Die Unbedingtheit der Liebe

02.10.2007
Katja Lange-Müller zeigt in ihrem Roman "Böse Schafe", dass Vernunft nicht einkehren kann, wenn Liebe herrscht: Soja flieht Mitte der 80er Jahre von Ost- nach West-Berlin, trifft irgendwann auf Harry und kann nicht anders, als ihn zu lieben. Doch die Liebe ist tragisch: Harry ist ein aidskranker Junkie und lässt sie nur zögerlich an sich heran.
Dieser Sound! Das macht Katja Lange-Müller niemand nach. Vom ersten bis zum letzten Satz ist diese Rhapsodie im Präsens eine nachgetragene Liebesgeschichte. Und wie viele Liebesgeschichten endet sie traurig, entsetzlich traurig. Wie oft, wenn etwas traurig ist, kann man auch ein bisschen lachen. Lachen über Soja, diese wunderbare Göre, die robust, hingebungsvoll und unerschrocken ist. Soja ist Mitte der achtziger Jahre von Ost-Berlin nach West-Berlin getürmt, hat herumgejobbt und ist durch die Tag- und Nachtstadt Berlin getaumelt. Dann trifft sie Harry. "Harry", wird sie Jahre später sagen, "Harry, Du warst einfach anbetungswürdig". Katja Lange-Müller, die unerbittliche Stilistin, die ihre Sätze formt wie Komponisten die Sätze einer Partitur, liebt die Pflanzen (Soja verkauft Blumen) und die Tiere (Soja hat eine Ratte, die "Friede" heißt). Und die Menschen.

"Böse Schafe" ist ein melancholischer Roman über zwei Menschen, die aus der Welt geflogen sind, Soja aus ihrem Ostleben und Harry aus einem Westleben. Soja will ihn mit der ganzen Verve ihrer unerbittlich großzügigen Person erobern, aber Harry zögert, er kommt mit Benno in ihre Bude, irgendetwas hindert ihn, Soja ganz in seine Nähe zu lassen. Es dauert eine Weile, bis sie kapiert, dass Harry, der Mann mit der "stolzen Eisbärmiene", ein entlassener Knastbruder und ein leider nicht mehr zu rettender aidskranker Junkie ist.

Soja will das nicht wahrhaben, sie kämpft, steckt ihm Geld zu und ihren Bademantel und noch viel mehr. Sie sucht ihm eine Wohnung, damit er einen festen Wohnsitz hat, läuft nachts durchs Schneegestöber, weil sie sich Sorgen macht. Soja hofft und bangt und liebt und liebt und fragt nicht. Erst Jahre nach seinem Tod bringt sie es fertig, Harrys Schulheft und die undatierten Einträge darin zu lesen. Soja findet darin einen Spruch von Konfuzius, Hinweise auf andere Frauen und kein Sterbenswörtchen über sich selbst.

"Böse Schafe" ist ein Bekenntnis zur Unbedingtheit der Liebe, ein Buch über das Berlin der achtziger Jahre, den Fall der Mauer und ein Buch über die Sucht, die stärker ist als jeder Versuch, die Vernunft einzusetzen.

Wer die Bücher der 1951 geborenen Katja Lange-Müller von ihrem 1988 erschienenen Roman "Kasper Mauser - Die Feigheit vorm Feind" bis zu "Die Enten, die Frauen und die Wahrheit" (2003) kennt, wird vieles vertraut sein, aber doch ist es diesmal anders. Eine in uneingeschränkter Offenheit erzählte Liebesgeschichte, eine solch hinreißende Selbstentblößung ist Katja Lange-Müller in "Böse Schafe" zum ersten Mal gelungen.

Rezensiert von Verena Auffermann

Katja Lange-Müller: Böse Schafe
Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007
204 Seiten. 16,90 Euro.