Die Zukunft des Lesens

Beim E-Book hinkt Japan hinterher

Besucher einer Bibliothek lesen Buecher und Magazine am 04.10.2014 im japanischen Kyoto.
Besucher einer Bibliothek im japanischen Kyoto © dpa / Friso Gentsch
Von Michaela Vieser · 11.01.2016
Japan, das die Welt mit unzähligen Innovationen beglückt hat, vom Walkman bis zur Playstation, gleicht in Sachen E-Book noch immer einem Entwicklungsland. Gelesen wird eher klassisch - und überhaupt: Warum sollte man 100 Bücher mit sich herumtragen?
Murasaki Shikibu, war Hofdame, und schrieb im 11. Jahrhundert den ersten Roman der japanischen Literaturgeschichte: Die Geschichte des Prinzen Genji. Bis heute eins der wichtigsten Bücher, mehr noch: Er wird von einigen sogar als der erste Roman überhaupt angesehen.
Auch wenn Letzteres umstritten ist, hat Japan seitdem immer wieder Literaten der Weltklasse hervorgebracht: Den Lyriker Akutagawa Ryūnosuke etwa, den Schriftsteller Kawabata Yasunari und nicht zu vergessen Haruki Murakami. Doch wie wird das in Zukunft sein? Denn auch in Japan lesen immer weniger Menschen Bücher.
"Ohne Geschichten können die Menschen nicht leben"
Auf den Straßen und in der U-Bahn spielen, surfen, texten und scrollen die Pendler auf ihren Smartphones. Aber ein klassisches Buch lesen? Fehlanzeige. Und irgendwie bestätigt das, was viele von Japan denken: Hier findet die Revolution des Lesens als Erstes statt. Aber stimmt das? Nein, sagt der japanische Literaturpreisträger Genichiro Takahashi.
"Junge Leute schauen auf ihr iPhone, ihre Smartphones und verbringen damit einfach viel Zeit. Das ist eine Tatsache. Dass wir darum einer dunklen Zukunft entgegensteuern, glaube ich dennoch nicht. Zum einen gibt es ja viele Leute, die spielen, und natürlich gibt es auch da immer eine Geschichte in diesen Spielen. Eine Art Geschichte sagen wir mal. A kind of story. Wenn Menschen keine Geschichten haben, keine Fiktion, dann können sie nicht leben."
Wie also umgehen mit dem veränderten Leseverhalten? Was macht die japanische Verlagswelt? Kann man von ihr Innovationen für die Buchbranche der Zukunft erwarten? Nein, eher das Gegenteil ist der Fall. Zwar brachte Sony bereits 2004 den ersten E-Reader heraus, doch war das Distributionssystem von "Libre" so angelegt, dass man die Bücher nur leihen und nicht kaufen konnte. Die japanischen Verleger hatten zu große Angst einen Fehler zu begehen - und das ambitionierte Projekt versandete.
E-Book-Reader wie der "Kindle" können sich nicht durchsetzen
Auch waren es die Japaner, die die ersten Fortsetzungsgeschichten entwickelten, die nur auf Handys funktionierten, "Keitai-shosetsu" genannt, aber auch dieser Hype verebbte. Seither gibt es nur wenige Innovationen auf dem elektronischen Buchmarkt. Vom Kindle heißt es seit Jahren, er komme, doch die japanische Verlagsszene bleibt skeptisch.
Mehr noch: Manch einer bangt, es sei vergleichbar mit Commander Perry, der mit seinem schwarzen Schiff im 19. Jahrhundert im Hafen von Yokohama lag und die japanische Regierung zwang, sich dem Westen zu öffnen. Der Autor Craig Mood lebt seit über 10 Jahren in Japan und berät japanische Startups im Bereich "Digital Publishing":
"Es ist eine etwas naive Vorstellung, eine funktionierende Idee aus einer Kultur zu nehmen, sie zu übersetzen und dann einfach auf eine andere Kultur zu stülpen."
Das "Bunkobon" - klassisches Buchformat als Innovationsbremse
Craig Mood macht das nur in Japan erhältliche Taschenbuchformat, das Bunkobon, verantwortlich für die Innovationsbremse auf dem E-Book-Markt in Japan. Bunkobon, das das sind handgroße, ultraleichte Taschenbücher:
"Die Sache ist die: Ich kann zwar 10 oder 100 Bücher auf meinem iPad in der Tasche mit mir herumtragen. Aber brauche ich wirklich allzeit 100 Bücher? Fünf Bücher, das ist eine interessante Anzahl, mit der kann ich reisen, sie überall rumtragen, denn dank des Bunkobon-Formats geht das auch ohne Last."
Und außerdem, so Genichiro Takahashi, der Roman als Gattung bleibt. Schließlich gäbe es ihn ja erst seit ein paar hundert Jahren, er sei also ein relativ neues Medium. Und das Medium, in dem man einen Roman läse, sei da doch ziemlich egal.
"So wird es vielleicht dazu kommen, dass Bücher aus Papier aussterben werden, aber in einer anderen Form werden Geschichten dennoch weiter existieren. Der Roman lebt ja auch auf dem Papier, warum soll er nicht auf der Elektrizität leben? Ich denke darüber positiv. Denn so wie wir es heute tun, auf Papier drucken, Zeichen suchen, das ist nicht besonders praktisch. Ich bin überzeugt davon, dass etwas kommen wird, was das verändert."
Mehr zum Thema