Die Wunden heilen nur langsam

Von Tim Krohn · 22.07.2013
Zwei Jahre nach den Anschlägen von Oslo und Utöya gedenkt Norwegen der 77 Todesopfer. Der rechtsradikale Attentäter Anders Behring Breivik ist inzwischen zu 21 Jahren Haft verurteilt worden, doch die Überlebenden leiden bis heute an den Folgen ihrer furchtbaren Erfahrungen.
Stian Kogler sieht aus wie einer, den so schnell nichts umhaut, blond und groß und selbstbewusst. Heute vor zwei Jahren auf Utöya sprang er ins Wasser, als Breivik schoss. Stian schwamm um sein Leben, es war seine Rettung. Dem jungen Mann ist nichts passiert. Oder doch?

"Letzten Donnerstag war ich im Urlaub am Fjord und wollte von einem Bootssteg aus baden gehen. Das hatte ich seit dem 22. Juli nicht mehr getan. Als ich die anderen sah, wie sie ins Wasser gesprungen sind, bekam ich einen Panikanfall. Mein Puls schlug immer höher. Das war so eine Art Flashback, als würde ich jetzt wieder ein kleines bisschen Utöya durchleben. Ich hatte Todesangst, kann man sagen."

Das, was Stian gerade im Urlaub durchlebt hat, ist typisch. Die Traumapsychologin Grete Dyb hat in einer neuen Studie dokumentiert, dass 40 Prozent der Überlebenden von Oslo und Ütöya immer noch unter Angstzuständen und Depressionen leiden.

"Am häufigsten sind die post-traumatischen Stressreaktionen. Da wird zum Beispiel das, was geschehen ist, wieder und wieder durchlebt. Diese Reaktionen machen sich auch körperlich bemerkbar mit Konzentrationsschwierigkeiten und schlechtem Schlaf."

Immerhin: es geht vorbei. Zwei bis fünf Jahre lang dauert es bei den meisten Patienten, bis die Symptome verschwinden. Stian Kogler ist sich mittlerweile sicher: er wollte zu viel, zu schnell.

"Ich denke, dass ich wieder anfangen muss, weil es eben doch nicht so leicht ist. Ich hatte im letzten Jahr aufgehört, zum Psychologen zu gehen. Aber ich merke langsam, dass es doch besser wäre, noch ein wenig Hilfe zu bekommen."

Norwegens Wunden heilen nur langsam. Die Opferverbände bemängeln, dass die Hilfe einiger Kommunen zu schnell zurückgefahren worden sei. Norwegens Polizei beklagt, dass ihr immer noch Hubschrauber für den Notfall fehlen. Passanten in Oslos Regierungsviertel zucken leicht zusammen, wenn es irgendwo knallt.

Zwei Frauen sagen: "Es bleibt für uns ein Horror, dass jemand allein die Fantasie hat, so etwas anzurichten. Aber solche Sachen gibt es halt. Vielleicht waren wir uns darüber früher zu wenig bewusst. Das hat sich verändert. Ich habe eher den Eindruck, wir sind fast wieder da, wo wir vor den Anschlägen standen. Direkt danach hatten wir uns in Norwegen ja sehr geöffnet . Aber jetzt sind wir wieder beim Alten." Man hätte Breivik "früher stoppen können".

Die Untersuchungskommission zum 22. Juli hat die vielen Pannen dieses schicksalhaften Tages klar benannt. Norwegens Regierung hat eine Menge Geld in die Hand genommen, um die offensichtlichsten Mängel zu beheben. Und trotzdem: Nach einer neuen Umfrage der "Bergens Tidende" hat jeder zweite Norweger den Eindruck, es habe sich so gut wie gar nichts verändert.

Was aus Norwegen werden soll? "Es liegt nur an dir und an mir", hatte Kronprinz Haakon vor zwei Jahren gesagt. Die Menschen rückten tatsächlich zusammen, statt um sich zu schlagen. Sie haben einen anstrengenden aber fairen Prozess geführt. Der Rest braucht Zeit, sagen die Opfer. Stian, der Überlebende von Utöya, weiß, wovon er spricht.

"Absolut. Ich kann tatsächlich sagen, dass es mit der Zeit immer besser geht. Der Spruch scheint ja doch zu stimmen. Die Zeit heilt alle Wunden."
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