Die Urenkelin

Von Uwe Friedrich · 25.07.2007
Die Bayreuther Festspiele beginnen mit der Premiere von Richard Wagners "Meistersinger von Nürnberg" unter der Regie von Katharina Wagner. Auf der Urenkelin des Komponisten Richard Wagner lastet ein enormer Druck.
Vor der diesjährigen Festspielpremiere fand eine beispiellose Charmeoffensive am Bayreuther Grünen Hügel statt. Interview mit Katharina Wagner? Gar kein Problem, es muss nur ein Termin gefunden werden, und das ist nicht einfach. Denn Katharina Wagner gab vor der "Meistersinger"-Premiere viele Interviews. Für Zeitungen und Zeitschriften, Hörfunk und Fernsehen. Fototermine häufen sich und, ach ja, die Endproben zu den "Meistersingern von Nürnberg" fanden zwischendurch auch noch statt. Ein enormer Druck lastete auf der Urenkelin von Richard Wagner, und so bemühte sie sich, die Fragen nach der Inszenierung und die Diskussion um die Wolfgang-Nachfolge zu entkoppeln.

Wagner: "Schauen Sie, das hat nichts mit der Inszenierung zu tun. Ein guter Festspielleiter muss nicht automatisch ein guter Regisseur sein. Das ist schön, wenn es so ist, aber nicht zwingend notwendig."

Katharina Wagner steht für einen neuen Stil in Bayreuth. Früher waren die Proben vollkommen tabu. Niemand außer den unmittelbar Beteiligten durfte zuschauen, schon gar keine Presse. Doch in diesem Jahr war alles anders. Denn es könnte das entscheidende Jahr sein für Katharina Wagner. Schon seit Jahren arbeitet ihr Vater, der Wagnerenkel Wolfgang, zielstrebig daran, seine Tochter aus zweiter Ehe zu seiner Nachfolgerin zu machen. Parallelen zu Großvater Richard Wagners "Ring des Nibelungen" drängen sich geradezu auf. Ebenso wie Göttervater Wotan einst die Wunschmaid Brünnhilde zeugte, um die eigenen Ziele zu verfolgen, hatte der Festspielpatriarch Wolfgang Wagner von Anfang fest im Blick, Katharina als Stellvertreterin Richards auf Erden zu installieren. Bei den Wagners herrscht starkes dynastisches Denken. Doch Wolfgang hat aus Wotans Scheitern gelernt. Bei der künstlerischen Arbeit lässt er seiner Wunschmaid Katharina völlig freie Hand.

Wagner: "Wenn ich eine Frage habe, komme ich auf ihn zu. Aber er ist sehr vorsichtig, was Einmischung angeht, weil er immer sagt, er will nicht den Eindruck erwecken, dass er mich bevormundet."

Groß, schlank, die Haare blond gefärbt, die Augenbrauen minutiös gezupft, dazu mit einem losen Mundwerk begabt, so tritt Katharina den Journalisten gegenüber und beantwortet freundlich fast jede Frage. Noch dazu ist sie mit 29 Jahren geradezu unschlagbar jung und vereint so einige wichtige Schlüsselreize für die Mediengesellschaft. Derzeit ist sie die Favoritin im Rennen um die Hügelherrschaft. Natürlich gehört die großangelegte Presseeinladung zu Proben und Interviews zur geschickt geplanten PR-Kampagne.

Das große Ziel: Der Stiftungsrat soll im September gar nicht anders können als ihr die Festspielleitung anzutragen. Seht her, so sollen wir Journalisten verbreiten, so nett, so klug, so pfiffig ist die Junge, und tatsächlich ist der erste Eindruck überzeugend. Die entscheidende Frage ist jedoch nicht, ob sie sympathisch ist, sondern ob sie auch das Zeug dazu hat, das einzige international bedeutende Opernfestival Deutschlands zu leiten. Dass sie sich den Posten zutraut, ist klar. Aber sie will ihn nicht um jeden Preis.

Wagner: "Wenn die Bedingungen stimmen. Ich meine, es gibt ja dann vier neue Gesellschafter, wie sie wissen, die ja auch gewisse Anforderungen an den neuen Geschäftsführer, und ob die gegenseitigen Erwartungshaltungen stimmen, das müsste man erstmal überprüfen. Es ändert sich einfach die ganze Konstellation, dadurch gibt es natürlich gewisse Erwartungshaltungen auch von den neuen Gesellschaftern."

Katharina Wagner durfte im Familienbetrieb Festspielhaus schon früh bei berühmten Regisseuren assistieren. Die Gesetze des Theaterbetriebs mit komplizierten Probenplänen, merkwürdigen Arbeitszeiten und rigiden Gewerkschaften kennt sie also genau. Nach dem Abitur hat sie die oberfränkische Idylle in Bayreuth verlassen und zog nach Berlin. Hier wohnte sie übrigens in der Richard-Wagner-Straße 1. Momentan sucht sie jedoch eine neue Bleibe, wahrscheinlich in Schlachtensee, wo schon Barenboim und Rattle wohnen. In Berlin hat sie Theaterwissenschaft studiert, beherrscht also auch den wissenschaftlich-theoretischen Jargon. Das kann kein Fehler sein, ist aber auch nicht allzu schwer. Ob sie selber inszenieren kann, ist schon nicht mehr so einfach zu beurteilen. Viermal hat sie seit 2002 Regie geführt, mit durchaus unterschiedlichem Erfolg. Natürlich kriegte die Anfängerin den "fliegenden Holländer" in Würzburg, "Lohengrin" in Budapest, Lortzings "Waffenschmied" am Münchner Gärtnerplatztheater und Puccinis "Trittico" an der Deutschen Oper Berlin nur aufgrund ihrer Herkunft.

Wer ihr daraus freilich einen Vorwurf machen will, der müsste erstmal nachweisen, dass er selber diese Chance nicht ergriffen hätte. Die Kritiken waren gemischt. Zu "Holländer" und "Lohengrin" durchaus wohlwollend, zu "Waffenschmied" und "Trittico" eher vernichtend. Es steht also zwei zu zwei unentschieden. Wenn die Bayreuther "Meistersinger" ein Erfolg werden, ist die Sache wohl so gut wie geritzt. Aber das Risiko ist hoch, die "Meistersinger"-Oper ist Wagners einzige Komödie und wohl sein am schwierigsten zu inszenierendes Werk. Komische Opern sind immer ein Problem, hier kommt noch ein gerüttelt Maß an Deutschtümelei hinzu. Als im Zweiten Weltkrieg die anderen Theater bereits geschlossen waren, wurden in Bayreuth noch immer die "Meistersinger" gespielt. Diese historische Bürde ist Katharina Wagner sehr bewusst.

Wagner: "Ich denke schon, dass man gerade an dem Ort hier, was auch die Rezeptionsgeschichte angeht, die ja sehr problematisch ist, und gerade diese Schlussansprache ist hier gerade an dem Ort sehr problematisch, ich glaube schon, dass man damit umgehen muss."

Urgroßmutter Cosima hat zwar selber inszeniert, die hauptberufliche Komponistenwitwe und erste künstlerische Leiterin nach dem Tod ihres Meisters, doch Großmutter Winifred, die überzeugte Nationalsozialistin, ist ein Beispiel dafür, dass eine geschickte Festspielleiterin diese Aufgabe auch erfolgreich delegieren kann. Heute hat wohl Mutter Gudrun im Hintergrund schon lange die Fäden in der Hand, der greise Vater Wolfgang soll nur noch der Form halber als Festspielleiter firmieren.

Frauen haben also eine Tradition als Herrinnen des Hügels. Die schärfsten Konkurrentinnen Katharinas sind denn auch zwei Frauen. Cousine Nike, Tochter des früh verstorbenen Wieland Wagner und Halbschwester Eva aus Wolfgangs erster Ehe. Beide sind 62 Jahre alt, mit beiden hat Katharina angeblich noch nie ein Wort gewechselt. Die Anspannung dürfte bei den drei Kandidatinnen zur heutigen Festspielpremiere noch mal gehörig angestiegen sein. Denn wenn Katharinas "Meistersinger"-Inszenierung auch nur akzeptabel ist, wird ihr Vorsprung von den anderen kaum noch einzuholen sein. Entpuppen sich die "Meistersinger" als Katastrophe, so ist das Rennen allerdings wieder offen. Was die Publikumsreaktion betrifft, macht sich Katharina Wagner jedenfalls keine Illusionen.

Wagner: "Es ist nicht schön, wenn man ausgebuht wird, aber da das bisher bei jeder Inszenierung von mir so war, würde es mich sehr erstaunen, wenn das Gegenteil passieren würde."