Die zarte Diva

Von Beatrix Novy · 12.05.2011
Androgyn, zerbrechlich und naiv - so wurde Elisabeth Bergner häufig beschrieben. Selbst auf der Schauspielschule nahm kaum jemand von ihr Notiz. Doch in den 20er und 30er Jahren wurde die schüchterne Wienerin zu einer der größten Diven der europäischen Film- und Theaterszene.
"Das Beste, ich geh noch ein bisschen vors Hotel hinaus. Ach, ist das schön. Dieses Licht! Und überhaupt nicht kühl. Herrlich."

"Seltsam brüchig und erregend gurrt eine leise, lockende Stimme, aufflackernd aus der zarten, zerbrechlichen Gestalt eines naiv-kapriziösen Weibkindes."

"Da stehen Sie nun mit Ihrer Kindlichkeit und Mädchenhaftigkeit und mit dieser infernalischen, ungreifbaren Süßigkeit."

"Wie das blüht und duftet! Wie das im höchsten Sinne Kunst ist und im höchsten Natur! Wie sie sich keinen Zwang auferlegt und doch streng im Bann ihrer selbst bleibt!"

Um die Bergner zu beschreiben, scheuten die Theaterkritiker und Feuilletonisten der 20er-Jahre keinen sprachlichen Höhenflug. Irgendwie musste man doch der Nachwelt einen Geschmack davon geben, wie und warum dieser leicht androgyne Frauentyp da vorn auf der Bühne einen gefangen nahm, in Shakespeares, Schillers, Hauptmanns, Strindbergs Stücken.

"Um dieses Wunder aus Nerv und Hirn liefen sich die Federn und die Zungen heiß","

hieß es 1977 in einem Artikel zu ihrem 80. Geburtstag. Fast neun Jahre später, am 12. Mai 1986, starb Elisabeth Bergner in London, im Land, das ihr, der jüdischen Emigrantin, Heimat und Staatsbürgerschaft gegeben hatte. Wie aus weiter Ferne blickte sie auf ihre eigene Legende zurück - auf die junge Wienerin, geboren in Galizien, die traumsicher und ohne nennenswerte Widerstände eine frühe, märchenhafte Karriere gemacht hatte: Zürich - Wien - München - Berlin. Und weil sie, die außergewöhnliche Theaterdiva, anders als die Bernhard oder die Duse, schon ins Zeitalter des Films hineingeboren war, wurde sie auch auf Zelluloid unsterblich.

Es verwundert nicht, dass dieser schmerzlich fragilen, nach Aussage eines Zeitgenossen "sexlosen" Schönheit die Männer rettungslos verfielen. Sie aber brauchte nur einen Mann fürs Leben: Paul Czinner. Unter seiner Regie drehte sie seit 1924 Stumm- und Tonfilme, unter anderem "Fräulein Else" – nach der Novelle von Arthur Schnitzler. Ein Fehler, wie sie später bekannte: diesen Monolog einer in die Verzweiflung getriebenen Großbürgertochter dürfe man nicht spielen, sondern nur lesen.

""Warum schweigt er denn, warum bewegt er keine Miene, warum sagt er denn nicht ja? Wo ist denn das Scheckbuch und die Füllfeder, er wird doch um Himmelswillen nicht nein sagen. Ich bring mich um, wenn er nein sagt. – Am 5., sagten Sie, Fräulein Else? – Jawohl, übermorgen, Herr von Dorsday, um 12 Uhr mittags."

1932 löste Elisabeth Bergner, von den Nazis bereits angefeindet, ihren Vertrag beim Deutschen Theater in Berlin und ging mit ihrem Mann nach England; sie kehrte nicht zurück. Im Handumdrehen eroberte sie die Londoner Bühne - die Kritiker mokierten sich über den dummen Antisemitismus der Nazis, dem sie so einen Schatz verdankten -, mehrere Filme folgten, unter ihnen 1936 die Shakespeare-Verfilmung "As you like it" mit Laurence Olivier, der sie vom ersten Moment an faszinierte:

"Das seltsame dunkle Feuer, das er damals schon ausstrahlte, auf der Bühne wie im Film, war etwas ganz Neues, er war überhaupt nicht lyrisch und dabei faszinierend poetisch."

Nach dem Krieg, nach langer Emigration in England und den USA wollte Elisabeth Bergner nach Deutschland, jedenfalls in die deutsche Sprache zurück. Ihr Wohnsitz blieb London, während sie ihr zweites Schauspielerleben aufbaute und in Deutschland auf Tournee ging; unter anderem spielte sie im Berliner Renaissance-Theater die Stella Campbell, im Stück "Geliebter Lügner" ihres Freundes George Bernard Shaw.

"Kensington Square 33, April, 1899. Mein lieber Mr. Shaw, ich zittere schon lange davor, meine Fotografien zu sehen. Die Zeit der Krähenfüße und Hängebacken ist gekommen. Gott helfe mir und allen Frauen."

Vom Schillerpreis der Stadt Mannheim bis zur Hans Otto-Medaille der DDR wurde Elisabeth Bergner jede Ehrung für eine große Schauspielerin zuteil. Sie hatte sich alle redlich verdient. Nur von fern wurden ihre letzten Lebensjahre noch angestrahlt vom Mythos jener Elisabeth Bergner der 20er und 30er-Jahre, deren besonderer Zauber ihren Zeitgenossen ein Rätsel aufgab, das sie nie ganz lösen konnten.