Die traditionelle Lebensart

Von Vanja Budde · 12.02.2013
Die Berlinale zeigt zwei Dutzend Kurz- und Spielfilme von amerikanischen Indianern, Inuit und australischen Aborigines. Bei der Auswahl wurden die Kuratoren des Festivals von indigenen Beratern unterstützt. Einer von ihnen ist Bird Runningwater aus den USA.
In der Golden Bear Lounge des Berlinale-Sponsors BMW treffen sich allerlei Stars und Sternchen zum Champagnerschlürfen. Unter all den schwarzen Anzügen und Kleidchen fällt Bird Runningwater mit silberner Daunenjacke und Riesensonnenbrille aus dem Rahmen.

Der große, schlanke 42-Jährige wirkt mit seinem flippigen Kurzhaarschnitt wie der ältere Bruder der Maori-Boyband JGeek, auf die er steht.

Die Band hat Bird Runningwater in Neuseeland kennengelernt. Dass er in ferne Länder reisen und dort eingeborene Filmemacher und ihre Werke fördern kann, das ist das Beste an seinem Job, meint er:

"In den Vereinigten Staaten haben wir ein Milliarden Dollar schweres Studiosystem, das einen Film nach dem anderen auf den Markt wirft. Die amerikanischen Ureinwohner haben an Hollywood so gut wie keinen Anteil. Und da setzt die Arbeit des Sundance Institutes an: Wir arbeiten außerhalb des Studiosystems, mit unabhängigen Filmen."

Als Kind war Bird Runningwater viel unterwegs: Seine Mutter ist eine Cheyenne, sein Vater ein Mescalero Apache aus New Mexiko.

"Ich wurde auf dem Land der Vorfahren meines Vaters geboren, aber als ich aufwuchs, pendelte ich zwischen meinen beiden Stämmen: der meiner Mutter lebt in Oklahoma. Ich wanderte also immer hin und her zwischen zwei Sprachen, zwei Stämmen und zwei Kulturen - und lebte ebenso mit der amerikanischen Kultur."

Seine Eltern lernten sich in einem Internat für Indianerkinder aus allen Stämmen der USA kennen, erzählt Runningwater, während er entspannt im Cappuccino rührt und amüsiert das Gedränge in der Berlinale-Lounge betrachtet. Seine eigene Kindheit und die seines Bruders beschreibt er als idyllisch und behütet.

"Das Apachenreservat, in dem ich aufwuchs , war sehr überschaubar. Es gab nur ungefähr 2 000 von uns, eine sehr kleine Gemeinschaft, übers gesamte Reservat verstreut. Es war ein sehr spezieller Ort für uns Kinder, ich habe nur tolle Erinnerungen an die Schönheit dieser sehr abgelegenen Gegend, die aber kulturell sehr inspirierend war: Alle sprachen Apache, alle nahmen an Zeremonien und Tänzen teil. Jeden Tag nach der Schule sattelte ich mein Pferd und ritt los, die Straße runter, besuchte Tanten und Onkel und führte großartige Gespräche. Ich glaube, heut zutage machen die Kids das nicht mehr so viel."

Das waren die 70er-Jahre. Als Bird Runningwater in der Grundschule war, begann ein neues Leben.

"Ich erinnere mich, wie Satellitenfernsehen und der Videorekorder Einzug in unsere Gemeinschaft hielten: Das änderte alles. Die Kinder in meinem Alter waren von Stund an viel mehr daran interessiert, was im Fernsehen lief und welche Kassetten man abspielen konnte, als mit den alten Leuten herumzusitzen, wie früher, Geschichten zu hören und die traditionelle Lebensart zu lernen. "

Das war eine große Veränderung, ganz besonders für meine Generation. Ich glaube, das hat mich auch dahin gebracht, mit Medien zu arbeiten. Ich habe nicht viel Fernsehen geguckt, aber ich war gleichzeitig total fasziniert davon."

Weil er schon immer gern geschrieben hat, belegt Bird Runningwater an der Universität von Oklahoma Journalismus. In New York arbeitet er für die Ford Foundation, eine Stiftung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Demokratie zu verbreiten, die Armut zu reduzieren und die internationale Verständigung zu vertiefen. Dort macht er eine erstaunliche Entdeckung.

""Hochgebildete Leute, die auf den Topschulen gewesen waren und jede Menge Abschlüsse hatten von Harvard und anderen Eliteuniversitäten. Aber die meisten hatten noch nie einen amerikanischen Ureinwohner getroffen und gaben zu, dass sie rein gar nichts über uns wussten. Ich gab ihnen zu verstehen, dass ihr Bildungssystem offenbar mangelhaft war - und dass ich es nicht als meine Aufgabe ansehe, ihnen etwas beizubringen."

Der in den USA weitverbreitete postkoloniale Gedanke, dass vor der Ankunft des weißen Mannes das Land niemandem gehörte: Bird Runningwater lacht darüber, statt sich zu ärgern. Auf einem Pferd hat er schon lange nicht mehr gesessen: Runningwater arbeitet am Sundance Institut im kalifornischen Los Angeles und verbringt seine Freizeit gern am Strand. Er mag bunte Glamour-Filme wie "Moulin Rouge" und die Musik der Maori-Sängerin Hinewehi Mohi.

Das indigene Kino in den USA hatte mit der selbstironischen Tragikkomödie "Smoke Signals" von 1998 einen späten Start, verglichen mit dem Filmschaffen der Maoris in Neuseeland und der Aborigines in Australien, das schon in den achtziger Jahren begann. Aber die amerikanischen Ureinwohner holen derzeit auf, meint Bird Runningwater. Er blickt optimistisch in die Zukunft - und peilt für das bisherige Minoritätenkino ein breiteres Publikum an:

"Heute machen mehr Native Americans Filme, als jemals zuvor. Sie erzählen Geschichten, drehen Dokumentationen, arbeiten mit den Stammesgemeinschaften, um Informationen über die jeweilige Kultur aufzuzeichnen. Und dann gibt es da auch diejenigen, die sich mehr der Unterhaltung widmen. Und das könnte großes Potenzial haben."