"Diese Partei wird noch sehr lange bei uns bleiben"

Von Ernst Rommeney · 08.10.2006
Hamas gilt als Terrororganisation - bei den Israelis, den Europäern und den Nordamerikanern. Und das, meint Helga Baumgarten, verstelle dem Westen den Blick. Statt den politischen Islam in Palästina zu ignorieren, empfiehlt sie zu schauen, wie er sich entwickelt habe, wie er lerne und sich anpasse.
" Also ganz dezidiert zu zeigen, dass Hamas nicht nur Selbstmordattentäter sind, dass sie eine politische Partei sind, die sich man sich genau anschauen sollte, denn meiner Meinung nach wird diese Partei noch sehr lange bei uns bleiben."

Seit den sechziger Jahren arbeiten die palästinensischen Muslimbrüder, die Gründer der Hamas, an der Basis. Sie schufen ein Netzwerk aus Moscheen, Kindergärten, Schulen und Universitäten, Freizeiteinrichtungen, Sportclubs und sozialer Hilfe. Jüngst führten sie gar einen Wahlkampf im amerikanischen Stil. Ihre gesellschaftspolitische Einstellung habe Hamas zu einer modernen Partei werden lassen.

"... dass die Bevölkerung mobilisiert werden muss, dass sie aktiv werden muss, dass sich eine Partei nicht abgehoben von der Bevölkerung der Politik widmen kann, sondern dass man die Belange der Bevölkerung in die Politik einbringen muss, dass Frauen eine zentrale Rolle in der Politik spielen müssen, all diese Dinge sind absolut modern. "

Zudem haben sich die islamischen Politiker den Ruf erworben, uneigennützig und nicht korrupt zu sein. So wurden sie für die Palästinenser eine Alternative zur Fatah und den anderen säkularen, eher linken Parteien der PLO. Sie waren erfolgreich bei den Wahlen der letzten beiden Jahre - ob für die Rathäuser oder das Parlament.

" Zum Beispiel sind sämtliche Abgeordnetensitze aus Jerusalem, die an Muslime gegangen sind, also nicht an die christliche Minderheit, von Hamas gewonnen worden."

Sie haben die Städte erobert, obschon sie Jahrzehnte eher in einem konservativ religiösen Milieu verankert waren. 1928 wurden die Muslimbrüder in Ägypten gegründet, von 1945 an dann auch in Jordanien, im Westjordanland und im Gazastreifen. Sie wollten stets Palästina befreien, einen Staat nach islamischem Recht gründen und den Einfluss des Westens abwehren.

" Man möchte eine eigene Moderne entwickeln auf der Basis einer eigenen Geschichte."

Erst konzentrierten sich die Muslimbrüder auf ihre soziale Arbeit und die religiöse Bildung. Dann aber gründeten sie eine politische Organisation, mit der sie an der ersten Intifada gegen die israelische Besatzung teilnahmen. Sie erhielt den Kunstnamen Hamas, gebildet aus der Bezeichnung "Bewegung für den islamischer Widerstand". Über den Osloer Friedensprozess und die zweite Intifada hinweg wechselte die Partei zwischen militanter Aktion und Friedenssignalen.

" Gewalt ist manchmal vor allem als Gegengewalt, so wird es aufgefasst, notwendig, aber in dem Moment, wo man politisch seine Ziele erreichen kann, ist die Politik bei weitem vorzuziehen."

Die Jerusalemer Politologin zeichnet über den palästinensischen Islam ein Bild voller Widersprüche, sieht aber den Trend, dass sich die politischen Köpfe von Hamas immer wieder von politischem Realitätssinn, auch von der Stimmung der Bevölkerung leiten lassen würden. Mittlerweile seien sie gar bereit, Israel neben einem Staat Palästina zu akzeptieren.

" Hamas argumentiert - und das ist nicht nur eine Person, sondern das sind inzwischen schon sehr viele: wir fordern, dass Israel unser Existenzrecht, unser Recht auf einen Staat anerkennt, und dann haben wir kein Problem Israel anzuerkennen."

Helga Baumgarten hält der israelischen Politik vor, sie hätte schon in den Neunziger Jahren die Chancen verspielt, Hamas durch Dialog und Zugeständnisse in den Friedensprozess einzubinden. Sie sieht die islamischen Politiker an ihrer Regierungsaufgabe wachsen, während die Gegenspieler von der Fatah ihr Ansehen auf Dauer verspielt hätten.

" Und es sieht nicht so aus, dass sich Fatah so schnell, wie sich das viele jüngere Fatah-Aktivisten wünschen, reformieren kann. Das wird sicher zehn, fünfzehn Jahre dauern: Und in dieser Zeit wird Hamas die wichtigste oder zweiwichtigste palästinensische Partei stellen. Und der Westen und die EU täte gut, das sehr schnell so zu sehen, dass man mit einem Akteur wie Hamas nicht anderes als reden und verhandeln kann."

Israel grenzt die islamische Hamas aus, die Palästinenser aber strafen die säkulare PLO ab. Der Westen könnte nun nach dem Libanonkrieg einen neuen Friedensimpuls geben. Ihn würde die deutsche Professorin der Universität Birzeit gern mit ihrer Analyse begleiten.

Helga Baumgarten: Hamas - Der politische Islam in Palästina
Erschienen bei Diederichs im Heinrich Hugendubel Verlag, München, 2006