Die Vielfalt des Islam berücksichtigen

Riem Spielhaus im Gespräch mit Alexandra Mangel · 29.03.2011
Der Ruf nach einem islamischen Dachverband für die vielen muslimischen Organisationen wird der Pluralität im Islam nicht gerecht, sagt die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus. Muslime verschiedener Herkunft fühlten sich darin nicht repräsentiert.
Alexandra Mangel: Heute trifft sich in Berlin zum sechsten Mal die Deutsche Islam Konferenz. Geleitet wird sie vom neuen deutschen Innenminister Hans-Peter Friedrich, Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen sind vertreten. Von muslimischer Seite nehmen sechs verschiedene Dachverbände teil, außerdem zehn Einzelpersonen, zum Beispiel der Politologe Hamed Abdel Samad und die Journalistin Sineb El Masrar.

Ein zentrales Thema ist die Einführung eines islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen. Und was da an Fortschritt zu erwarten ist, darüber möchte ich jetzt mit der Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus sprechen. Sie forscht seit Jahren zur Integration muslimischer Migranten, derzeit an der Universität Kopenhagen, und sie hat diese Islamkonferenz mit vorbereitet, und zwar im Rahmen des Planspiels "Junge Islamkonferenz", wo 40 Abiturienten und Studenten mit und ohne Migrationshintergrund im Rollenspiel und zusammen mit Wissenschaftlern diese Islamkonferenz schon mal durchgespielt haben. Guten Morgen, Frau Spielhaus!

Riem Spielhaus: Guten Morgen!

Mangel: Weiß man denn schon, was die "Junge Islamkonferenz" zum Thema islamischer Religionsunterricht an deutschen Schulen empfiehlt?

Spielhaus: Die "Junge Islamkonferenz" wird heute ihre Empfehlungen vorstellen, eine der Teilnehmerinnen wird bei der richtigen, großen Deutschen Islamkonferenz dabei sein und diese Empfehlungen, die diese 40 Jugendlichen erarbeitet haben, vorstellen. Und sie haben sie recht geheim gehalten, deswegen will ich das hier auch nicht verraten. Aber was man sagen kann, ist, dass diese "Junge Islamkonferenz" mit einem unglaublichen Engagement und Pragmatismus an die Sachen herangegangen sind.

Und was im Mittelpunkt stand für diese Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund, Musliminnen und Nichtmusliminnen, Christen und so weiter, das war die Frage, wie kann man Zusammenleben gemeinsam gestalten. Und die Frage zum Beispiel, ob der Islam zu Deutschland gehört, fanden sie relativ überflüssig. Die schien einfach nicht bei der Klärung der wichtigen Fragen in den Nachbarschaften, in den Schulen zu helfen.

Mangel: Pragmatisch heißt auch, dass die Religion da gar keine so große Rolle spielte?

Spielhaus: Nein, es ging durchaus auch um Religion, denn das war ja auch eben die "Junge Islamkonferenz", und man hat sich schon genau damit beschäftigt, was sind eigentlich die Fragen, die auch Musliminnen und Muslime bewegen, was sind die Fragen, die auf den verschiedenen Ebenen, die lokalen Ebenen, im Dorf, in der Stadt, im Stadtbezirk, aber dann eben auch auf der nationalen Ebene der Bundesrepublik geklärt werden müssten, um Muslimen und Nichtmuslimen ein gutes Zusammenleben zu gewährleisten?

Mangel: Tatsächlich gibt es ja mittlerweile in einigen Bundesländern Schulversuche, zum Beispiel in NRW, in Niedersachsen und in Bayern. Die sind in jedem Land anders organisiert, die einen machen das bekenntnisorientiert, die anderen neutral, wissenschaftlich, Schulpolitik ist nun mal Ländersache. Sechs Bundesländer schicken heute Vertreter zu dieser Islamkonferenz. Wie bewerten Sie denn das bislang Erreichte?

Spielhaus: Nun, als die Islamkonferenz 2006 startete, war der Religionsunterricht, die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts nach Artikel sieben des Grundgesetzes eigentlich Konsens. Und man setzte sich dann zusammen und gab noch einmal 2008 ein, wie das Bundesinnenministerium fand, wegweisendes Papier für die Einführung des Religionsunterrichtes vor. Und jetzt stellt sich eigentlich 2011 die Frage, warum muss man darüber noch mal auf der Bundesebene sprechen, wenn doch die wirklich konkrete Einführung auf Länderebene besprochen werden muss?

Und dort sehen wir ja auch, dass es Fortschritte gibt, jedes Land macht das anders, aber jedes Land hat eben auch andere Voraussetzungen, auch in der Zusammensetzung der muslimischen Gemeinschaften begründet. Aber zum Beispiel unterscheidet sich auch ein Stadtstaat von so einem Flächenstaat wie NRW.

Mangel: Und darin würden Sie auch erst mal kein großes Problem sehen, dass das jedes Land anders organisiert?

Spielhaus: Nein. Ich denke, jedes Land muss hier eigene Strategien entwickeln. In Berlin ist sowieso alles ganz anders, da gibt es islamischen Religionsunterricht seit über zehn Jahren, in Hamburg wird man sicherlich ganz anders darangehen, da hat auch die SCHURA Hamburg, also die Vereinigung der meisten Moscheen in der Stadt, eine ganz andere Position und möchte eher einen interreligiösen Unterricht weiterhin anbieten. Also da gibt es wirklich sehr, sehr unterschiedliche Auffassungen auch von den muslimischen Playern im Feld und dann eben auch andere Voraussetzungen im Land. Und ich denke, das kann man nicht über einen bundespolitischen Kamm scheren.

Mangel: Aber als ein Riesenproblem der Islamkonferenz wird doch immer dargestellt, dass es keine islamische Religionsgemeinschaft in Deutschland gibt, die vom deutschen Staat anerkannt würde, und dass der Staat also sagt, ich habe hier ein Gegenüber, mit dem ich Vereinbarungen treffen kann. Und nach einer solchen Anerkennung sieht es ja heute weniger aus als noch vor fünf Jahren, denn zwei von vier großen Muslimverbänden – der Islamrat und der Zentralrat der Muslime – sind gar nicht mehr in der Islamkonferenz vertreten.

Spielhaus: Jein, muss man da sagen. Also wieder: Auch die Anerkennung der Religionsgemeinschaften ist Ländersache. Also eigentlich sind die konkreten Punkte der Islampolitik als Religionspolitik Ländersache, und das heißt, auch hier können die Länder ganz unterschiedlich entscheiden. Und die Frage, ob nun die Voraussetzung für die Anerkennung als Religionsgemeinschaft die Gründung eines gemeinsamen Dachverbandes ist, ist eigentlich auch umstritten. Also es gibt da verschiedenste Strategien, und eine davon wäre, mehrere Religionsgemeinschaften islamischen Glaubens anzuerkennen. Und den Weg gehen auch wohl einige Länder, also daran denken einige Länder.

Die andere Frage ist, die weiterhin auch diskutiert wird: Braucht man wirklich eine Religionsgemeinschaft als Ansprechpartner für den Religionsunterricht? Und hier gibt es auch verschiedene Auffassungen und möglicherweise wird es da auch verschiedene Wege geben.

Mangel: Was wäre Ihre Meinung?

Spielhaus: Ich kenne das vor allem aus dem Berliner Beispiel, und hier zeigt sich, dass eine Kommunikation zwischen Verwaltung – also der Berliner Regierung, dem Berliner Senat – und muslimischen Gemeinschaften durchaus auch in der Pluralität möglich ist. Also wir haben die Frage: Muss sich gerade auch mit dem Gegenüber des Islam hier auch was in der religionspolitischen Herangehensweise ändern?

Mangel: Wir sprechen im "Radiofeuilleton" mit der Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus über die heutige sechste Deutsche Islam Konferenz. Der Islamunterricht an deutschen Schulen wird dort ein wichtiges Thema sein. Frau Spielhaus, Sie haben es gerade gesagt, die Frage, ob sich da etwas in der Grundausrichtung auch ändern sollte. – Ist dieses Ziel der einen islamischen Religionsgemeinschaft, auf die sich alles ausrichtet, sollte man, müsste man da eigentlich grundsätzlich die Richtung korrigieren?

Spielhaus: Das, muss ich sagen, scheint mir so. Denn es wird auch wichtig sein, die Vielfalt im Islam, unter den Muslimen auch zu berücksichtigen. Das fordern viele Muslime immer wieder ein und mit Nachdruck. Das ist sowohl die Frage von unterschiedlichen religiösen Ausrichtungen innerhalb des Islams, Schiiten, Sunniten, das kennen sicherlich die meisten, aber dann gibt es dort auch noch viele Unterschiede, es gibt Sufi-Richtungen et cetera. Das heißt, die wollen berücksichtigt werden. Die unterschiedlichen nationalen und sprachlichen Herkünfte möchten repräsentiert sein und sich nicht verlieren in einer Gemeinschaft oder einer Organisation, die dann möglicherweise gerade auch von der Mehrheit, nämlich den türkischen, dominiert werden würde.

Also, hier gibt es eine ganze Reihe von internen Fragen, die zu berücksichtigen sind. Und dann gibt es natürlich auch noch die vielen Musliminnen und Muslime, die eben nicht vor allem die Religion im Mittelpunkt ihrer Identität und ihres Lebensalltags sehen, die sich auch immer mehr und immer stärker zu Wort melden und berücksichtigt werden wollen, denn sie werden mit angesprochen in der derzeitigen Debatte, die so ein Stück weit eine Islamisierung der Integrationsdebatte zeigt.

Das heißt, alle Menschen mit einem Hintergrund, der möglicherweise muslimisch sein könnte, werden als Muslime angesprochen, und wir sehen ganz starke Reaktionen darauf.

Mangel: Also das heißt, dass die Kategorie Muslim immer stärker religiös definiert wird und schon allein dadurch eine Ausgrenzung stattfindet?

Spielhaus: Muslim ist ja erst einmal eine religiöse Kategorie. Also wenn Sie über Muslime sprechen, sprechen Sie ja in der Regel, erst einmal ist der Gedanke, dass Sie über Anhänger des Islam sprechen. Und so würden sich ja viele Muslime auch selbst definieren.

Aber in den letzten Jahren, vor allem in den letzten fünf Jahren hat es in der Diskussion so eine Verschiebung gegeben. Also wir sprechen jetzt nicht mehr über Ethnizität, wir sprechen weniger über Türken und Araber, sondern wir sprechen stärker in der medialen und politischen Debatte über Muslime. Und sprechen damit aber Bosniaken, Türken, Araber et cetera gemeinsam an. Und das hat wirklich auch große Identitätsverschiebungen unter den Angesprochenen verursacht.

Mangel: Wie könnte man es anders, wie könnte man es besser machen?

Spielhaus: Das ist momentan gar nicht so einfach. Denn wir haben diese Verwebung, diese Verschränkung der verschiedenen Debatten. Also die Ausländerdebatte und die Integrationsdebatte sind ganz eng mittlerweile verwoben mit der Islamdebatte in Deutschland.

Das heißt, wenn wir über Migranten, wenn wir sehen, dass über Migranten gesprochen wird, wird meistens über Muslime gesprochen und umgekehrt. Dabei sind nicht die meisten Migranten oder Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland Muslime oder auch nicht muslimischer Herkunft. Das wird häufig angenommen, weil die Debatte so ausgerichtet ist, ist aber nicht der Fall.

Und auch nicht alle Muslime sind Migranten, also es gibt eine ganze Zahl von Konvertiten und deren Kindern mittlerweile, die in Deutschland leben. Wir müssten also im Prinzip unseren Blick schärfen und klarer trennen, wann geht es um religiöse Fragen, wann geht es um Integration und Migration. Und das zu trennen, und das, im Moment in der Islamkonferenz ist das nicht der Fall, und das finde ich auch ein Problem, ehrlich gesagt.

Mangel: Die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus von der Universität Kopenhagen über die sechste Deutsche Islam Konferenz, die heute in Berlin zusammenkommt. Danke schön fürs Gespräch, Frau Spielhaus!

Spielhaus: Danke sehr!
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