Die Weisheit der Alten

03.06.2012
Bei Alter denken die meisten heute an Pflegenotstand, Rentenlücke und Alzheimer. Falsch, schreibt der Gedächtnisexperte Martin Korte. Alter ist nicht geistiger Verfall, es ist vielmehr eine Entwicklungsstufe mit einigen Schwächen - aber auch mit Stärken.
So lässt im Alter zwar die Denkgeschwindigkeit nach, zwei Dinge gleichzeitig zu tun fällt schwerer, aber dafür liegt die Sprachkompetenz weit höher, langsamere Hirnprozesse werden durch Erfahrung ausgeglichen und in einer Fülle von Daten wird Wichtiges leichter erkannt.

Es hat also einen guten Grund, warum viele Kulturen die Weisheit der Alten besonders schätzen. Dabei leugnet Martin Korte nicht, dass all die rosigen Befunde Durchschnittswerte sind. Viele ältere Menschen sind einsam, haben Probleme im Alltag, leiden an schweren Krankheiten. Aber der Mehrheit der Hochbetagten geht es vergleichsweise gut. Sie finden einen Sinn in ihrem Leben und oft ist ihre Stimmung besser als in jungen Jahren.

Die Gründe für die Stärken und Schwächen des alternden Geistes liegen im Gehirn; in Veränderungen, die je nach Region sehr unterschiedlich ausfallen können. So schwächelt die rechte Hirnhälfte früher als die linke. Dieses Ungleichgewicht hat interessante Konsequenzen: negative Emotionen, die eher rechts verarbeitet werden, verlieren im Alter an Bedeutung. Die linke Hirnhälfte speichert bewährte Lösungsstrategien ab, sie stehen deshalb gerade alten Menschen besser zur Verfügung. Akribisch erläutert Martin Korte noch viele weitere Veränderungen im alternden Gehirn. Manchmal mit mehr Details, als zum Verständnis notwendig sind, aber immer plausibel und nachvollziehbar.

In einem eigenen Kapitel beschäftigt er sich mit den Krankheiten des alten Gehirns, mit Alzheimer, Parkinson und Schlaganfall. Wie entstehen sie, wie häufig sind sie, was leisten Therapien? Nichts wird beschönigt, aber auch nichts übertrieben. Korte schreibt hier wohltuend sachlich. Wer ein realistisches Bild von den vermeintlichen Bedrohungen des Alters gewinnen will, sollte diese Seiten lesen.

Zumal Martin Korte nicht nur beschreibt und erklärt, sondern auch wissenschaftlich begründete Ratschläge zur Unterstützung des alternden Gehirns gibt. Der erste lautet: Bewegung! Sport stärkt den Geist. Und wer den regelmäßig nutzt, Ratschlag zwei, baut eine kognitive Reserve auf, die einen Gedächtnisverfall zwar nicht verhindern, aber lange Jahre abpuffern kann. Ideal sind dafür Aktivitäten, die breite Gehirnregionen anregen. Also das Erlernen einer Sprache oder eines Instrumentes. Der dritte Ratschlag zielt auf soziale Aktivität. Wenn Großeltern mit ihren Enkeln spielen, dann hebt das nicht nur die Stimmung, sondern hält auch länger jung. Die optimale Kombination aus allen drei Ratschlägen ist für Martin Korte übrigen das Tanzen: sportlich, komplex und sozial in einem!

Martin Korte fordert zu einer Neubewertung des Alters auf. Die Gesellschaft sollte bewusst auf die spezifischen Schwächen der Alten Rücksicht nehmen, aber auch ihre besonderen Stäken gezielt nutzen. Der demografische Wandel kann nur gelingen, wenn die Jungen und vor allem die Alten selbst, der Generation 60 plus viel mehr zutrauen.

Besprochen von Volkart Wildermuth

Martin Korte: Jung im Kopf. Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden
DVA 2012
336 Seiten, 19,99 Euro
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