Die unterschätzte Droge

Von Joachen Paulus · 14.09.2013
Elvis Presley war danach süchtig, Elizabeth Taylor und auch Rapper Eminem. Das Beruhigungsmittel Valium gilt zwar als Suchtstoff für Hausfrauen, aber viele Prominente sind ihm ebenfalls verfallen. Dabei kann das Medikament auch positiv wirken.
Als Chefarzt der Abteilung Suchtmedizin der Klinik Lippstadt sieht Rüdiger Holzbach zahllose Patienten, die schwer von Benzodiazepinen abhängig sind. Der bekannteste Vertreter dieser scheinbar harmlosen Beruhigungsmittel ist das Valium. Doch selbst angesichts der Schicksale von Menschen auf seiner Spezialstation vergisst der Mediziner nicht, wie hilfreich die Stoffe sein können.

"Die Psychiatrie hat sich durch die Benzodiazepine in den letzten 50 Jahren unter anderem auch dadurch gewandelt, dass wir vielen Leuten schneller helfen können, aus Krisen, sei es schwere Verlustsituation, schwere Depression, Angstzustände, Suizidalität, rausholen können, wo Patienten früher einfach länger gelitten haben bis psychotherapeutisch oder andere pharmakologische Strategien geholfen haben. Also, Benzodiazepine sind segensreich, in der Behandlung von Krisensituationen unverzichtbar und Gott sei Dank gibt es sie."

Valium verdrängte Meprobamat und Barbiturate
Valium kam vor 50 Jahren auf den Markt. Der Chemiker Leo Sternbach entwickelte es ebenso wie den Vorläufer Librium für den Schweizer Pharmakonzern Hoffmann-La Roche. Es sollte dem Meprobamat Konkurrenz machen. Dieser Angstlöser war einige Jahre zuvor eingeführt worden. Er war in Hollywood zur Modepille avanciert und auch sonst ein riesiger Verkaufserfolg.

Doch die Benzodiazepine verdrängten Meprobamat schnell, ebenso die noch älteren Barbiturate - suchterzeugende Schlafmittel, die als Suizidmedikamente berüchtigt waren. Hans-Jürgen Möller, lange Professor für Psychiatrie an der Universität München, beschreibt den Siegeszug der neuen Mittel so:

"Die Benzodiazepine haben dann eigentlich diesen alten Präparaten, insbesondere den ganz alten, völlig das Wasser abgegraben, weil sie eben sehr leicht zu handhabende Medikamente sind. Weil sie keine großen Gefahren der Überdosierung haben, insbesondere nicht der tödlichen Überdosierung."

Die Pharma-Hersteller brachten immer neue Benzodiazepine heraus. Die Ärzte verordneten sie in rauen Mengen. Mitte der 80er-Jahre verschrieben Deutschlands Hausärzte und Internisten jedem dritten Patienten ein Benzodiazepin. Den Patienten war es recht.

"Benzodiazepine werden gern genommen von den Patienten, die sie brauchen oder die sie kennengelernt haben, weil sie eben insgesamt sehr angenehm sind in ihrem Wirkungsprofil. Also angstlösend, ein bisschen sedierend, je nach Art des Medikamentes Schlaf anstoßend."

Tabletten als Alltagshelfer
Beruhigungsmittel wurden zu Alltagsmedikamenten, ein paar Fragen des Arztes, ein paar Klagen des Patienten, schon gab es ein Benzodiazepin-Rezept. So erging es auch einer von Rüdiger Holzbachs Patientinnen:

"Ich war damals ziemlich ängstlich, hatte Angstzustände. An Müdigkeit litt ich, also Schlappheit damals, das Wort Depression habe ich noch nie gehört gehabt vorher. Und die Tabletten halfen mir, meinen Alltag mit den drei Kindern zu meistern."

Sie nahm die Mittel dreißig Jahre lang, bevor sie in der Klinik landete. Weil sie bis zu fünf Tabletten am Tag schluckte, ließ sie sich die Mittel von mehreren Ärzten verschreiben, die nichts voneinander wissen durften.

"Ja, ich habe schon auch eine Therapie gemacht. Annähernd fast 50 Entgiftungen, ich habe irgendwann aufgehört zu zählen."

So extrem verläuft die Abhängigkeit von Valium und seinen Verwandten selten. Doch etwa eine Million Deutsche sind gegenwärtig von ihnen abhängig, die meisten Frauen.
Die Pharmaindustrie reagierte auf ihre Weise auf die Suchtgefahr. In den 80er-Jahren brachte sie neue Substanzen heraus, um die Benzodiazepine zumindest als Schlafmittel zu ersetzen. Weil ihre Namen alle mit Z beginnen, werden sie als Z-Substanzen bezeichnet. Sie sollten nicht abhängig machen. Doch das bezweifelte Klinik-Chef Rüdiger Holzbach von Anfang an:

"Das ist auch einer der großen Irrtümer und da kann man sicherlich der Pharmaindustrie auch einen Vorwurf machen. Als die damals eingeführt worden sind, haben die mit einem großen Aufwand alle Ärzte besucht und gesagt, jetzt haben wir ganz tolle neue Schlafmittel, das sind keine Benzodiazepine, die wirken viel kürzer als diese und die machen nicht abhängig. Alle, die sich damals mit diesem Thema ausgekannt haben, haben gesagt, die werden abhängig machen, so wie die wirken."

Diese Befürchtung bestätigte sich. Denn die Z-Substanzen setzen an der gleichen Stelle im Gehirn an wie die Benzodiazepine. Doch selbst wenn ein Angstmedikament auf ganz anderen Wegen wirken würde, würde es wohl abhängig machen - einfach, weil die Patienten es als Erlösung empfinden, wenn die Angst plötzlich schwindet. Viele Experten sehen es wie der Münchner Psychiatrieprofessor Hans-Jürgen Möller:

"Allein durch dieses Wirkprofil hat man per se Substanzen, die wahrscheinlich ein gewisses Abhängigkeitsrisiko haben. Das kann man wahrscheinlich nicht vermeiden."

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