland katastrophal und Benzin ein wertvolles Gut. So fährt Walter Huppenkothen, Sonderkommissar im Reichssicherheitshauptamt, am 7. April 1945 gut gerüstet in allerhöchstem "Führer"-Auftrag nach Bayern. Dort wird er die Ermittlungen gegen die Verschwörer um Admiral Canaris führen. Seine Anklage wird auf Landes- und Hochverrat lauten. Unter den Inhaftierten, so ist Huppenkothen informiert worden, befinde sich auch der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer:
"Man muss sich das überlegen: 400 Jahre lang war das nicht passiert, dass der Pfarrer oder gute Christen im Gefängnis saßen. Das war etwas absolut Neues in der deutschen Kirchengeschichte. Und das hat natürlich Erschrockenheit hervorgerufen."
Unerschrocken dagegen schien der Häftling selbst. Der im Jahr 2000 verstorbene evangelische Theologe Eberhard Bethge, langjähriger Freund und Verwandter Bonhoeffers, erinnert sich später an zahlreiche Briefe, in denen trotz der Bedrängnis durch einen drohenden Prozess nichts von den Schrecken der Haft zu lesen ist:
"15. Dezember 1943. Lieber Eberhard, als ich gestern Deinen Brief las, war es mir, als gebe es eine Quelle, ohne die mein geistiges Leben zu verdorren begann. Nach langer Zeit wieder die ersten Tropfen Wasser. Ich stelle mir vor, wir säßen wie in alten Zeiten nach dem Abendbrot zusammen und rauchten, schlugen gelegentlich Akkorde auf dem Clavichord an und erzählten uns, was der Tag gebracht hatte…"
Zwischen radikalem Christentum und preußischem Großbürgertum
Sein Name steht für den Widerstand im Dritten Reich. Dietrich Bonhoeffer, 1906 in eine politisch liberale, großbürgerliche Familie hineingeboren, hat wohl dort das Rüstzeug für seine furchtlose Radikalität mitbekommen. Denn mit dem "Mut vor Fürstenthronen" waren evangelische Theologen damals nur selten ausgestattet. Durch ihre bevorzugte Stellung im Kaiserreich hatten sie kaum gelernt politisch zu denken - im Gegensatz zu ihren katholischen Kollegen, die sich als Minderheit im preußischen Staatskirchentum lange Zeit ihrer Haut hatten wehren müssen. Bonhoeffer selbst lebte in der Spannung zwischen radikalem Christentum und preußischem Großbürgertum. Vielleicht war es das, was ihn so ungewöhnlich hellsichtig machte:
"Wir müssen uns nicht wundern, wenn auch für unsere Kirche wieder Zeiten
kommen, in denen Märtyrerblut gefordert werden wird…"
… predigt er im Sommer 1932 in Berlin. Und am Ostersamstag 1933 verfasst er seinen Aufsatz "Die Kirche vor der Judenfrage", der im Juli desselben Jahres in der "Niederdeutschen Kirchenzeitung" veröffentlich wird:
Eberhard Bethge:"In diesem Aufsatz spricht er nicht nur von den sogenannten 'getauften Nicht-Ariern' oder 'christlichen Juden', was ja ein falscher Begriff ist, sondern er spricht ausdrücklich von der Behandlung der Juden als Glaubensgemeinschaft."
Bonhoeffer: "Solange der Staat Recht und Ordnung schaffend handelt, kann sich die Kirche nicht unmittelbar politisch handelnd gegen ihn wenden. Doch sowohl ein Zuwenig an Ordnung und Recht als auch ein Zuviel an Ordnung und Recht zwingt die Kirche zum Reden. Ein Zuwenig ist immer dort vorhanden, wo eine Gruppe von Menschen rechtlos wird."
Eberhard Bethge: "Und dort sagt er, was die Pflicht der Kirche wäre: Erstens müsste die Kirche dem Staat oder der Gesellschaft ins Wort fallen, wo sie die Rechte dieser Menschen, Mitbürger verletzt. Der zweite Schritt wäre, dass die Kirche für diese Betroffenen unter allen Umständen einzutreten hat und nicht nach ihrem Glauben zu fragen hat, einfach weil sie verfolgt sind. Und das Dritte: dass auch die Kirche dem Staat, dem Rad in die Speichen zu fallen hat, nämlich wenn ein Zuviel an Gewaltausübung, ein Zuwenig an Schutz ausgeübt wird."
Die erste Bewährungsprobe für die Kirche kommt bereits im April 1933 mit der Einführung des "Arierparagraphen" im "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums". Dieser Paragraph, der die Beschäftigung von "Nicht-Ariern" im öffentlichen Dienst verbietet, ist auch Dreh- und Angelpunkt eines innerkirchlichen Konflikts. Seine Kernfrage lautet:
"Wenn der Staat keine Juden einstellt, muss es die Kirche ihm dann gleichtun?"
Eberhard Bethge: "Im September hat dann auch die preußische Generalsynode tatsächlich den sogenannten Arierparagraphen in die Kirchengesetzgebung eingeführt…"
Die Kapitulation des deutschen Protestantismus vor dem Faschismus
Für Pfarrer jüdischer Herkunft ebenso wie für die "rassejüdischen Christen" gibt es bald in der evangelischen Kirchen "keinen Raum und kein Recht" mehr. Und auch nicht für die, die wagen, sich kritisch zu äußern:
Eberhard Bethge: "Und damit wurde die Spaltung, die schon in vielen Dingen vorher sichtbar und spürbar war, dann organisatorisch durchgeführt, indem sich zunächst ein Pfarrernotbund bildete, an dessen Gründung Dietrich Bonhoeffer mit Niemöller beteiligt war und auch diese ersten Sätze, auf die man sich dann verpflichtete, mitformulierte. Daraus hat sich dann später in der Barmer Bekenntnissynode 1934 Ende Mai das gebildet was dann 'Bekennende Kirche' hieß."
"Vor Barmen steht die Kapitulation des deutschen Protestantismus vor dem Faschismus. Und wer dieses nicht sagt, wenn er über Barmen spricht, verzerrt die ganze Geschichte schon im Ansatz…"
… sagt der evangelische Theologe Günter Brakelmann.
Diese "Barmer Erklärung" ist das Dokument des Kirchenkampfes im nationalsozialistischen Deutschland, das der "Bekennenden Kirche" Fundament und Richtung gibt. Sie schärft Profil und Konturen gegenüber dem herrschenden Kirchenregiment der nationalsozialistisch orientierten "Deutschen Christen", wendet sich gegen das "Führer-Prinzip" in der Kirche und betont die
Ausschließlichkeit der Christus-Herrschaft und der göttlichen Offenbarung.
Und doch hat diese "Barmer Erklärung" einen ganz wesentlichen Makel, den gerade Dietrich Bonhoeffer schmerzlich empfunden haben muss: Die Situation der Juden wird in dem Dokument mit keinem Wort erwähnt.
Nach der Rückkehr von einem USA-Aufenthalt 1939 beginnt Bonhoeffers Weg in den aktiven, militärischen Widerstandskreis um General Beck und Admiral Canaris. Offiziell bleibt er im Dienst der "Bekennenden Kirche", der er seine konspirative Tätigkeit aber verschweigt. Er fliegt auf, weil einer seiner Mitverschwörer festgenommen wird und seinen Namen erwähnt. Im April 1943 wird er verhaftet. In der Gefängniszelle kreisen seine Gedanken immer wieder um ein "religionsloses, modernes Christentum":
"Die Stärke von Bonhoeffers Theologie hat damit zu tun, dass er keine Angst vor der Moderne hat", schreibt der frühere Berliner Bischof Wolfgang Huber:
"Es ist gerade die Beschäftigung mit dem modernen wissenschaftlichen Bewusstsein, das ihn zu seiner theologischen Religionskritik veranlasst. Die Moderne aber steht unter dem Vorzeichen des mündig gewordenen Menschen."
Nach Eintreffen des Sonderkommissars Walter Huppenkothen im KZ Flossenbürg, kommt es unter Vorsitz des Richters beim SS- und Polizeigericht in München, Otto Thorbeck, zu einem Scheinprozess gegen Bonhoeffer und seine Mitverschwörer. Es gibt weder Verteidiger noch Zeugen. Das Todesurteil steht von vornherein fest.
Im Morgengrauen des 9. April 1945 wird Dietrich Bonhoeffer zum Galgen geführt. Er habe sich von seinen Mithäftlingen verabschiedet, an der Richtstätte ein kurzes Gebet gesprochen und sei innerhalb weniger Sekunden gestorben, gibt ein Lagerarzt später zu Protokoll.
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