"Die Toleranz ist noch nicht sehr stark ausgeprägt"

Ronald Meinardus im Gespräch mit Joachim Scholl · 05.04.2011
Knapp sechs Wochen nach der Revolution in Ägypten sollen die alten Seilschaften noch immer am Werk sein. Wie Ronald Meinardus von der Friedrich-Naumann-Stiftung sagt, muss Ägypten demokratische Praktiken erst noch erlernen.
Joachim Scholl: Die Revolution hat es zwar geschafft, den Diktator loszuwerden, aber nicht die Diktatur, das schrieb der junge Ägypter Michael Nabil Sanad kürzlich in einem Blog im Internet. Jetzt wurde er verhaftet und angeklagt wegen Verbreitung von Falschaussagen und Störung der öffentlichen Sicherheit. Und wie Michael Nabil Sanad erging es in den letzten Wochen vielen Ägyptern, die vor der ägyptischen Militärgerichtsbarkeit endeten. Am Telefon in Kairo ist jetzt Ronald Meinardus von der Friedrich-Naumann-Stiftung, guten Morgen!

Ronald Meinardus: Ja, schönen guten Morgen!

Scholl: Der Diktator ist weg, aber nicht die Diktatur – hat der Blogger Nabil Sanad recht?

Meinardus: Also, das ist ein bisschen sehr hart formuliert. Ägypten hat eine historische Revolution erlebt, und das Land ist nicht wiederzuerkennen und wird auch nicht wieder so sein, wie es vor dem 25. Januar dieses Jahres war. Aber natürlich sind alte Hinterbliebenschaften, ungeliebte, nicht demokratische Praktiken nach wie vor leider an der Tagesordnung, und zu diesen Praktiken gehört auch die Inhaftierung eines Bloggers, eines Kriegsdienstverweigerers, und er ist kein Einzelfall. Es gibt Hunderte von Menschen, die nach wie vor in ihren Menschenrechten verletzt werden, und die Zivilgesellschaft hier und Menschenrechtsorganisationen haben große Sorge und machen auch richtig Wind. Und das ist auch gut so, denn Ägypten ist nicht mehr ein Land, wie es früher war, Ägypten hat den Anspruch eine Demokratie zu sein. Und daher ist es völlig legitim und richtig, dass man diese Dinge jetzt in aller Deutlichkeit sagt.

Scholl: Ist es aber also gefährlich, Herr Meinardus, öffentlich Kritik an den Zuständen, an der aktuellen Entwicklung zu üben? – Man hört sogar von Foltervorwürfen!

Meinardus: Ja, das sind Einzelfälle. Diese Einzelfälle sollen aber nicht beschönigt werden, und das ist auch keinesfalls meine Absicht, aber im Vergleich zu früheren Zeiten hat sich das Thema doch deutlich gewandelt. Und es gibt hier eine Öffentlichkeit, es gibt hier eine internationale und auch eine lokale Öffentlichkeit, die massiv Druck macht. Sie hatten ja aufgemacht mit dem Fall von Michael Nabil, übrigens ein politischer Freund der Friedrich-Naumann-Stiftung, ein liberaler Mensch, der auch in der liberalen Jugendorganisation eine führende Rolle spielt. Er hat halt in seinem Blog, das kann man nachlesen unter michaelnabil.com, einige Dinge gesagt, die nach wie vor beim Militär, glaube ich, also rote Linien überschreiten. Dass hier weiterhin gefoltert wird, dass das Notstandsgesetz inakzeptabel sei, dass Herr Mubarak endlich verantwortlich gemacht werden soll, das sind alles Dinge, die hier öffentlich von allen gesagt werden. Aber was Michael Nabil gesagt hat, ist, dass das Militär die konfessionellen Spannungen zwischen Christen und Moslems anheizt mit gewissen Aktionen, und in dieser Hinsicht ist er deutlich übers Ziel hinausgestoßen und hat insofern sich sehr unbeliebt gemacht und hat in ein Wespennest gestochen. Und da ist offenbar die Toleranz noch nicht sehr stark ausgeprägt.

Scholl: Also seinen besonderen Feind nennt Nabil Sanad den Chef des Obersten Militärrates, Mohammed Hussein Tantawi, früher Verteidigungsminister unter Hosni Mubarak. Welche Rolle spielt dieser Mann, Herr Meinardus? Ist es glaubwürdig, dass hier jetzt ein demokratisch gesinnter Mann das Sagen hat?

Meinardus: Nein, dass das Militär nicht demokratisch ist, steht, glaube ich, außer Frage. Aber das Militär ist ja von Revolutionären begrüßt worden, die Revolutionäre haben ja das Militär beklatscht, als es gekommen ist und als es letztendlich Herrn Mubarak und seine politischen Helfer hat fallen lassen. Nun, dass das Militär hundertprozentig jetzt auf die Seite der, sagen wir mal, Extremrevolutionäre wechseln würde, das wäre vielleicht ein bisschen optimistisch. Das Militär hat klare Ansagen gemacht, es ist in einem Transformationsprozess inbegriffen, und dieser soll acht oder sechs Monate dauern, je nachdem, welche Endmarke man anvisiert. Aber den Revolutionären geht das nicht schnell genug und die verlangen hier und heute drastische Einschnitte, unter anderem verlangen die Revolutionäre – und das ist eine neue Forderung, die in diesen Tagen auf den Tisch gekommen ist – eine Absetzung des Militärrates und eine Ersetzung durch eine zivile Übergangsregierung. Wir werden sehen, wie dieser Machtkampf ausgeht, die Revolutionäre haben angekündigt, dass sie erneut am kommenden Freitag auf den Tahrir-Platz strömen werden. Es wird sehr interessant sein zu sehen, ob sie wieder Millionen von Menschen auf die Straße bekommen. Am letzten Freitag war der erwartete Millionenmarsch nicht zustande gekommen, einige 'zig Tausend, es ist von 100.000 Menschen die Rede, und das ist im Vergleich zu früher sicherlich nicht die große Menge, die es für drastische Zeichen und Signale bedarf.

Scholl: Ägypten nach der Revolution, wir sind im Gespräch mit Ronald Meinardus, er leitet in Kairo das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung. Im September, Herr Meinardus, soll eine neue Regierung gewählt werden. Das Militär will den Aufbau der Demokratie fördern, das hat der Militärrat jetzt noch mal schriftlich, ausdrücklich formuliert. Welchen Einfluss hat der Militärrat, hat das Militär auf diese Entwicklung?

Meinardus: Ja, das Militär ist ja gewissermaßen der Souverän. Die Situation läuft so ab, dass das zivile Kabinett Gesetze berät und beschließt und dann zur Vorlage dem Militärrat gibt und der Militärrat sein Ja und Amen gibt. Auf der anderen Seite – und das ist jetzt die außerinstitutionelle Ebene, es ist ein sehr interessantes politisches Verfahren – berät der Militärrat mit dem informellen Revolutionärrat der jungen Revolutionäre und nimmt dessen Meinung offenkundig ernst. Und nicht zuletzt ja auf Druck der Revolutionäre – das sind junge Menschen Anfang bis Mitte der 20 – hat dann auch der Militärrat nicht zuletzt das letzte Kabinett ausgewählt. Also, das ist schon eine sehr, sehr merkwürdige Art und Weise der Entscheidungsfindung, aber am Ende des Tages ist das Militär die entscheidende Kraft. Und es wird sich jetzt zeigen, in den nächsten Wochen, ob das Militär bereit ist, auch tatsächlich die Macht frühzeitig abzugeben. Alle Szenarien deuten darauf hin, dass das Militär einen behutsamen Übergang haben will, um letztendlich in den verbleibenden sechs Monaten auch darauf hinzuwirken, den eigenen Einfluss in der ägyptischen Gesellschaft, vor allen Dingen in der ägyptischen Wirtschaft – und das ist ein sehr starker Einfluss – abzusichern und zu garantieren.

Scholl: Inwieweit, Herr Meinardus, funktionieren noch die alten Eliten, inwieweit spielen sie noch eine Rolle jetzt in diesem Prozess des Neuaufbaus?

Meinardus: Die alten Eliten der nationaldemokratischen Partei, das ist ja die Partei von Herrn Hosni Mubarak, die haben sich erst mal zurückgezogen und spielen nicht mehr die Rolle natürlich, die sie vor der Revolution gespielt haben. Man sieht ein heftiges Stühlerücken vor allen Dingen jetzt in den Universitäten, es hat eine ganz heftige Auseinandersetzung gegeben in den staatlichen Medien, dort sind die oberen Etagen alle geräumt worden und durch jüngere Leute, jüngere Führungskräfte ersetzt worden. Die große Frage ist aber, wie weit das Messer der Reinigung gehen soll, und wenn man die Revolutionäre fragt, muss da viel deutlicher sauber gemacht werden. Auf der anderen Seite ist die jetzige Regierung, ist das Militär ein bisschen pragmatischer, denn es braucht auch Erfahrung, es braucht auch Kompetenz, und insofern will man nicht ganz auf Menschen mit Regierungsverantwortung und mit Führungsqualität und Erfahrung verzichten. Insofern würde ich sagen, dass im politischen Bereich die unteren Ränge sicherlich noch eine Rolle spielen. In der wirtschaftlichen Welt hat sich kaum was verändert, und im Militär, wie gesagt, das Militär hat hier die Hosen an.

Scholl: In diesem Zusammenhang könnte man auch mal auf den kulturpolitischen Aspekt verweisen, nämlich auf die Wiedereinsetzung von Zahi Hawass. Er wurde von Hosni Mubarak noch am 31. Januar zum Minister für die Altertümer ernannt, verlor dieses Amt nach der Revolution – jetzt hat er es wieder!

Meinardus: Das ist sicherlich eine Behandlung, die ihm ganz besonders gefällt, denn er ist jemand, der auch sehr stark an sein eigenes Image und an seine eigene PR denkt. Andererseits muss man dazu sagen, dass er wohl wie kaum ein anderer, vielleicht sogar wie kein anderer sich für die publikumswirksame Verbreitung des altägyptischen und insgesamt des ägyptischen Kulturgutes im In- und Ausland verdient gemacht hat. Insofern ist das durchaus eine Entscheidung, die man nachvollziehen kann – andererseits natürlich auch bei den kritischen Revolutionären gar nicht gut angekommen! Ich war am Freitag selber auf dem Tahrir-Platz, und dort war seine Ernennung sehr umstritten, und es gibt viele Leute, die gesagt haben, das kann nicht sein, dass jemand, der von Mubarak eingesetzt wurde und ausgezeichnet wurde, jetzt im revolutionären Ägypten eine wichtige Regierungsposition einnimmt. Das sind halt die Widersprüchlichkeiten, das sind die Brüche, die typisch, glaube ich, sind für einen Übergang von einem alten Regime zu einem neuen Regime in Ägypten.

Scholl: Wir hier in Deutschland kennen Zahi Hawass als jenen Mann, der immer entschieden die Nofretete für Ägypten zurückfordert. Herr Meinardus, nun haben das Ausland, wir im Westen, diesen Prozess in Ägypten begrüßt und unterstützt. Wenn man jetzt aber diese Meldungen, über die wir eingangs sprachen, hört von Verhaftungen, von autoritären Strukturen, doch wieder von Militärgerichtsbarkeit, müsste man jetzt nicht doch auch vom Westen mehr auf die Einhaltung demokratischer Prinzipien achten und pochen?

Meinardus: Ja also das ist auf jeden Fall angezeigt, und ich glaube auch, dass europäische Politiker, die hier reihenweise – und auch andere ausländische Politiker –, die hier reihenweise nach Ägypten kommen, auch das tun. Ägypten muss jetzt an einer anderen Messlatte gemessen werden als an der alten. Ägypten sieht sich nach der Revolution als ein demokratisches Land und muss auch an seinen demokratischen Verpflichtungen, es gibt dort völkerrechtliche Verpflichtungen, gemessen werden. Und bei den ganzen Diskussionen um Hilfeleistungen – und die Europäische Union gibt große Hilfeleistungen – muss immer das Wort Konditionalität eine Rolle spielen. Es spielt eine Rolle, und ich gehe davon aus und man muss davon ausgehen, dass bei den nächsten Verhandlungen zwischen Ägypten und der Europäischen Union, aber auch zwischen Ägypten und der deutschen Regierung diese Themen ganz oben auf der Tagesordnung stehen werden. Und ich würde einfach mal sagen, dass es durchaus auch einen politischen Willen gibt im oberen Bereich der zivilen Regierung, diese Missstände auszuräumen, es aber nicht ganz einfach ist, ein Militär, das über Jahrzehnte hier diktatorisch regiert hat, machen, tun und lassen konnte, was es wollte, diese alten Verfahrensweisen auszuräumen. Das wird noch eine Weile dauern, da spielt auch politische Bildung eine Rolle, da spielt auch Menschenrechtsbildung eine Rolle. All das sind Dinge, die im neuen Ägypten erst mal gelernt werden müssen.

Scholl: Ägypten – steht es vor einem Rückfall in autoritäre Zustande? Das war Ronald Meinardus von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Meinardus!

Meinardus: Ja, ich danke auch, Wiederhören!