Die Wahl, die keine ist

Von Bernd Musch-Borowska · 04.11.2010
Am kommenden Sonntag finden in Birma Parlamentswahlen statt. In den Augen der Regimegegner sind sie allerdings nichts als ein Mittel der Militärs, ihre Herrschaft legitimieren zu lassen. Einen fairen Wahlkampf gab es nicht.
Flugblätter und andere Publikationen der politischen Parteien und Kandidaten müssen, wie alle Drucksachen in Birma, von der Zensurbehörde genehmigt werden. Außerdem dürfe die Militärregierung nicht öffentlich kritisiert oder verunglimpft werden, sagt der Sprecher der birmanischen Exil-Regierung in Thailand, Zin Linn:

"Wir haben wohl den schlechtesten Wahlkampf auf der ganzen Welt. Die Parteien können nicht einfach ihre Wahlprogramme veröffentlichen. Zuerst müssen sie ihre Publikationen bei der Zensurbehörde anmelden. Diese Registrierung kostet schon 100 Dollar. Dann muss man noch eine Kaution von 500 Dollar hinterlegen, die als Strafzahlung einbehalten wird, wenn man gegen die Auflagen verstößt. Das können sich die meisten Oppositionsparteien gar nicht leisten."

Kritiker der Militärregierung und Oppositionelle im Exil halten den Urnengang am 7. November weder für frei noch für fair und schon gar nicht für demokratisch. Nach der umstrittenen neuen Verfassung sind ein Viertel aller Sitze im Parlament und wichtige Schlüsselpositionen in der künftigen Regierung für Militärs reserviert. Vor wenigen Wochen sind zahlreiche hochrangige Militärs von ihren Posten zurückgetreten, um nach der Wahl ein Amt in der zivilen Regierung zu übernehmen. Am Ende, so befürchten birmanische Oppositionelle, werde die sogenannte zivile Regierung der Union von Myanmar, wie Birma offiziell heißt, doch wieder in der Hand von Militärs sein.

Die bevorstehende Wahl gilt als wichtige Etappe in dem von den Militärs seit Jahren propagierten Fahrplan zur Demokratie. Während die westliche Staatenwelt in den vergangenen Jahren immer wieder auf schnellere demokratische Reformen gedrängt hat, haben die Generäle alles getan, um zu verhindern, dass bei der Wahl wieder so ein Ergebnis herauskommt wie 1990. Vor 20 Jahren hatte die NLD mit großer Mehrheit gewonnen, doch die Militärs erkannten das Wahlergebnis nicht an und annullierten es vor kurzem sogar offiziell. Diesmal dürfe den Militärs nichts schief gehen, sagt Win Hlaing, Mitglied des Exekutiv-Komitees der größten Oppositionspartei des Landes, der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), die bei der Wahl jedoch nicht antritt:

"Ohne starke Opposition im Parlament kann man keine Demokratie aufbauen. Die Militärregierung will erreichen, dass die Oppositionsparteien möglichst nicht im Parlament vertreten sein werden."

Die Nationale Liga für Demokratie hatte beschlossen, nicht an den Wahlen teilzunehmen, weil sie sonst ihre langjährige Vorsitzende, die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, hätte ausschließen müssen. Nach dem neuen Wahlgesetz darf keine politische Partei Mitglieder in ihren Reihen haben, die zu Gefängnisstrafen verurteilt worden sind. Bei der NLD trifft das auf den Großteil ihrer Mitglieder zu. Viele von ihnen sind seit Jahren in Haft. Aung San Suu Kyi hatte ihrer Partei deshalb nahe gelegt, lieber ganz auf die Teilnahme an dem umstrittenen Urnengang zu verzichten. Zin Linn, der Sprecher der Exil-Regierung, sagt, mit der Wahl werde die Militärdiktatur in Birma unter dem Deckmantel einer Scheindemokratie institutionalisiert:

"Mit dieser Abstimmung wird die Militärjunta eine legale Regierung. Sie wird aber ihre Politik nicht ändern. Die Menschenrechtsverletzungen werden weitergehen. Deshalb gibt es immer mehr Leute, vor allem Studenten und Mönche, die den Menschen auf dem Land erklären, was auf sie zukommt, und die zum Boykott aufrufen, trotz der Gefahr, die damit verbunden ist. Die Situation ist sehr kompliziert."

Seit Wochen gärt es in den zahlreichen Klöstern des Landes. Die Mönche haben wenig Hoffnung, dass sich nach der Wahl am 7. November die Lebenssituation der Menschen in Birma verbessern wird. Sie planen bereits den Aufstand.

In einem Kloster in Mandalay, dem Sitz des letzten Königs von Birma, finden seit Wochen regelmäßig Versammlungen statt, bei denen über die politische Lage gesprochen wird und Pläne geschmiedet werden für die Zeit nach der Wahl. Ein junger Mönch, der seinen Namen nicht genannt haben möchte, spricht schon jetzt von Wahlbetrug und einem neuen Aufstand der Mönche gegen das Regime:

"Die Generäle müssen abdanken. Wir brauchen dringend einen Wandel in Birma. Wenn der nicht kommt, dann werden wir eine neue Revolution beginnen."

Vor drei Jahren hatten die Mönche in Birma schon einmal Massenproteste gegen die Militärregierung angeführt. Ende September 2007 waren in Rangun und anderen Städten Hunderttausende auf die Straße gegangen und hatten demokratische Reformen verlangt. Die friedliche sogenannte Safran-Revolution war von den Militärs mit Waffengewalt niedergeschlagen worden. Hunderte Mönche wurden danach ins Gefängnis gesteckt, viele sind in den Untergrund gegangen oder ins Ausland geflohen.

Angefangen hatten die Proteste vor drei Jahren in der kleinen Stadt Pakoku. Dort waren die ersten Mönche durch die Straßen gezogen, um gegen die sich immer weiter verschlechternden Lebensbedingungen der Menschen zu protestieren. Zuvor hatte die Militärregierung die Benzinpreise von heute auf morgen verdoppelt, wodurch alle Versorgungsgüter drastisch verteuert wurden. Ein anderer Mönch aus dem Kloster in Mandalay erinnert sich noch genau an die Situation:

"An einem Morgen stand ich vor dem Haus einer Familie, um meine Schüssel Reis abzuholen. Aber niemand kam heraus. Ich rief 'Hallo, ist jemand zuhause?', aber nichts rührte sich. Dann kam eines der Kinder und sagte: 'Mönch, geh' nach Hause. Meine Eltern schämen sich, weil sie nicht genug Reis haben, um dir etwas abzugeben.'"

Viele Mönche in Birma wollen sich dem Wahlboykott-Aufruf der früheren Oppositionspartei Nationale Liga für Demokratie (NLD) anschließen:

"Ich werde nicht zur Wahl gehen. Ich habe mir das Wahlgesetz genau durch- gelesen, sogar mehrmals. Das ist doch kein faires Gesetz für alle Parteien. Damit soll nur die Macht der Militärs gesichert werden. General Than Shwe ist der große Marionettenspieler, der im Hintergrund die Strippen zieht."

Eine Splittergruppe der NLD, die Nationale Demokratische Kraft (NDF), hat sich hingegen für die Wahl registrieren lassen. Doch der Konflikt zwischen den sogenannten Pragmatikern, die sich für eine Teilnahme auch unter unfairen Bedingungen entschieden haben, und dem harten Kern der Opposition um Aung San Suu Kyi, hat zu einer Spaltung der einst größten und lange Zeit verbotenen Oppositionspartei geführt. Der Vorsitzende der Nationalen Demokratischen Kraft, Than Nyein, warnte vor zu großen Erwartungen. Es werde nicht leicht für die Opposition, sagte er, trotzdem sei es wichtig, den politischen Wandel so gut es gehe mitzugestalten:

"Wir können nicht darauf hoffen, dass es in Zukunft leichter wird. Wir können nicht mal davon ausgehen, dass der Ausgang der Wahl von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannt wird. Die Militärs werden die Mehrheit im Parlament haben, und mit dieser Mehrheit können sie bequem regieren, und es gibt keinen Grund für sie, den Menschen das Leben noch schwerer zu machen. Sie würden sich doch dann nur noch mehr vor der Weltöffentlichkeit bloßstellen."

Während die Oppositionsparteien kaum drei Monate Zeit hatten, ihre Kandidaten aufzustellen und den Wahlkampf zu organisieren, ziehen die Militärs schon seit Jahresbeginn durchs Land und machen Werbung für ihre Kandidaten. Vor kurzem wurde eine schon seit fast 20 Jahren bestehende Wohlfahrtsorganisation der Militärregierung, die sogenannte Union Solidarity and Development Association, kurz USDA, in eine politische Partei umgewandelt, die UNDP. Sie soll als Plattform der Militärs für den nötigen Rückhalt bei der Wahl sorgen.

Diese Umwidmung sei schon vor Jahren geplant worden, sagt die im thailändischen Exil lebende Aktivistin Khin Ohmar vom oppositionellen Forum für Demokratie in Birma:

"Schon im Jahr 2003 und später 2005 haben damalige Generalsekretäre der USDA angedeutet, dass die Organisation in eine politische Partei umgewandelt werden soll - mit dem Ziel, einen Sieg sicher zu stellen, wenn die Junta irgendwann Wahlen plant."

Ebenso wie die Militärregierung war auch die USDA straff hierarchisch organisiert. Die Führer der sogenannten Wohlfahrts-Organisation waren in der Regel hochrangige Mitglieder der Junta, die als Schirmherren für karitative Einrichtungen und soziale Zwecke auftraten. Wer sich weigerte, der USDA beizutreten, wurde bedroht und eingeschüchtert. Staatsbedienstete mussten Mitglied werden. Offiziell hat die Organisation rund 24 Millionen Mitglieder. Kritiker warfen der USDA immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen vor.

Es heißt, Mitglieder der Organisation hätten zu jenem Mob gehört, der im Mai 2003 einen Autokonvoi der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi überfallen hatte. Die Friedensnobelpreisträgerin war damals gerade mal ein Jahr aus ihrem zweiten langen Hausarrest entlassen worden. Der Überfall endete blutig, es gab Tote und Verletzte. Doch nicht die Angreifer wurden bestraft, sondern Aung San Suu Kyi und führende Mitglieder ihrer Partei. Seitdem war die inzwischen 63-jährige Ikone der Demokratie in Birma ununterbrochen unter Hausarrest oder im Gefängnis. Nyo Ohn Myint, der im Exil in Thailand lebende Chef des NLD-Komitees für ausländische Angelegenheiten, bezeichnet die USDA als den zivilen Arm der Militärs. Die Organisation habe überall im Land ihre Spitzel und Schlägertrupps, die Angst und Schrecken unter der Zivilbevölkerung verbreiteten:

"Das Regime benutzt die USDA als politisches Werkzeug. Ich würde diese Organisation als Miliz bezeichnen, denn sie hat das Recht zu töten und zuzuschlagen. Vor einigen Jahren waren einige eher moderate eingestellte USDA-Anführer ausgeschaltet wurden, unter ihnen auch ein früherer Minister für Erziehung, der nicht wollte, dass die USDA Killer-Kommandos einsetzt."

Im Shan-Staat im Nordosten des Landes, an der Grenze zu China, macht die sogenannte Shan-State-Army der dort lebenden ethnischen Minderheit bereits seit Monaten mobil, um die Interessen ihres Volkes durchzusetzen. Etwa ein Drittel der insgesamt 53 Millionen Staatsbürger Birmas sind Nicht-Birmaner, das heißt, sie gehören einer der vielen ethnischen Minderheiten an, deren Siedlungsgebiete in fast allen Grenzregionen des Landes liegen und als Staaten zur sogenannten Union von Myanmar gehören. Unter anderem die Kachin, ganz im Norden, die Shan im Nordosten, die Karen weiter im Süden an der Grenze zu Thailand und im Westen in direkter Nachbarschaft zu Bangladesch, die Rohingya. Schon seit der Machtübernahme der Militärs im Jahr 1962 haben die ethnischen Minderheiten das Regime bekämpft.

Allein die Shan-Armee hat nach eigenen Angaben mehr als 10.000 Kämpfer und kontrolliert fast die Hälfte des über 60.000 Quadratkilometer großen Staatsgebietes an der Grenze zu China. Ihr Kommandeur, General-Leutnant Yawd Serk, sagte bei einer Militärparade Anfang des Jahres, die Shan würden solange gegen die Regierung kämpfen, bis sie ihr Ziel eines unabhängigen Staates erreicht hätten:

"Wir kämpfen jetzt schon seit mehr als 50 Jahren für unser Land. Wir werden unseren Kampf fortsetzen, bis wir die Unabhängigkeit erreicht haben. Das ist unser Ziel."

Die ethnischen Minderheiten in Birma könnten bei der anstehenden Wahl eine entscheidende Rolle spielen. Die meisten Parteien der verschiedenen Völker Myanmars treten nur zu den Regionalwahlen in ihren Siedlungsgebieten an. Einige Vertreter der ethnischen Minderheiten im Exil lehnen die bevorstehenden Wahlen kategorisch ab. Danach werde alles nur noch schlimmer, befürchtet Zipporah Sein, die Generalsekretärin der Karen National Union:

"Wenn man mit den Menschen in den Grenzgebieten zu China, Indien, Bangladesch und Thailand spricht und sie fragt, was sie wollen, dann wird nur eines deutlich: Sie haben Angst vor weiterer Unterdrückung, vor Verfolgung und Gewalt gegen ihre Völker. Und nach der Wahl wird das noch viel schlimmer werden. Wir glauben nicht, dass diese Abstimmung zu Frieden, Demokratie und Stabilität in Birma führt. Stattdessen wird die Unterdrückung weitergehen. Nur die Wahrung der Menschenrechte und die Gleichheit aller ethnischen Gruppen werden dem Land Frieden und Stabilität bringen."

Nach dem Wahlgesetz wird in Regionen, in denen gekämpft wird, nicht gewählt. Und da es in fast allen Grenzgebieten, die von den Armeen der unbeugsamen Minderheiten kontrolliert werden, immer wieder zu heftigen Schießereien kommt, werden die ethnischen Minderheiten ihre Stimme voraussichtlich nicht abgeben können. Dies betreffe auch die Gebiete, in denen die Kandidaten der ethnischen Parteien mit Sicherheit gewinnen würden, sagt Zin Linn, der Sprecher der birmanischen Exil-Regierung in Bangkok:

"In fünf Staaten der ethnischen Minderheiten hat die Militärjunta die Wahl abgesagt, u.a. bei den Kachin, den Shan, den Kayin und den Kaya sowie bei den Mon. Zur Begründung hieß es, man könne dort keine freien und fairen Wahlen gewährleisten. Betroffen sind mehr als 3.000 Dörfer und insgesamt zwei Millionen Wähler. Eine Kachin-Partei, die Kachin State Progressive Party (KSPP), die sehr populär ist, hatte schon im April ihre Registrierung beantragt. Die Bearbeitung wurde immer wieder verschleppt, und am Ende war der Termin abgelaufen, und es war zu spät für die Registrierung."

Internationale Wahlbeobachter hat das Militärregime nicht zugelassen. Nach Schließung der Wahllokale am 7. November sollen die Stimmen öffentlich und unter Anwesenheit von Vertretern der Parteien ausgezählt werden. Doch eine echte Kontrolle sei gar nicht möglich, sagt Zin Linn, der Sprecher der birmanischen Exil-Regierung. Denn die Oppositionsparteien hätten gar nicht genug Leute, um überall bei der Stimmenauszählung präsent zu sein.
Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi in einem Tempel in Rangun in Myanmar im Jahr 2002
Aung San Suu Kyi im Jahr 2002© AP
Buddhistische Mönche protestieren in der Stadt Yangon in Myanmar.
Protest von Mönchen in der Stadt Yangon in Myanmar© AP
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