Die Wehrmacht am Mittelmeer

04.10.2011
In seinem Erinnerungsband beschreibt der Goethe-Forscher und Kunsthistoriker Roberto Zapperi frühe Eindrücke aus dem mit Nazi-Deutschland kooperierenden Italien - und schildert zugleich die erdrückende patriarchale Struktur auf der Insel Sizilien.
Die Deutschen sind ein merkwürdiges Volk. Zum Beispiel schlafen sie nicht auf, sondern unter der Matratze. So zumindest erlebt es ein sizilianischer Zitrusfrüchte-Exporteur Anfang des 20. Jahrhunderts, als er seine Kunden in München besucht und abends im Hotel unter das schwere Federbett kriecht – ohne Zweifel müsse dies die Bettunterlage sein, meint der Herr, der dünne Laken als Zudecke gewöhnt ist. Das fremde Land bleibt kurios. Wenn man im Gasthaus auf das billigste Gericht der Speisekarte zeigt, serviert einem der Ober zeremoniös einen Eiswürfel. Diese und andere Abenteuer des Großvaters kursierten in Roberto Zapperis Familie, und sie mögen die kindliche Fantasie entfacht haben. Dass Deutschland zu einem emphatischen Bezugspunkt seiner wissenschaftlichen Laufbahn wurde, erklärt sich aus biografischen Verwicklungen, die Zapperi jetzt in seinem schmalen Erinnerungsband "Eine italienische Kindheit" entfaltet.

Roberto Zapperi, 1932 in Catania geboren und einer der originellsten Goethe-Forscher und Kunsthistoriker seines Landes, ist ein feinsinniger Forscher und sensibler Beobachter. Unaufgeregt und mit einem bestechenden Gespür für Details schildert er die Präsenz der Deutschen auf Sizilien und greift immer wieder charakteristische Momente heraus. Einer Bühnenszene ähnelt eine Erfahrung, die er als Achtjähriger in seinem Elternhaus machte.

Vor den Augen des staunenden Kindes hangelte sich eines Nachmittags ein deutscher Soldat mithilfe einer Eisenstange am Balkon nach oben und sprang ihm vor die Füße. Der sportliche Soldat – er war mit der Montage einer Telefonleitung beschäftigt – ließ sich von dem Jungen über die Treppe wieder hinaus geleiten, aber seine akrobatischen Künste und die Unerschrockenheit prägten über Jahre die Wahrnehmung des kleinen Roberto. Obwohl sein Vater ein erklärter Gegner des faschistischen Regimes war, bewunderte sein Sohn die deutsche Wehrmacht. Als Zapperi später während der Gymnasialzeit und des Studiums die Verheerungen des Nationalsozialismus begriff, wandte er sich von Deutschland ab. In seiner Kindheit sind ihm aber lange Zeit die Amerikaner verhasster, denn ein Bombenangriff der Alliierten auf Rom hatte seinen geliebten älteren Bruder Arturo das Leben gekostet.

Zapperi zeichnet nicht nur seinen Werdegang nach, sondern porträtiert auch seine Familie und schildert mit vielen Querverweisen auf anthropologische Phänomene die erdrückende patriarchale Struktur Siziliens. Der Vater, ein umtriebiger Kaufmann, der an der Enge Catanias zu ersticken drohte, wollte seinen Kindern einen Aufstieg ermöglichen, legte großen Wert auf Bildung und beförderte deshalb den Umzug der Familie von Sizilien in die Toskana. Nach der Kapitulation von 1943 verlagerte sich der Lebensmittelpunkt der Familie nach Rom. Die Schilderungen der umkämpften Stadt, die erst ihre Befreiung feierte und dann zum Schauplatz furchtbarer Racheaktionen wurde, sind besonders eindrücklich. Dass Widersprüche einen Forschergeist ein Leben lang in den Bann schlagen können, erklärt sich aus dieser sympathischen Rückschau auf ein italienisches Leben.

Besprochen von Maike Albath

Roberto Zapperi: Eine italienische Kindheit
Aus dem Italienischen von Ingeborg Walter
C. H. Beck Verlag, München 2011
176 Seiten, 19,95 Euro