"Die Welt braucht eine internationale Getreidebank"

Joachim von Braun im Gespräch mit Nana Brink · 16.10.2010
Der Direktor des Bonner Zentrums für Entwicklungsforschung, Joachim von Braun, fordert die Einrichtung einer weltweiten Zentralbank für Getreide. Diese soll Rohstoff-Spekulanten Einhalt gebieten und die Hunger-Situation in den Entwicklungsländern entschärfen.
Nana Brink: Es ist nur zwei Jahre her, da wurden die ärmsten Länder der Welt von einer massiven Lebensmittelkrise erschüttert. Es gab Hungeraufstände in Ägypten, in Haiti wurden Menschen bei dem Kampf um Lebensmittel getötet, und in Indonesien musste das Militär viele Reisfelder bewachen. Schuld daran waren die sprunghaft angestiegenen Preise für Weizen, Reis oder Mais. Was für die Spekulanten ein riesiges Geschäft ist, ist für die Ärmsten eine Katastrophe. Weil immer mehr Anleger sich auf Agrarrohstoffe stürzen, explodieren seit zwei Jahren die Preise. Und darüber möchte ich jetzt sprechen mit dem Agrarökonom Joachim von Braun. Er ist Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung in Bonn. Einen schönen guten Morgen, Herr Braun!

Joachim von Braun: Ja, guten Morgen!

Brink: Was sind denn die Motive der Spekulanten?

von Braun: Ja, heute ist ja Welternährungstag, der wird 1981 begangen, und viel zu feiern gibt es leider nicht, denn die Weltmärkte – und von deren Funktionieren hängt die Welternährungssituation maßgeblich ab – sind irritiert, angespannt und sehr instabil geworden. Die Motive, die bei den Anlegern in Rohstoffe, und dazu zählen eben auch Getreide, das Handeln bestimmen, ist natürlich die Gewinnerwartung, und es zahlt sich aus, in diese riskanten Märkte als Finanzanleger zu investieren. Und das trägt zu einer weiteren Destabilisierung bei, wenn das unreguliert und exzessiv ist.

Brink: Diese Woche war der Maispreis ja so hoch wie seit 1973 nicht mehr – was bedeutet das konkret?

von Braun: Ja, der Maispreis ist nach oben gesprungen aufgrund einer neuen Ernteschätzung in den USA, die ist vier Prozent niedriger ausgefallen als erwartet, und schwupp ist der Maispreis so stark gestiegen wie seit 1973 nicht. Das bedeutet für uns relativ wenig in Europa und in Deutschland. Futtermittel werden etwas teurer, aber der Mais ist eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel in Entwicklungsländern, und solche Preissprünge bedeuten für arme Leute mehr Hunger.

Brink: Und welche Auswirkungen werden diese Nahrungsmittelspekulationen in den armen Ländern dann weiter auslösen? Sie haben gesagt, mehr Hunger, also Hungerkatastrophen, Aufstände?

von Braun: 1973 hat es eine Welternährungskrise gegeben, da haben noch relativ wenig Leute die Demonstration auf der Straße als Lösung gesehen. Vor zwei Jahren war das schon anders, die Menschen sind sensibler geworden, die Welt ist urbaner geworden, auf dem Dorf demonstriert es sich nicht so wirkungsvoll wie in der Stadt. Ja, wir werden auch in Zukunft vermehrt politische Unruhen aufgrund von Lebensmittelknappheit haben, und darauf reagiert die Politik auch nicht wirkungslos, es wird Gott sei Dank mehr in Landwirtschaft investiert seit zwei Jahren.

Brink: Wie kann man denn solche Spekulationen stoppen – kann man es überhaupt?

von Braun: Spekulation insgesamt hat positive und negative Wirkung. Positiv ist, dass sie das Signal von Knappheit sind, und darauf reagiert dann Produktion und Handel. Leider reagiert aber auch Politik negativ: Wir sehen ein Mehr an Abschotten, weniger Freihandel bei Getreide, und das verschärft die Situation der künstlichen Knappheit durch Exportstopps, wie Russland sie im August verhängt haben. Wir brauchen neue Instrumente, um die Spekulation auf ein vernünftiges Maß zu bringen.

Brink: Wie sehen die aus, Ihrer Meinung nach?

von Braun: Meines Erachtens braucht die Welt eine Zentralbank für Getreide, eine internationale Institution, die ausgestattet ist mit Wissen, Geld und einer Getreidereserve, um auf diese Weise mit diesen Instrumenten international wirksam – denn es geht nicht um nationale Maßnahmen – international wirksam mit den Fluktuationen auf dem Weltgetreidemarkt umzugehen.

Brink: Ist das so etwas wie eine virtuelle Getreidereserve, muss ich mir das so vorstellen?

von Braun: Diese Weltbank oder Weltgetreidebank müsste finanzielle Mittel haben, um gegen die Spekulation, so wie eine Zentralbank auch, mit finanziellen Mitteln, also virtuell mit Geld anzugehen. Das ist moderne Ökonomie, die mit Incentives gegen Spekulationen angeht, nicht nur einfach mit dem Öffnen und Schließen einer physischen Getreidereserve.

Brink: Wer Ihrer Meinung nach soll das finanzieren oder wer könnte dies anstoßen?

von Braun: Die G-8 und G-20 haben das bereits diskutiert, es müsste auf diesem Level passieren, und China und Indien müssten auf jeden Fall dazugehören, denn beide sitzen auf den größten Getreidereserven und sind die größten Konsumenten, aber andere, wie Europa und Deutschland und die USA gehören natürlich auch dazu. Eine Welt, die so global integriert ist, braucht eine globale Institution, um mit dem globalen Welternährungsproblem umzugehen.

Brink: Wie sehen Sie denn die Chancen, dass so etwas verwirklicht wird?

von Braun: Durchaus positiv, denn der Leidensdruck in den Entwicklungsländern ist angesichts des nicht reduzierenden Hungers – wir haben wieder eine Milliarde Menschen, die hungern in diesem Jahr, 60 Prozent davon in Asien, 25 Prozent in Afrika –, von dort her kommt die Nachfrage nach oder der Bedarf, eine neue vernünftige Regelung zu finden. So geht es nicht weiter.

Brink: Der Agrarökonom Joachim von Braun, Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung in Bonn. Vielen Dank für das Gespräch, Herr von Braun!

von Braun: Gerne!
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