Die wahren Kosten der Seltenen Erden

Von Ruth Kirchner · 18.01.2012
Im Norden der Volksrepublik, in der Inneren Mongolei, betreibt China mit den begehrten Rohstoffen der Seltenen Erden internationale Handelspolitik. Die Spezialmetalle sind zwar nicht wirklich selten, aber schwierig abzubauen. Die Umweltschäden vor Ort sind unübersehbar.
Ein gewaltiger Bagger lädt Eisenerze auf einen Lastwagen. Die Gesteinsbrocken wurden zuvor aus der Erde geschlagen und werden nun verladen. Die riesige Mine von Baiyun frisst sich tief in das Erdreich. Das rohstoffreiche Gestein wird hier im offenen Tagebau abgebaut - kilometerweit erstreckt sich das Minengelände über die mongolische Steppe. Von den Aussichtplattformen aus sehen die unförmigen gelben Minenfahrzeuge aus wie ungelenke Rieseninsekten. Über die Jahre haben sie Krater ausgehoben, die hunderte von Metern tief sind und über einen Kilometer breit. Um diese Jahreszeit ist das graubraune Gestein von einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Ein eisiger Wind bläst über das karge Land.

Ein Güterzug rumpelt über einen Bahnübergang in der Mine. Er transportiert das Gestein Richtung Süden. Eigentlich sollten sich in der Mine westliche Besucher ohne Genehmigung gar nicht aufhalten. Aber wir kamen unbemerkt durch die Kontrollen am Eingang. Die Pudelmützen gegen die schneidende Kälte weit über die Stirn gezogen, um die europäischen Gesichtszüge zu verbergen. Ein Angestellter hat uns mitgenommen. Wie fast alle Menschen in Baiyun arbeitet er für das staatliche Minenunternehmen. Er will seinen Namen nicht nennen, aber er will zeigen, welche Schäden der Tagebau anrichtet.

"Es ist wie überall sonst auch. Man weiß doch, dass man krank werden kann, wenn man in Fabriken arbeitet, wo viel Staub entsteht. Hier ist es dasselbe. Obwohl wir alle wissen, was hier abläuft, müssen wir hier arbeiten. Anders kann man nicht überleben. Wir haben keine andere Wahl."

Baiyun heißt "Weiße Wolke" - aber so richtig passt der poetische Name nicht zu der Mine und dem gesichtslosen Städtchen gleich daneben im Herzen der Inneren Mongolei. In Baiyun dreht sich alles um den Tagebau. Es geht nur um Eisenerz und die in dem Gestein enthaltenen Metalle, die Seltenen Erden, ohne die heute nichts mehr geht: Sie werden für die Handyherstellung gebraucht, für Windturbinen, für Batterien von Elektroautos und viele andere moderne Produkte. Aber der Abbau der Seltenen Erden ist kostspielig - nicht nur weil es schwierig ist, die Metalle aus dem Eisenerz zu lösen, sondern auch, weil dabei Abfallprodukte und Umweltschäden entstehen, die für die Menschen in den betroffenen Regionen oft katastrophale Folgen haben.

Gleich außerhalb des Minengeländes hinter den letzten Abraumhalden ist genau das zu sehen. Aus einem staubbedeckten Metallrohr schieß eine graue Abwasserbrühe auf den Boden, bildet eine Pfütze, gräbt sich durch den Grund, verbreitert sich zu einem See, versickert irgendwann im Boden. Das Wasser kommt aus der Mine und wird hier in der Steppe entsorgt. Das geht nun schon seit Jahren so. Den Hirten, die hinter den Abraumhalden ihre Schafe weiden, haben die Abwässer die Lebensgrundlage zerstört, erzählt der 61-jährige Yao Jincai:

"Die Zähne der Schafe wurden schwarz, als sie das verseuchte Wasser tranken. Ein Zahn ist dann meist größer und länger geworden als alle anderen. Die Tiere konnten nicht mehr richtig fressen, sind abgemagert und dann verendet. Auch das Dorf ist schwer betroffen. Viele Tiere sind krank geworden. Früher gab es das nicht."

Der alte Yao wohnt immer noch in einem einfachen Lehmhaus in der Steppe. Seine Kinder sind längst in die Stadt gezogen, wollten das harte Leben der Hirten hinter sich lassen. Yaos Gesicht ist wettergegerbt. Er ist einst aus der Provinz Gansu in die Innere Mongolei gekommen, hatte hier auf ein besseres Leben gehofft. Doch wegen der Umweltverschmutzung, vor allem wegen des verseuchten Grundwassers, sieht er jetzt keine Zukunft mehr:

"Wir wissen, dass auch das Wasser aus unseren Brunnen verseucht ist, aber wir trinken es trotzdem. Wo sollen wir denn sonst Wasser her nehmen. Das saubere Wasser aus den Kanistern, die man in den Geschäften kaufen kann, können wir uns doch gar nicht leisten."

Von den Minen in Baiyun wird das Gestein rund 150 Kilometer in den Süden gebracht, in die Industriestadt Baotou. Die Zwei-Millionen-Stadt nennt sich "Die Hauptstadt der Seltenen Erden". Baotou hat einen neue Industriezone für Seltene Erden und einen Park für Seltene Erden, wo die berühmten Worte vom großen Reformer Deng Xiaoping aus dem Jahre 1992 in goldenen Lettern in Stein gemeißelt sind: "Der Nahe Osten hat Öl. China hat Seltene Erden".

Damit war klar: Die Seltenen Erden sollen für die Stadt und die Region den Hauptmotor des Wachstums liefern. Vor allem im Norden der Stadt rauchen überall Fabrikschlote. Es gibt Chemiewerke, verarbeitende Industrie - aber vor allem das große Stahlwerk der "Baotou Steel Rare Earth Group". Die Eisenerze aus Baiyun werden hier angeliefert.

Ständig rumpeln Lastwagen über die Straßen rund um das riesige Werk. Die begehrten Metalle werden in den Anlagen des Werks aus dem Gestein gelöst. Über 90 Prozent aller Seltenen Erden kommen aus China - der größte Teil aus dieser Stadt in der Inneren Mongolei. Die Baotou Steel Rare Earth Group ist der unangefochtene Marktführer. Nur mit den Medien spricht man nicht so gerne. Weder bei der Stadtverwaltung noch beim Stahlwerk. Anrufe werden meist gar nicht beantwortet. Auch Telefonate mit dem Baotouer Forschungsinstitut für Seltene Erden bleiben fruchtlos. Man solle sich doch bitte an das Stahlwerk wenden, heißt es.

Dort schließlich die Auskunft: Nein, eine Nummer für eine Presseabteilung habe man nicht. Baotou lebt vom gigantischen Stahlwerk und den vielen kleineren Fabriken im Norden der Stadt, wo die Erze bearbeitet werden. Man wolle zum "Mutterschiff" der Seltenen-Erden-Produktion werden, heißt es zum Beispiel auf den Mauern der Fabrik Huamei. Doch wie in Baiyun zahlen auch die Menschen hier einen hohen Preis für Jahrzehnte des unbegrenzten Wachstums.

Ganz in der Nähe der vielen Industrieanlagen schießt alle paar Meter Abwasser aus langen Rohren in ein Absetzbecken. Weikuangba ist der wohl der größte Abwassersee der Welt, der sich über mehrere Quadratkilometer erstreckt und von einem hohen Damm eingefasst wird. 230 Millionen Kubikmeter giftige Abwässer sollen hier lagern, genug um 92.000 Schwimmbecken olympischen Ausmaßes zu füllen.

Im Sommer, wenn es hier viel regnet, fließt das Wasser aus dem Weikuangba laut Medienberichten in den nahegelegenen Gelben Fluss, eine wichtige Wasserader für ganz Nordchina. Das Wasser und der Klärschlamm im Weikuangba sind massiv mit Schwermetallen verseucht. Nach Angaben eines städtischen Beamten werden selbst schwach radioaktive Abfälle in den See eingeleitet. Denn bei der Extraktion der Seltenen Erden wird das Eisenerz mit hochgiftigen Säuren behandelt. Dabei wird unter anderem Thorium freigesetzt, ein radioaktives Element, erläutert Yan Chunhua, Chemiker und Spezialist für Seltene Erden an der Universität Peking.

"Die Minen im Norden Chinas enthalten außerdem extrem korrosive Fluoride. Bei der Extraktion der Seltenen Erden entstehen daraus giftige Fluorid-Gase. Dazu kommen die radioaktiven Elemente. Normalerweise sind sie für Menschen und Tiere harmlos. Aber wenn sie konzentriert auftreten, dann muss man sich überlegen wie man sie behandelt und lagert. Und dann kommt noch hinzu, dass die Säuren, die bei der Extraktion der Seltenen Erden eingesetzt werden zu einer starken Belastung mit Nitrogenen und Ammoniak führen, die wiederum die Qualität des Grundwassers beeinträchtigen können."

Zum Beispiel bei der Familie Ma, die nicht weit von dem riesigen Absetzbecken entfernt im Dörfchen Xinguang lebt. In der einfachen Küche wird Gemüse fürs Mittagessen gehackt. Einige hundert Familien wohnen noch in dem Dorf - insgesamt rund 1000 Menschen, viele andere sind bereits weggezogen. Den Staudamm des Absatzbeckens und die rauchenden Schlote von Baotou können sie von ihren Häusern aus sehen. Beim 52-jährigen Ma Bin leben vier Generationen unter einem Dach. Herr Ma und viele andere Dorfbewohner sagen, das verseuchte Wasser aus dem Absetzbecken ist in ihr Grundwasser eingedrungen. Das Trinkwasser, sagen sie, macht die Menschen krank.

"Früher haben wir noch gute Ernten gehabt. Aber dann kamen die vielen Fabriken, die Fabriken für die Seltenen Erden und die Chemiefabriken und haben das Land verschmutzt. Gemüse können wir nicht mehr anbauen, die Getreideernte wird immer schlechter. Auch die Menschen leiden. Leute wie ich habe weiche Knochen - wegen des hohen Anteils der Fluoride im Wasser. Das verursacht Knochenbrüche. Alle von uns, die seit 15 oder 20 Jahren hier leben, haben kaputte Knochen. Die junge Generation ist noch viel schlimmer dran."

Ihr Trinkwasser pumpen die Mas aus 50 Metern Tiefe. Das Stahlwerk hat die neuen Brunnen gebohrt, nachdem die alten zu verdreckt waren. Aber auch das Wasser, das aus 50 Meter Tiefe kommt, muss erst durch einen Filter laufen und dann abgekocht werden. Den Filter hat sich die Bauersfamilie für viel Geld selbst gekauft. Trotzdem ist das Wasser auch danach noch immer gelblich-braun und schmeckt leicht bitter.

"Eigentlich kann man hier nicht mehr leben. Aber die Regierung kümmert sich nicht um uns. Jedes Jahr hören wir, dass wir umziehen sollen. Als ich noch ein Kind war, wurde schon darüber gesprochen. Jetzt bin ich 52 und noch immer ist nichts passiert."

Ganz stimmt das nicht. Die Regierung hat neue Siedlungen für die Bauern errichtet und ihnen Entschädigungszahlungen angeboten. Doch über die Einzelheiten wird seit Jahren gestritten. Und die neuen sechsstöckigen weißen Apartmenthäuser mit ihren roten Dächern stehen alle leer. Nur ein paar Sicherheitsleute bewachen die leeren Straßen. Denn die Siedlung von vielleicht 100 Häusern steht in einem Niemandsland auf trocken-braunem Steppengras. Zur Stadt ist es weit, Jobs gebe es vor Ort nicht, sagt Herr Ma.

"Wovon sollen wir denn dort leben? Von den Entschädigungszahlungen bleibt ja kaum was übrig, wenn man die Wohnungen eingerichtet hat. Und Ackerflächen haben wir dort auch nicht. Wir können doch nicht dort leben und hier unser Land bestellen. Das ist doch völlig unrealistisch. Klar wollen wir hier weg, aber die Bedingungen, die uns die Regierung anbietet sind nicht fair und nicht akzeptabel. Daher können wir nur weiter abwarten."

Unterdessen betreibt die chinesische Regierung mit den Seltenen Erden knallharte Politik und verknappt unter Verweis auf notwendige Umweltschutzmaßnahmen in Regionen wie Baotou und Baiyun das Angebot der begehrten Rohstoffe. Erst Ende letzten Jahres hatte die Batou Steel Rare Earth Group einen einmonatigen Produktionsstopp verkündet - angeblich wegen Wartungsarbeiten. Zugleich wollte man damit Angebot und Nachfrage ausbalancieren, wie die Nachrichtenagentur Xinhua berichtete - also die Preise stabilisieren.

Denn im Zuge der schwächelnden Weltwirtschaft ist die Nachfrage nach Seltenen Erden in den letzten Monaten deutlich gesunken und die Preise sind eingebrochen, die im ersten Halbjahr 2011 noch ins Unendliche zu steigen schienen. China, das ja zu 97 Prozent den Weltmarkt versorgt, versucht den Preisverfall aufzuhalten - wird auch dieses Jahr die Exportquoten nicht erhöhen, um das Angebot weiter knapp zu halten. Offiziell begründet China die Quoten nicht mit Markt- und Preiskontrolle, sondern mit dem Umweltschutz, wie Vize-Außenminister Cui Tiankai sagt.

"Chinas Maßnahmen stimmen mit den globalen Anforderungen und dem Trend zu mehr Nachhaltigkeit überein. Wir brauchen mehr Nachhaltigkeit und müssen die Umwelt und die Ressourcen schützen."

Zugleich wächst die Konkurrenz. Denn eines ist klar: Auf China, als einzigen wichtigen Produzenten von Seltenen Erden wollen sich die Industriestaaten nicht mehr verlassen und haben angefangen nach Alternativen zu suchen. Lange Zeit gab es dafür keinen Grund. Die Umweltkosten galten als zu hoch und China produzierte ja konkurrenzlos billig. Doch in Zukunft werde die Industrie sich neu orientieren, sagt Rohstoffexperte Komesaroff:

"Neue Produzenten werden in einigen Jahren anfangen mit größeren Kapazitäten und besserem Management. Das wird Chinas Vormachtstellung untergraben. China wird nicht vom Markt gedrängt aber der Marktanteil von jetzt 97 Prozent könnte auf 50 Prozent zurückgehen."

Langfristig wäre das für die Menschen in der Region vielleicht sogar eine gute Nachricht. Denn der internationale Wettbewerbsdruck könnte China dazu bringen, seine Seltene-Erden-Industrie, die derzeit auf Kosten der Menschen produziert, tatsächlich zu modernisieren und zu regulieren. Nur mit den Folgen des jahrzehntelangen Raubbaus lässt man die Menschen bis heute allein.
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