"Die Vermessung der Welt"

Von Christian Berndt · 21.10.2012
Daniel Kehlmanns "Die Vermessung der Welt" ist einer der erfolgreichsten deutschen Romane der vergangenen Jahre. Jetzt kommt der Bestseller über das Leben von zwei legendären Wissenschaftlern des 19. Jahrhunderts ins Kino - verfilmt von Komödienspezialist Detlev Buck.
Es beginnt mit einer Begegnung zweier älterer Herren, die wohl gegensätzlicher kaum sein könnten: Alexander von Humboldt hat Südamerika bereist und erforscht und ist damit weltberühmt geworden. Carl Friedrich Gauß dagegen ist kaum aus Göttingen hinausgekommen, hat aber die Mathematik revolutioniert und ist bereits eine Legende. Das Treffen der beiden im Jahre 1828 ist historisch verbürgt, den Ablauf hat Daniel Kehlmann in seiner Roman-Doppelbiografie über die beiden Naturwissenschaftler allerdings frei erfunden. "Die Vermessung der Welt" lässt mit dem Idealisten Humboldt und dem skeptischen Gauß zwei Welten aufeinanderprallen:

"Ach, das Leben ist schrecklich. – Man kann es verbessern. – Wer kann das? – Wir können das, Herr Gauß, wir. – Ich möchte das gar nicht."

Humboldt ist ein idealistischer preußischer Adliger, der sein Vermögen aufgebraucht hat, um die Welt zu erforschen. Er ist geprägt von den Ideen der Aufklärung, in Südamerika kauft er Sklaven frei. Gleichzeitig ist er ein verklemmter, stets Uniform tragender Pedant, der seine homosexuellen Neigungen unterdrückt und mit den akribischen, teils absurden wissenschaftlichen Untersuchungen seinen französischen Begleiter zum Wahnsinn treibt.

Wie hier in einer von Daniel Kehlmann gelesenen Passage:

"Häufig kamen Frauen zu Besuch. Humboldt zählte die Läuse in ihren geflochtenen Haaren. Bonpland litt unter ihrer Schönheit, er fragte, wozu eine Statistik über Läuse gut sei. Man wolle wissen, sagte Humboldt, weil man wissen wolle. Noch nie habe jemand das Vorkommen dieser bemerkenswert widerstandsfähigen Tiere auf den Köpfen der Bewohner der Äquinoktialgegenden untersucht."

In Humboldts Wissenschaftsgläubigkeit zeigen sich bereits inhumane Züge, etwa wenn er Krokodile und Hunde zusammensperrt, um das Jagdverhalten der Reptilien zu erforschen – auch in solchen Stellen finden sich Bezüge zum 20. Jahrhundert. Ambivalent gezeichnet ist auch Gauß, den seine Skepsis zum mürrischen Misanthropen werden lässt, der aber im Gegensatz zu Humboldt kein Kostverächter und in den Bordellen Göttingens bestens bekannt ist.

In knappen, pointierten Beschreibungen hält Kehlmann ironisch, aber respektvoll Distanz zu den Figuren, gleichzeitig erfährt man viel über wissenschaftliche Diskussionen jener Zeit, und geschickt wird die politische Situation - auch der aufkommende Nationalismus - im Vormärz ins Geschehen verwoben. Aber der lakonische Ton nimmt der Historie die Schwere und macht sie zur Komödie – wenn zum Beispiel Humboldt von seiner ernüchternden Begegnung mit Napoleon erzählt:

"Bei seiner einzigen Audienz, erzählte Humboldt, habe der Kaiser ihn gefragt, ob er Pflanzen sammle. Er habe bejaht, der Kaiser habe gesagt, ganz wie seine Frau und sich brüsk abgewandt."

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