Die Welt in Farbe und Schwarz-Weiß

Von Volkhard App · 17.01.2013
Das Bild einer jungen Afghanin machte ihn weltbekannt. Krisen, Krieg und Okkupation hat der amerikanische Fotograf Steve McCurry auf der ganzen Welt festgehalten. Das Kunstmuseum Wolfsburg ehrt den Magnum-Fotografen mit der Einzelausstellung "Im Fluss der Zeit: Fotografien aus Asien 1980 - 2011".
Dieses Foto von 1984 ging um die Welt: es zeigt ein 12-jähriges Mädchen im Zelt eines Flüchtlingslagers nahe der Grenze zu Afghanistan. Die Waise schaut den Betrachter an, ihr Gesicht ist von den schlimmen Erfahrungen gezeichnet, dieser Ernst aber ist verbunden mit Schönheit und Würde. Die leuchtend grünen Augen harmonieren mit dem rotbraunen Umhang und dem grünen Hintergrund, sodass diesem Zeitdokument auch eine malerische Dimension innewohnt.

Dieses Foto ist zur Ikone geworden, bleibt im kollektiven Gedächtnis fest verankert - für den Fotografen Steve McCurry ein Glücksfall. Von Robert Capa über Walker Evans bis zu Henri Cartier-Bresson reichen seine Vorbilder. "Ich will in der Tradition der Fotografen stehen, die die Welt so abbilden, wie sie ist", sagt McCurry:

"Fotografieren bedeutet für mich, durch diese unglaubliche Welt zu reisen, in der wir leben - und das menschliche Verhalten zu untersuchen: die Gemeinsamkeiten und was uns voneinander unterscheidet . Das ist eine Faszination, die nie aufhört. Und ob Sie nun Autor sind oder Fotograf , Sie wollen mitteilen, was Sie als wichtig empfinden. Sie sagen: schaut Euch diese erstaunliche Sache an, die ich gefunden habe. Und diese Entdeckung möchte ich mit Euch teilen, um zu sehen, ob Ihr genauso darauf reagiert wie ich."

Der 1950 in Philadelphia geborene McCurry hat Geschichte und Filmwissenschaft studiert, kurz bei einer Zeitung gearbeitet und sich dann Ende der 70er-Jahre mit ethnografischer Neugier auf weite Reise begeben, offen für fremde Kulturen, für den Alltag und für Kriege und Konflikte. Als die Sowjetunion Afghanistan besetzte, überwand er verkleidet an der Seite afghanischer Widerstandskämpfer von Pakistan aus die Grenze und hielt fotografisch fest, was ihm wichtig erschien. 1979 kaufte die "New York Times" eines seiner Bilder: dort beobachten Kämpfer aus sicherer Deckung einen sowjetischen Konvoi, der allerdings auf dem Foto nicht zu sehen ist, was das Unbehagen eher vergrößert.

Nun erschienen seine Aufnahmen in vielen Zeitungen und Zeitschriften, apokalyptische Szenen mit brennenden Ölfeldern und herumirrenden Kamelen in Kuwait und einem im Ersten Golfkrieg verbrannten Soldaten.
Dennoch versteht sich McCurry nicht vorrangig als Krisenreporter, sondern taucht ein in das Alltagsgeschehen, liefert Sittenbilder aus vielen Ländern: Da sind bettelnde Kinder, die in Bombay bei starkem Regen ihre Gesichter gegen die Autoscheiben gepresst haben, da ist ein Sakkoverkäufer in Kabul, der sich seine Ware in dicken Schichten um den Körper gehängt hat. Viele Gesichter sind groß herausgestellt, es geht um die Würde des Einzelnen, seine Existenz, seine Seele. Und immer wieder werden buddhistische Mönche gezeigt, denn die Verschränkung von profanem Leben und Spiritualität fasziniert McCurry an seinem Hauptschauplatz Asien:

"Ich habe mich in diesen Kontinent verliebt, fühle mich von ihm angezogen, verbringe dort meine Zeit und studiere das Leben. Es mag irrational sein, aber ich kann gar nicht anders."

Seine Szenen sind sinnbildhaft verdichtet, fügen sich bildgewaltig zu emotional berührenden Zeitpanoramen. Doch inszeniert ist hier wenig, der seit 1986 zur Agentur "Magnum" gehörende McCurry wartet geduldig auf den geeigneten Augenblick. Ist sein Handwerk Kunst oder Journalismus? Die Hauptsache sei doch, Geschichten zu erzählen, sagt er.

Ein sicheres Gespür für Spannungen und Kontraste hat er entwickelt: Wenn auf einem Foto Kinder auf einem Kriegsschauplatz bei Beirut an einem Geschütz spielen oder wenn Frauen in verschiedenfarbigen Burkas in den Auslagen eines Geschäftes modische Turnschuhe bestaunen. Die Farbe ist für McCurry nach schwarz-weißen Anfängen zur Selbstverständlichkeit geworden:

"Ich liebe Schwarz-Weiß, aber die Welt erscheint nun mal in Farbe. In Tibet und in der Religion der Hindu spielt die Farbe eine besondere Rolle. Deshalb verwende ich sie, obwohl sie eigene Probleme mit sich bringt und es einfacher ist, die Welt in Schwarz und Weiß zu sehen."

Das Flüchtlingsmädchen, das er 1984 fotografierte, hat er vor zehn Jahren ausfindig gemacht, und er durfte die junge Frau unverschleiert aufnehmen. Früh gealtert ist sie, ein verhärmtes Gesicht blickt uns nun an:

"Die Zeit hat ihre Spuren hinterlassen. Die gute Nachricht für mich war, dass sie noch lebt. Sie hat eine Familie, und wir sind nun in der Lage, ihr Leben zu verbessern und der Familie zu helfen."

Die in Wolfsburg in einer anregenden Auswahl präsentierten Fotos sind nicht für Museen entstanden. Doch indem sie aus dem medialen Bilderstrom herausgenommen und an die Wand gehängt werden, wird ihre Qualität besonders auffällig, sind sie der genauen Betrachtung zugänglich, können sie ihre humanen Botschaften vermitteln.


Links zum Thema:

Kunstmuseum Wolfsburg "Steve McCurry - Im Fluss der Zeit. Fotografien aus Asien 1980 - 2011"