"Dietmar Bartsch hat sich immer loyal gegenüber Oskar Lafontaine verhalten"

André Brie im Gespräch mit Hanns Ostermann · 08.01.2010
Im parteiinternen Zwist hat sich der Linken-Politiker André Brie hinter Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch gestellt. "Er hat einen Bundestagswahlkampf sehr erfolgreich geführt, in dessen Mittelpunkt eindeutig Oskar Lafontaine stand", sagte Brie.
Hanns Ostermann: André Brie leitete früher die Grundsatzkommission der PDS, er saß außerdem im Europaparlament und gilt als Quer- oder Vordenker bei der Linken. Guten Morgen, Herr Brie!

André Brie: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Profiliert sich hier jemand auf Kosten der Partei?

Brie: Ja, ich denke schon, dass es darum zum einen geht, zum anderen ist es natürlich viel, viel ernster, ist der Versuch, realistische, reformorientierte Kräfte weiter zurückzudrängen und eine politische Richtungsentscheidung zu einer radikalen und mehr auf Nischen orientierten Partei voranzutreiben.

Ostermann: Mit der realistischen Politik verbinden Sie Dietmar Bartsch?

Brie: Ja, eindeutig.

Ostermann: Einen Mann, der den Pragmatismus über den Idealismus stellt, kann man das so in etwa sagen?

Brie: Also ich hatte meine Differenzen auch mit Dietmar Bartsch, vor allen Dingen im Wahlkampf 2002, weil er den Pragmatismus übertrieben hat, aber er ist kein prinzipienloser Mensch. Er ist ein überzeugter Linker, aber eben einer, der in die Gesellschaft hineinwirken will, der reale Veränderungen durchsetzen will und der den Realismus in der Politik betont.

Ostermann: Im Osten hat die linke Volkspartei Niveau, das wurde eben auch in dem Beitrag deutlich. Im Westen freut sie sich, wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde überspringt. Ist das zwangsläufig nicht ein gewisses Konfliktpotenzial, aus dem eine Partei so ohne Weiteres gar nicht herauskommen kann?

Brie: Es ist nicht nur ein gewisses Konfliktpotenzial, es ist ein sehr großes, sind völlig andere Bedingungen, in denen man sich politisch bewegt. In Ostdeutschland eine Partei, die quer durch alle sozialen Schichten auch bei Unternehmern, Freiberuflern, Selbstständigen stark verankert ist.

In Westdeutschland, in den alten Bundesländern, zumeist doch eher auf eine sehr enge Klientel orientierte Partei, die zudem auch oft genug kulturell eigentlich in dem eigenen Saft brät, mit immer den gleichen Argumenten. Dahinter steht aber auch, dass in den alten Bundesländern sehr orthodoxe, zum Teil rückwärts orientierte radikale Kräfte eine beträchtliche Stärke in den Landesverbänden haben.

Ostermann: Insbesondere Nordrhein-Westfalen wahrscheinlich, und da kommen jetzt die nächsten Landtagswahlen. Was würden Sie denn da vorschlagen, wie kommt die Linkspartei aus diesem Dilemma heraus?

Brie: Also wir können solche Konflikte natürlich nicht einfach wegreden, die sind da, und sie werden uns noch lange begleiten. Es sind ja nicht nur die unterschiedlichen Bedingungen, es sind auch unterschiedliche Kulturen in Ost- und Westdeutschland entstanden.

In Ostdeutschland, die PDS hat einen langen Prozess heftiger Auseinandersetzungen mit ihrer Geschichte, mit Fehlern der Vergangenheit durchgeführt, der nicht abgeschlossen ist, aber der doch viel, viel weiter reicht als bei vielen westdeutschen Linken. Für mich ist entscheidend, dass wir uns erstens auf Politik orientieren und zweitens endliche unsere programmatische und strategische Klärung vorantreiben.

Ostermann: Bleiben wir noch mal bei dem, was Sie gerade gesagt haben. Was werfen Sie denn jetzt ganz konkret den westdeutschen Linken vor?

Brie: Nicht den westdeutschen Linken, das sind Gruppen, die sind …

Ostermann: Sehr vielen jedenfalls.

Brie: … in vielen Landesverbänden auch sehr stark. Für mich ist es zum einen die von Dietmar Bartsch auch in Ihrem Beitrag angesprochene Kultur. Das ist eine unsägliche Kultur, die aus der kommunistischen Bewegung kommt, mit Diffamierungen, mit Denunziationen, aber auch mit einer sektiererischen, kulturell sektiererischen Grundhaltung, sich nur auf sich selbst besinnen, nicht in die Gesellschaft hören, anders denkende, andere politische Parteien geringzuschätzen oder sie nur als Feinde, nicht als Herausforderung, nicht als Anregung, nicht als Wettbewerber zu sehen. Das Zweite, was ich ihnen vorwerfe, ist, dass sie statt über politische, programmatische Auseinandersetzungen diese Auseinandersetzung auf dem persönlichen Niveau führen und das in einer ziemlich makabren Weise.

Ostermann: Das sind schon erhebliche Probleme, mit denen sich Ihre Partei da auseinandersetzen muss, aber es gibt doch auch personelle Probleme. Offensichtlich haben doch zwei entscheidende Politiker – Oskar Lafontaine und Dietmar Bartsch – einen, um es vorsichtig zu formulieren, angespanntes Verhältnis. Wie ist denn das eigentlich zu klären und zu kitten?

Brie: Also Dietmar Bartsch und Oskar Lafontaine werden natürlich nicht identische Positionen haben, das kann auch keiner verlangen. Völlig unterschiedliche Herkunft, andere Erfahrungen und so weiter, sind andere Charaktere.

Aber Dietmar Bartsch hat sich immer loyal gegenüber Oskar Lafontaine verhalten. Er hat einen Bundestagswahlkampf sehr erfolgreich geführt, in dessen Mittelpunkt eindeutig Oskar Lafontaine stand. Ich kann mir nur vorstellen, dass mit der Orientierung auf Politik auch persönliche Differenzen weit in den Hintergrund treten.

Ich habe im Europäischen Parlament in einer Fraktion gearbeitet mit extrem unterschiedlichen Parteien. Wenn wir uns gefragt haben, wer hat recht, dann hätten wir uns sofort in viele, viele Gruppen gespalten. Aber wir uns gefragt, welche Politik wollen wir machen, und dort gibt es viele, viele Gemeinsamkeiten.

Ostermann: Rechnen Sie denn jetzt – und das ja eine der spannenden Fragen –, dass Dietmar Bartsch auch nach dem Mai weitermachen wird oder möglicherweise nicht? Er könnte ja auch als zukünftiger Parteivorsitzender infrage kommen?

Brie: Also zurzeit brauchen wir meiner Meinung nach eindeutig Oskar Lafontaine, das ist eines der großen Probleme dieser Partei, dass wirkliche Nachfolgen, was kommt nach Gysi und nach Lafontaine, nicht geklärt sind, dass keine Leute aufgebaut sind. Dietmar Bartsch wird weitermachen, in welcher Funktion auch immer. Ich würde mir sehr wünschen, dass Oskar Lafontaine und Dietmar Bartsch die Partei gemeinsam führen.

Ostermann: Rechnen Sie damit, dass sich das Zugpferd Oskar Lafontaine bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen engagieren wird?

Brie: Ja, eindeutig.

Ostermann: André Brie, früher leitete er die Grundsatzkommission der PDS, außerdem saß er im Europaparlament. Herr Brie, danke Ihnen für das Gespräch!

Brie: Dankeschön!